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Impfmüdigkeit in DeutschlandErst Spritze, dann Disco

Obwohl es immer mehr Impfstoff gibt, scheint die Nachfrage abzuflauen. Jetzt schmiedet die Politik Pläne, um mehr Menschen zu erreichen.

Wichtiger Pieks: Wie lassen sich mehr Menschen zur Corona-Impfung bewegen? Foto: Gregor Fischer/dpa

Berlin taz | Während die Deltavariante mittlerweile auch in Deutschland auf dem Vormarsch ist und die Impfstoffmengen steigen, sinkt die Zahl der verabreichten Impfungen. So wurden in der vergangenen Woche im Schnitt rund 700.000 Menschen täglich geimpft. Drei Wochen zuvor waren es noch 856.000.

Die Nachfrage nach Terminen in Impfzentren sinkt vielerorts. Und die Hausarztpraxen haben für diese Woche erstmals weniger Impfstoff bestellt als zur Verfügung steht.

Fragt man die Gesundheitsministerien der Bundesländer, gibt es jedoch offenbar große Unterschiede in der Bewertung der Lage. In Schleswig-Holstein wird von einem stabilen Impftempo gesprochen. Auch das von Laschet geführte Nordrhein-Westfalen kann „zumindest grundsätzlich“ keine Impfmüdigkeit feststellen.

Selbst in Berlin, wo in den letzten Wochen bis zu 20 Prozent der Termine in Impfzentren abgesagt oder verschoben wurden, seien die Impfzentren „weitestgehend ausgelastet“. Vermutet wird, dass viele ihre Erst- oder Zweitimpfung in einer Arztpraxis schneller bekommen und deshalb ihre Termine in Impfzentren nicht wahrgenommen haben.

Aus Sachsen-Anhalt heißt es jedoch, dass die Termine in Impfzentren zwar noch immer, aber langsamer gebucht würden. Im Saarland sei in dieser Woche zum ersten Mal der Fall eingetreten, dass nicht alle Impftermine in Anspruch genommen worden seien.

In Bayern sieht das ähnlich aus: „Die Impfzentren melden uns zunehmend, dass die Impfungen der Menschen auf den Wartelisten weit fortgeschritten sind, oder dass gar keine Menschen mehr auf der Warteliste stehen“, sagt Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister. Das Sozialministerium in Sachsen vermeldet sogar 20.000 freie Impftermine.

Die Gründe für die sinkende Nachfrage sind unklar. Es könnte sich bemerkbar machen, dass zumindest in einigen Ländern bereits viele, die wollen, geimpft sind. Stellenweise könnte das Angebot also schon die Nachfrage übersteigen. Ob damit die Herdenimmunität in Frage steht, ist ebenfalls völlig offen.

Das Robert-Koch-Institut hat allerdings verkündet, dass angesichts der Deltavariante eine Impfquote von 90 Prozent bei über 60-Jährigen sowie 85 Prozent bei 12- bis 59-Jährigen nötig ist. Bisherige Berechnungen gingen noch von einer Quote von 70 bis 80 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Urlaub statt Impfung?

Der Rückgang der täglichen Impfungen könnte aber auch andere Gründe haben. Denkbar ist, dass einige angesichts der niedrigen Inzidenz ihre Impfung aufschieben. Es ist außerdem nicht unwahrscheinlich, dass sich in den Zahlen ein Impf-Sommerloch äußert.

„Viele Patienten, aber auch Ärzte, sind im Urlaub“, meint Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Obwohl der Andrang in den meisten Arztpraxen ungebrochen groß sei, machten sich doch die Schulferien bemerkbar. Außerdem werde deutlich, dass bereits immer mehr Menschen geimpft seien.

Einen Rückgang der Bestellungen nimmt auch Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werkärzte, wahr. „Die Nachfrage ist weiter da, aber natürlich geringer. Das hängt damit zusammen, dass schon sehr viele Menschen geimpft sind.“ Wenn die Zweitimpfungen durch Betriebsärzte allerdings Fahrt aufnähmen, könnten die Bestellungen wieder steigen.

Eine Debatte darum, wie sich mehr Menschen für eine Impfung erreichen lassen, kommt langsam in Gang. Nachdem in den vergangen Tagen Strafen für „Impfschwänzer“ diskutiert wurden, forderte Gesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“, es müsse „ein Impfruck durch Deutschland gehen“.

„Hürden zur Impfung müssen abgesenkt werden“

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlug vor, „nicht nur in Arztpraxen und Impfzentren, sondern in Ausgehmeilen“ zu impfen – an belebten Plätzen oder auch vor Bars und Clubs. „Die Hürden zur Impfung müssen so weit wie möglich abgesenkt werden“, sagte der SPD-Mann dem Portal Business Insider am Montag. Man müsse mit den Impfungen dorthin, wo die Menschen sind.

Die pflege- und altenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, forderte vergangene Woche mehr Aufklärung, um den Zögerlichen entgegenzukommen.

„Diejenigen, die verunsichert sind, müssen durch gezielte Information und Aufklärung über die Wirkung und Sicherheit der Impfstoffe informiert werden“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus halte laut RND gar Anreize wie Freizeitpark- oder Museumsbesuche für sinnvoll.

Während einige Bundesländer ihre Impfangebote schon jetzt für hinreichend halten, um alle Menschen zu erreichen, gibt es in anderen Ländern Pläne, wie man das Impftempo weiter oben halten könnte. Die Devise: In Zukunft soll vor allem noch stärker auf Öffentlichkeitsarbeit, aber auch auf ein niedrigschwelligeres Impfangebot gesetzt werden.

Mehr mobile Impfteams

„Klar ist: Wir kommen demnächst in eine Phase, in der wir die Impfungen stärker bewerben müssen als vorher“, sagt der bayerische Gesundheitsminister Holetschek. Dafür habe man bereits eine neue Informationskampagne gestartet.

„Zudem ist es wichtig, dass wir die Menschen dezentral erreichen – dort, wo sie leben.“ Mobile Impfteams seien in Zukunft das zentrale Element, die Impfung gezielter zu den Menschen zu bringen.

Aus dem Sozialministerium Sachsen heißt es: „Wir bereiten gezielte Informationen von impfskeptischen Milieus vor, bei denen wir die Informationen anbieten, die für eine Impfentscheidung eventuell noch fehlen.“

Man wolle auch eine neue Motivationskampagne starten, in denen Menschen erzählen, warum sie sich haben impfen lassen, um die „Euphorie für eine Impfung zu wecken“. Außerdem seien schon jetzt Impfungen ohne Termine möglich, was in der nächsten Zeit noch verstärkt der Fall sein solle.

Um mehr Menschen zu erreichen, sind ebenfalls in Rheinland-Pfalz Schritte geplant. „Aktuell arbeiten wir daran, die Impfungen noch leichter zugänglich zu machen und weiter in die Fläche zu tragen.“ Stadtteilimpfungen, Sonderimpfungen mit den Kommunen und für junge Erwachsene seien nur erste Maßnahmen.

„Zusätzlich sollen die Öffentlichkeitskampagne zum Impfen nochmals gestärkt und regionale und zielgruppenspezifische Sonderimpfaktionen mit mobilen Impfteams gestartet werden“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

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15 Kommentare

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  • Sobald der Novavax-Impfstoff zugelassen ist, wird man wieder deutlicher sehen, dass die mengenmäßig unzureichenden Impfstoffbestellungen der Hauptgrund für ausbleibende Impfungen darstellt.



    Möglich wäre eine Lotterie mit Impfterminen bzw. -anmeldungsberechtigungen jeweils unter allen, die sich für eine Impfung (mit einem bestimmten Impfstoff) angemeldet haben. Damit hätte man realistische Daten zur Nachfrage, wurde auch erkennen, wie viele, die ausgelost wurden, zeitnah einen Termin buchen.

  • Sicherlich liegt der Rückgang auch darin, dass die bislang Ungeimpften wählerischer sind, was die Art des Impfstoffes betrifft. Da bleibt dann z.B. Astra Zeneka öfter liegen. Ich selbst z.B. hatte mich Anfang April damit impfen lassen, weil mRNA-Impfungen in weiter Ferne erschienen, heute würde ich das nicht mehr tun.

    • @meerwind7:

      Was würden Sie nicht mehr tun? Sich mit AstraZeneca impfen?

  • In New York gabs zu jeder Impung einen Joint, hat super funktioniert......ach shit wir leben ja in Deutschland

  • Die regionalen Unterschiede scheinen in der Tat erheblich zu sein. Ich brauche keine "Informationskampagne" sondern nur die Chance irgendwo einen Termin zu bekommen. Dem Betriebsarzt standen für 80 Leute ca. 10 Dosen zur Verfügung und von den Praxen vor Ort sind bislang nur Absagen zu bekommen.

  • Auch in Plattenbausiedlungen sollten mobile Impfteams eingesetzt werden. Hieß es nicht neulich erst, dass Menschen mit geringen Einkommen sich deutlich seltener impfen lassen?

    Vielleicht haben sie neben Zweit- und Drittjob schlicht nicht die Zeit und Energie, einen Impftermin zu vereinbaren. Wenn diese aber um die Ecke zu haben sind, kommen sie möglicherweise doch.

  • „Diejenigen, die verunsichert sind, müssen durch gezielte Information und Aufklärung über die Wirkung und Sicherheit der Impfstoffe informiert werden“

    Es ist schon erstaunlich wie man immer wieder suggeriert, dass mit genügend Aufklärung sich jeder impfen lässt. Man kann anscheinend nicht akzeptieren dass ein Mitmensch aus eigener Riskoabwägung sich gegen eine Impfung entscheidet.

    • @Thomas Werner:

      Wenn diejenigen dann nicht gleich die ersten sind, die dann schreiben wo bleibt meine Behandlung falls sie sich infizieren, dann wäre ja das noch zu akzeptieren. Nur leider korreliert das ja. Und das macht dann wenig Sinn.

    • @Thomas Werner:

      Wenn es denn wirklich *eigene* Risikoabwägungen wären, die auf Fakten und nicht auf Geschichten aus der "Lügenpresse" (aka soziale Medien) aufbauen. Dann könnte ich es akzeptieren.

    • @Thomas Werner:

      Danke!

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Thomas Werner:

      Von den ganz Schlauen, die sie beschreiben, gibt es ja nicht so viele. Da lohnt schon die Mühe uns Doofe zu überzeugen.

  • Bitte lasst euch impfen,



    damit endlich wieder ein normales Leben möglich ist. Vor allem für die Kinder, Jugendlichen, Schüler und Studenten. Die hochgespielten, angeblich gefährlichen Nebenwirkungen haben sich als wesentlich minimaler herausgestellt als das Überqueren einer Kreuzung. Bitte lasst euch impfen, es macht wirklich Sinn. Trotzdem bin ich entschieden gegen jede Impflicht. Ich habe beide Impfungen hinter mir, die Nebenwirkungen waren fast vernachlässigbar, ein Tag Müdigkeit.

    • @Rudi Hamm:

      Die Impfung scheint allein nicht die Alleinlösung zu sein. Die aktuelle Situation aus GB und Israel zeigen das.



      Auch dahingehend sollte viel mehr Aufklärung durchgeführt werden.

    • 1G
      15833 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Definitiv halte ich es bei Kindern wie die stiko es empfiehlt.



      Oder lässt sich jemand gegen Gelbfieber impfen wenn er hier in Deutschland lebt?

      • @15833 (Profil gelöscht):

        "Definitiv halte ich es bei Kindern wie die stiko es empfiehlt."



        Ist auch ihr gutes Recht. Zu der Impfung von Kindern habe ich keine feste Meinung, zu unterschiedlich sind die Aussagen der "Experten".