„Morgenandacht“ im Deutschlandfunk: Christonormatives Radio
Beide Kirchen haben exklusive Sendefenster im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Warum haben andere Glaubensgemeinschaften das nicht?
Neulich habe ich mein Bad wiedermal geflutet. Ich stand unter der Dusche und musste, während das Wasser lief, plötzlich zum Radio auf dem Regal sprinten und den Sender wechseln. Es erklang nämlich dieser christonormative Singsang, mit dem ich früh morgens um halb sieben lieber nicht meinen Tag beginnen möchte. Im Deutschlandfunk lief die Sendung „Morgenandacht“, die von den christlichen Kirchen produziert und vom größten öffentlich-rechtlichen Informationsangebot im deutschen Radio ausgestrahlt wird.
Als also ein taz-Kollege – der morgens ebenfalls regelmäßig sein Bad flutet, um den Sender zu wechseln – mir von seinem Unbehagen berichtete, fühlte ich mich nicht mehr alleine. Immerhin bilden zwei Individuen schon eine kleine Minderheit. Ich machte mich also an die Arbeit und stellte mir zu Beginn zwei Fragen: Was sagt es über die deutsche Medienlandschaft aus, dass die evangelische und die katholische Kirche exklusive Sendefenster in gemeinschaftlich finanzierten Programmen bekommen? Und was sagt es über die deutsche Medienlandschaft aus, dass andere (religiöse) Minderheiten dies nicht bekommen?
Über etwas zu schreiben, dem ich aus dem Weg gehe: Das geht gar nicht. Deswegen habe ich mich neulich frisch geduscht, abgetrocknet, angezogen an den Schreibtisch gesetzt und mir die Sendung Morgenandacht angehört. Auf der Internetseite des Deutschlandfunks gibt es ein Archiv des Kirchenformats. Ich habe auf der Seite willkürlich auf Play-Symbole geklickt: „Gott ist die Liebe“, sagt eine sanfte Frauenstimme. Die Wörter „Liebe“ und „lieben“ kommen in dem etwas mehr als vierminütigen Beitrag (ich habe penibel nachgezählt) 27 Mal vor. „Liebe ist wie Beton, es kommt drauf an, was man draus macht“, heißt es. Okay, denke ich.
Bei einer anderen Morgenandacht geht es um Wolfgang Amadeus Mozart und seinen Rivalen Antonio Salieri. Ich bin dabei weggedöst, weil die Sprecherstimme seicht-hypnotisch auf mich wirkte. Wie die meisten Sendungen endet auch diese Folge mit einem Bibelvers.
Hinter einer anderen Folge, der Sprecher ist ein Mü dynamischer, verbirgt sich so eine Art Ratgeber: Was tun, wenn die Stimmung schlecht ist? Die Antwort liegt, wie könnte es anders sein, in der Bibel und in Jesus Christus. Das Schema der Sendung ist also klar: Alltagssituation beschreiben, alles möglichst wolkig formulieren, mit einem Bibelvers verbinden, Jesus preisen. Immer ein Hauch von Missionierung im Subton, klingt alles so wie in der Kirche halt.
Seichte Inhalte mit Liebe und Gott
Ich habe im Studium viel anthropologisch gearbeitet. Und in der Anthropologie spielt Religion eine zentrale Rolle als Forschungsobjekt. Ich bin also nicht der Typ Autor, der sich über gläubige Menschen herablassend lustig macht. Obwohl ich selbst nicht glaube, geht es darum, Glauben zu verstehen, seine Wirkungsmacht auf Individuen und eben auch auf Strukturen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erforschen.
Religion bestimmt an vielen Orten, an wen Ressourcen verteilt werden und wer leer ausgeht. Mir liegt es fern, diese Sendungen lächerlich zu machen – obwohl ich ja mein Bad deswegen regelmäßig flute. Eher stellt sich die Frage, ob nicht andere Glaubensgemeinschaften auch ein Anrecht auf seichte Inhalte mit Liebe und Gott und bisschen Ratgeber haben. Vielleicht auch auf ein wenig Missionierungsarbeit auf Kosten der Beitragszahler*innen?
Deutschland ist religionspolitisch betrachtet kein neutraler Staat. Am besten kann man das an den Beziehungen zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche und dem Staat festmachen. Finanzämter sammeln Kirchensteuer ein, die Kanzlerschaft beginnt – manchmal – mit einem „so wahr mir Gott helfe“ (sicher hatten Angela Merkel und einige ihrer Vorgänger dabei den weißen Jesus vor Augen), Weihnachtsdekoration wird auf Steuerkosten aufgehängt.
Das deutsche Staatsverständnis ist also christonormativ, es zentriert und finanziert den christlichen Glauben und macht ihn zur alltäglichen Norm. Öffentliche Räume sind von dieser Christonormativität durchtränkt, nur selten wird dabei gefragt, wie es anders- oder nichtgläubigen Bürger*innen damit geht. Beim gemeinschaftlich finanzierten Rundfunk, der ja auch in die privaten Räume der Menschen schallt, muss diese Frage aber endlich gestellt werden.
