Journalist über Anschlag auf ihn: Weiterschreiben unter Polizeischutz
Der türkische Journalist Erk Acarer vermutet hinter dem Überfall auf ihn in Berlin den langen Arm Erdoğans. Er lässt sich nicht mundtot machen.
Es sind jetzt zwei Wochen vergangen, seit ich im Innenhof meines Berliner Wohnhauses überfallen und tätlich angegriffen wurde. Dabei schrien die Täter mich auf Türkisch an: Ich solle nicht mehr schreiben, denn bald werde ich sowieso nichts mehr schreiben können.
Meine Reaktion auf diesen Angriff: Ich recherchiere und schreibe noch mehr als zuvor.
Seit Jahren ist die türkische Regierung mit Vorwürfen konfrontiert, die von Korruption, Drogenhandel und paramilitärischen Aktivitäten im In- und Ausland bis zur Unterstützung dschihadistischer Gruppen reichen. Nun sorgt der Mafiaboss Sedat Peker dafür, dass diese Vorwürfe nicht mehr als Gerüchte abgetan werden können.
Nachdem Peker mit seinen langjährigen Partnern innerhalb der türkischen Regierung gebrochen hatte, verließ er die Türkei und sendete Youtube-Videos, in denen er auspackt, was er über kriminelle Machenschaften innerhalb der Regierung und rund um die Regierung weiß. Unter anderem geht es um illegale Waffenlieferungen und Drogenschmuggel aus Venezuela, häufig sollen Kinder hochrangiger AKP-Mitglieder darin verwickelt sein.
Peker spricht als ein unmittelbarer Kronzeuge, der über Jahre hinweg ein wichtiger Weggefährte der Erdoğan-Regierung war, und kann seine Aussagen mit Dokumenten bekräftigen. Seine Aussagen haben ein riesiges Echo, und viele Wähler*innen glauben ihm. Der Regierung passt es natürlich überhaupt nicht in den Kram, dass Peker die schmutzige Wäsche hervorkramt. In der Bevölkerung wächst die Kritik an der Regierung ohnehin schon gefährlich rapide, und die wohlwollende Zustimmung nimmt sichtbar ab.
Motiv: Die Angst, dass Geheimnisse ans Licht kommen
Die Konsequenz daraus sind verschärfte Repressionsmaßnahmen gegen Medienschaffende, die den Spuren nachrecherieren, die Peker gelegt hat. Dabei werden einzelne Journalist*innen gezielt für vogelfrei erklärt. Ich gehe davon aus, dass auch der Angriff auf meine Person den gleichen Hintergrund hat: die Furcht vor dem Auffliegen schmutziger Geheimnisse und der Wunsch, kritische Journalist*innen mundtot zu machen. Ich bin mir sicher, dass ich aus politischen Gründen angegriffen wurde, dass es sich um einen politischen Angriff handelte.
Investigative Journalist*innen sind bei Machthaber*innen weltweit nicht sehr beliebt. Und bekanntlich auch nicht in der Türkei. Die feindliche Stimmungsmache gegen Medienschaffende hat auch den Boden für den Angriff auf mich bereitet. Schon Ende April griff mich der türkische Innenminister Süleyman Soylu auf Twitter persönlich an und bezeichnete mich aufgrund einer Meldung, die ich geteilt hatte, als „Narren“. Und er beschuldigte mich, für den deutschen Geheimdienst zu arbeiten.
Als direkte Antwort auf den Tweet des Innenministers Soylus schlug der Vorsitzende der Ethikkommission der AKP, Kemalettin Aydın, der auch Rektor einer medizinischen Hochschule ist, auf Twitter vor, mich mit Strychnin einzuschläfern.
Mir ist also schon lange klar, dass ich auf einer Feindesliste der AKP stehe.
Es ist deswegen kein unwichtiges Detail, dass einer der Täter mich auf Türkisch anbrüllte und dabei ein Wort sagte, das sowohl bedeuten kann, dass ich nicht mehr schreiben soll, oder auch, dass ich nichts mehr schreiben können werde. Ich glaube, dass an mir ein Exempel statuiert werden sollte. Dass der Überfall auf mich als Abschreckung initiiert wurde. Der Palästebauer Erdoğan will zeigen, dass sein starker Arm bis nach Europa reicht, und wenn er hier solche Taten veranlassen und damit ungestraft davonkommen kann, es im Inland erst recht niemand wagen können sollte, den Mund aufzumachen.
Deshalb habe ich in meinen ersten Reaktionen auf den Angriff schon darauf hingewiesen, dass Erdoğan und seine Schergen die Täter sind.
Und genau deshalb ist es auch so wichtig, zu betonen, dass ich weitermachen werde. Ich werde meinen Beruf weiter ausüben.
Aber es ist auch eine Tatsache, dass sich in meinem Leben vieles geändert hat. Meine Familie und ich stehen jetzt unter Polizeischutz. Nach all den Jahren als Reporter im Feld, teilweise sogar in Kriegsgebieten, fühlt es sich seltsam an, jeden Schritt im Alltag mit der Polizei koordinieren zu müssen.
Kein Sicherheitsgefühl mehr
Ich bin immer noch fassungslos darüber, dass der Angriff in meinem eigenen Wohnhaus und vor den Augen meiner Frau stattfand, während unsere Tochter sich in der Wohnung befand.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und nach dem Überfall war es nicht vorbei. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde im Garten unseres Wohnhauses ein hartgekochtes Hühnerei deponiert, eingewickelt in einen Zettel, auf dem auf Türkisch „Wart’s ab“ stand. Die Polizei machte mich früh morgens darauf aufmerksam.
Wir können uns in dieser Stadt nicht mehr so sicher fühlen wie zuvor. Im Krankenwagen dachte ich plötzlich: Ich bin in der Türkei. In dem Land, aus dem ich vor einigen Jahren hierher, nach Deutschland, geflohen war. Ich und meine Familie, wir werden Zeit brauchen, um wieder Vertrauen in ein sicheres Leben aufzubauen.
Ich führe jede Woche mehrere Gespräche mit der Polizei über meine Sicherheit und den Fortschritt der Ermittlungen. Die Akte liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen dauern an. Bis die Täter vor Gericht stehen, werde ich fordern, dass die europäischen Verbindungen und Vernetzungen der Erdoğan-Regierung ans Tageslicht kommen und aufgeklärt werden.
Es ist ja so, dass zwischenstaatliche Beziehungen stärker auf Wirtschaftsinteressen als auf politischen Belangen wie Demokratie und Menschenrechten basieren. Die Auswirkungen dieser Priorisierung zu beschreiben gehört zu den relevanten Aufgaben von Journalist*innen. Die Janusköpfigkeit der Politik aufzuzeigen steht auf unserer Aufgabenliste ziemlich weit oben.
Nach dem Überfall auf meine Person gab es sowohl aus der Türkei als auch aus Deutschland viele Reaktionen, die mir Hoffnung machen. Es herrschte eine große Anteilnahme in der Öffentlichkeit und eine klare Haltung der Medien, die sich für Freiheit und Menschenrechte einsetzen.
Bei Tageslicht drangen drei bärtige, durchtrainierte Männer in unser Wohnhaus ein und griffen mich unter Beschimpfungen an, bevor ich überhaupt registrierte, wer sie waren. Es hätte sein können, dass ich den Angriff nicht überlebe. Ich mache mir deswegen nicht nur Sorgen um mein eigenes Leben, sondern auch um das meiner Kolleg*innen. Aktivist*innen, Demokrat*innen, Sozialist*innen, Alevit*innen, Kurd*innen und insbesondere dissidente Politiker*innen – sie sind alle gefährdet. Wer sich für eine Aufklärung interessiert und die Wahrheit über das türkische Regime wissen will, wird verstanden haben, dass sich dieser Angriff nicht nur gegen mich richtete. Und das wiederum ist auch eine gute Nachricht.
Aus dem Türkischen übersetzt von Oliver Kontny
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus