Attacke auf türkischen Journalisten: Angriff im Exil
Der türkische Journalist Erk Acarer wurde in Berlin von drei Männern überfallen. Der Erdoğan-Kritiker vermutet ein politisches Tatmotiv.
Laut den Schilderungen von Acarer haben drei Männer ihn im Vorgarten seines Hauses in Neukölln überfallen und ihm vor den Augen seiner Frau direkt ins Gesicht geschlagen. Acarer sei hingefallen. Zwei Angreifer hätten weiter auf ihn eingeprügelt, während ein Dritter Schmiere gestanden habe. Einer der Männer habe geschrien: „Du schreibst nicht mehr!“
Der Erdoğan-kritische Journalist lebt aufgrund von Repressionen und Bedrohungen in der Türkei seit 2017 in Deutschland und geht beim Angriff von einem politischen Hintergrund aus. Noch am Mittwochabend hatte Acarer ein Bild seines blutenden Gesichts zusammen mit den Worten „Ich werde mich dem Faschismus nie ergeben“ getwittert. Er kenne die Täter.
Acarer berichtete immer wieder kritisch über die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan, zuletzt für die linke türkische Zeitung BirGün und den in Köln gegründeten Exilsender Arti TV. In der Türkei berichtete er unter anderem für Cumhuriyet, Sabah, Habertürk und Milliyet. Von September 2017 bis Juli 2020 war Acarer auch für die taz.gazete tätig, das mittlerweile abgeschlossenen Projekt der taz für politisch verfolgte türkischen Journalist*innen.
Strafverfahren in der Türkei
Im Video sagte Acarer: „Das zeigt, dass alles, was ich über die islamistisch-faschistische AKP-MHP Regierung geschrieben habe, stimmt.“ Er habe zur Identität der Täter Vermutungen und Informationen. Allerdings habe die Polizei ihn gebeten, zunächst keine Namen oder Gruppierungen zu nennen, da dies die Ermittlungen erschweren könne.
Acarers Schwerpunktthemen sind islamistischer Terror und Fundamentalismus sowie der Krieg in Syrien. Er hat zudem ein Sachbuch über das Verhältnis zwischen der Türkei und dem IS veröffentlicht. In der Türkei laufen Strafverfahren gegen ihn, zudem sind offenbar Haftbefehle anhängig.
Im April wurde Acarer von Innenminister Süleyman Soylu auf Twitter beleidigt, nachdem er über die mutmaßliche Verwicklung von dessen Neffen in einen Millionen-Betrugsfall getwittert hatte. Ein anderer ranghoher AKPler, Kemalettin Aydın, empfahl daraufhin, den Journalisten „mit Strychnin einzuschläfern“. Dazu twitterte Aydın ein Bild mit der chemischen Formel des Giftstoffs.
Der Angriff am Mittwochabend hätte auch schlimmer ausgehen können, vermutet Acarer in seinem Videostatement. Weil sich schnell Zeug*innen per Zuruf eingemischt hätten, seien die Täter geflohen. Der Welt schilderte Acarer, er gehe davon aus, dass die Angreifer Waffen gehabt und diese auch gezückt hätten, wenn die Nachbar*innen sich nicht eingeschaltet hätten.
Er habe nach dem Angriff sogar noch versucht, die Täter zu verfolgen, ihm sei aber zu schwindlig gewesen, um hinterherzulaufen. Seine 14-jährige Tochter, die im Haus gewesen sei, habe den Angriff glücklicherweise nicht mit ansehen müssen. Kurz darauf sei die Polizei eingetroffen. Er und seine Familie würden mittlerweile geschützt.
Staatsschutz übernimmt Ermittlungen
Die Berliner Polizei bestätigte den Angriff in einer Meldung am Donnerstag und leitete Ermittlungen ein. Aufgrund der Angaben von Acarer über ein mögliches politisches Motiv habe der Staatsschutz übernommen. Nach Darstellung der Polizei haben Nachbar*innen sie gegen 21.50 Uhr wegen einer Körperverletzung gerufen.
Auch die Polizei berichtet, dass Acarer auf dem Hof des Gebäudes von zwei Männern geschlagen und getreten worden sei, während ein dritter Schmiere stand. Als sich die Zeugen bemerkbar machten, sollen die Angreifer von dem 48-Jährigen abgelassen haben und geflüchtet sein.
Reporter ohne Grenzen ist schockiert über den Angriff. „Wir kennen die Hintergründe der Tat noch nicht, aber dass ein regierungskritischer Journalist aus der Türkei in Berlin angegriffen wird, ist besorgniserregend und könnte andere Exiljournalistinnen und -journalisten im Land einschüchtern“, sagte der Geschäftsführer der Organisation, Christian Mihr.
Er forderte Aufklärung, ob der Angriff mit seiner journalistischen Arbeit zusammenhängt. „Medienschaffende im Exil sind vor Repressionen in ihren Heimatländern geflohen. Sie müssen sich hier sicher fühlen können“, so Mihr. Acarer ist 2017 nach Angaben der NGO mit einem Nothilfestipendium über Reporter ohne Grenzen nach Deutschland gekommen. Auch verschiedene Politiker*innen wie Cem Özdemir (Grüne) und Sevim Dağdelen (Linke) äußerten sich schockiert über den Vorfall.
Erk Acarer, Exiljournalist
Der ebenfalls in Deutschland lebende Journalist Can Dündar wertete den Angriff als „direkte Botschaft“ Erdoğans. Auch die Journalistin Meşale Tolu, die 2017 mehrere Monate in der Türkei in Haft saß, verurteilte den Angriff. Laut Sicherheitsexperten soll der türkische Geheimdienst über ein weit verzweigtes Informant*innennetzwerk verfügen.
Ebenso gibt es viele gewaltbereite Erdoğan-Anhänger*innen und in Vereinen organisierte Anhänger der extrem rechten Grauen Wölfe, deren Partei zusammen mit Erdoğans AKP regiert. Auch die verbotene Rockergruppe Osmanen Germania soll über Verbindungen in die türkische Regierung verfügen.
Wie schon am Vorabend bei seinem Tweet bleibt Erk Acarer auch in seinem Videostatement kämpferisch. Mit Blick auf die Genesungswünsche und Nachrichten bedanke er sich bei allen Leser*innen, Freund*innen und Verwandten. Er beendet das Statement mit klaren Worten in Richtung der Täter: „Macht ruhig, was ihr könnt. Aber ihr sollt wissen, dass wir euch zur Rechenschaft dafür ziehen. Und am Ende werdet ihr zahlen müssen.“
Am Donnerstagabend, 08.07.21, soll um 19 Uhr unter dem Motto „Solidarität mit Erk Acarer“ eine Kundgebung am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg stattfinden.
Mitarbeit: Oliver Kontny, Ebru Taşdemir
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“