Auf der Internetseite der Medienanstalt der evangelischen Kirche heißt es: „Rundfunkstaatsvertrag, Landesmediengesetze und Sendersatzungen (legen) fest, dass die Kirchen als bedeutsame gesellschaftliche Gruppe im Programm der öffentlich-rechtlichen wie der privaten Sender ‚angemessen‘ zu Wort kommen müssen.“ Die Kirchen leiten ihre direkte und ungefilterte Beteiligung am Rundfunkprogramm aus einer „verfassungsrechtlichen Verankerung“ ab.
Und so predigen die Kirchen von Liebe und Gott und Jesus, wie es ihnen passt in der ARD („Das Wort zum Sonntag“), im ZDF (Gottesdienste) und beim aus Steuergeldern finanzierten Auslandssender Deutschen Welle. Bei der DW bekommt der missionarische Beigeschmack mit dem Fokus aufs Ausland noch mal eine ganz andere Intensität. Einige Privatsender stellen den Kirchen Programmfenster bereit: Bei RTL ist es zum Beispiel die Sendung „Bibelclip“, bei Sat.1: „Das gute Wort zum Wochenstart“.
In Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz ist der allgemeine Gleichheitssatz formuliert, der den deutschen Staat zur Gleichbehandlung aller Menschen und damit auch aller Gruppen verpflichtet. Bedeutet das, dass ich bald mein Bad bei Sonnenaufgang wegen Mohammedzitaten im Radio flute?
Das Privileg der christlichen Glaubensgemeinschaft
Glaubensgemeinschaften, die nicht christlich und anerkannt sind, bekommen das Privileg eigener Kirchenredaktionen derzeit nicht. Hinduistische, jüdische oder muslimische Sendungen gibt es in diesem Sinne also (noch) nicht.
Formate im Netz, im Radio und im TV, die sich zum Beispiel mit Judentum oder Islam auseinandersetzen, sind beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk redaktionell eingerahmt. Es sind also Journalist*innen und Redakteur*innen, die hier die Entscheidungen treffen, nicht die katholische Bischofskonferenz mit der eigenen Wahl von Medienbeauftragten, wie es bei den katholischen Angeboten der Fall ist. Bei der evangelischen Kirche ist es ähnlich.
Um mir hier nicht selbst was zu predigen, habe ich das Gespräch gesucht. Ich habe Shaykha Halima Krausen angerufen. Sie ist Imamin und Theologin an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg. Krausen sagt am Telefon, dass sie sich im Prinzip schon so etwas wie eine muslimische Morgenandacht vorstellen könne. Wichtig sei, dass sich ein solches Angebot an die allgemeine Zuhörerschaft richte, nicht nur an Muslim*innen. Aber von sich aus fragt sie: „Welche Organisation soll so etwas überhaupt umsetzen?“
Islam ist pure Anarchie. Wer soll stellvertretend für „die Muslim*innen“ in Deutschland eine Sendung gestalten? Aus meiner langen Lebenserfahrung als Mohamed gibt es da nur eine Antwort: Niemand kann das. So eine Organisation gibt es nicht und wird es auch nie geben. Praktikabel ist die muslimische Version des Kirchenfunks also nicht.
Im Judentum ist das nicht so anders: „Zwei Juden, drei Meinungen“, heißt es. Deswegen habe ich nur einen Rabbiner kontaktiert und mich zum Thema mit Rabbi Walter Rothschild ausgetauscht. Rothschild kennt viele Gemeinden in Deutschland, engagierte sich im Sinne des interreligiösen Dialogs und – am wichtigsten – er hat einen exzellenten Humor. Er antwortet ausführlich auf eine Anfrage per E-Mail: „Ich weiß nicht, was ich Ihnen schreiben kann. Ich sehe es nicht als Beleidigung, wenn ein Christ jeden Morgen etwas Nettes und Vernünftiges spricht.“
Deutlich pluralere Gesellschaft
Jüdinnen*Juden würden in Deutschland sogar über die Rundfunkräte beteiligt, auch wenn Rothschild dort einige jüdische Vertreter*innen als „SSP (sehr schwierige Person) und VSIP (Very Self-Important Person)“ bezeichnet. Ich würde mir stundenlange Sendungen mit Rabbi Rothschild reinziehen. Leider denkt er nicht, dass religiöse Minderheit Sendezeit im Radio oder Fernsehen übernehmen sollten.
Er habe hier in Deutschland kein Vertrauen in die Institutionen und außerdem gebe es zu wenige Jüdinnen*Juden hierzulande. Er denke nicht, dass seine kleine Minderheit eine Radiosendung „verdiene“. Man solle vielleicht einzelnen Rabinner*innen etwas mehr Möglichkeiten einräumen, sich zu äußern. „Aber die meisten, die ich kenne, haben leider nichts Vernünftiges zu sagen“, witzelt er.
Imamin Halima Krausen sagt, dass die Gesellschaft heute viel pluraler als vor zehn, zwanzig, fünfzig Jahren sei. Damals, als dieses christonormative Rundfunksystem gestaltet wurde, dachte niemand an Minderheiten. Auch heute sind sie nicht wirklich präsent in den Entscheidungsräumen. „Ich bin dafür, die ganze Chose abzuschaffen oder andere das auch machen zu lassen“, sagt Krausen. Aber vielleicht lohnt es sich gar nicht, so viele Bäder in diesem Land zu fluten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal