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Immaterieller ReichtumDie schönen Dinge des Lebens

Schon als Kind konnte sich unsere Autorin für vieles begeistern. Besonders für Worte und all die Künste, die es eben nicht zu kaufen gibt.

Kurzes Glück: Gänseblümchen verwelken schnell, auch als Kranz auf dem Kopf Foto: plainpicture

M ir gefallen schöne Sachen, und schöne Sachen haben einen Preis. Als ich klein war, mochte ich Blumenketten aus Gänseblümchen. Ich habe die zarten Stiele mit den Fingernägeln aufgeschnitten und dabei bemerkt, dass die Blümchen sehr schnell ihre Köpfe hängen lassen. Das war der Preis für das Glück, einen schönen Blumenkranz auf dem Kopf zu tragen. Ich fand den Preis angemessen. Später, als ich glaubte, schön sein bedeute blond sein, sprühte ich mir billige Farbe aus der Drogerie in die Haare. Der Preis war eine juckende Helmfrisur. Auch teuer: schöne Kleidung, schönes Essen, schönes Wohnen. Aber am allerschönsten fand ich immer die Künste.

Leute, die schauspielern, malen, singen, filmen, tanzen, Leute, die schöne Kleider machen. Und vor allem die Leute, die schreiben. Ich dachte: Das muss das beste Leben sein. Wenn es dein Job ist, das Schöne aus der Welt herauszuschälen, entgegen allen Hässlichkeiten. Ich kannte bloß keine Person, die so einem Job nachging. Schönheit war Hobby oder Luxus, aber mit schönen Sachen arbeiten kostet. Die Sorglosigkeit der Eltern. Tickets, bezahlt mit sozialem und kulturellem Kapital. Und ganz reales Geld, oft mehr, als der Job einbringt.

Heute kenne ich ein paar Leute, die schöne Sachen machen, beruflich. Sie sind selten reich an Geld, aber sie sagen oft „Kennst du …“ gefolgt von Namen und Werken, die ich nicht kenne. Früher hätte ich versucht, meine Leerstellen wegzunicken. Ich hätte mir ausgerechnet, wie lange ich brauchen würde, die Löcher zu stopfen und alles aufzuholen, den Kanon, das Kapital. Und ich hätte dabei ständig versucht, die Balance zu halten auf dem schmalen Grat zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein.

Heute sage ich: „Nein, kenne ich nicht.“ Ich habe keine Zeit, hinterherzurennen und gleichzeitig zu balancieren. Vielleicht stehen an meinen Leerstellen einfach andere Dinge. Ich habe ein Leben lang Wörter aneinandergereiht, im Kopf, auf Papier, zwischen den Zähnen. Jetzt bin ich sicher, dass ich hier richtig bin. Hier, bei den schönen Sachen.

Es ist gut, dass Schönheit oft kostenlos ist. Ein Schatten, eine Farbe, ein Zufall, ein Satz. Man muss die Welt so sehen können, besonders, wenn man wenig Ressourcen hat. Man muss sich aber nicht damit zufriedengeben. Wir reden viel von Privilegien und Demut, manchmal vergessen wir dabei Verhältnismäßigkeiten. Dass wir nicht nur Glück hatten, sondern auch gut sind. Dass es nicht die untere Mittelschicht ist, die zuerst abgeben muss.

Dass uns wesentlichere Dinge Demut lehren als die Tatsache, nichts von Thomas Mann gelesen zu haben. Dass wir nicht nur dazugehören zu denen, die schon da sind, sondern längst gehören, eigenständig, dass wir mehr als Zusatz sind. Dass „Diversity“ nicht da ist, um andere zu schmücken, sondern uns reicher zu machen. Dass die schönen Sachen für alle sein sollten – nicht nur als Güter zu kaufen, sondern auch als Leben zu haben.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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24 Kommentare

 / 
  • Es ist eigentlich alles gesagt von den Kollegen.



    Nur noch ein kleines Dankeschön an alle Beteiligten und



    Lin Hierse...

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer.“ (Unten steht‘s nochmal genauer.) Ein Gänseblümchen lebt nicht lang, doch Ewigkeit hat der Gesang. Goethe, Schubert, Schreier: www.youtube.com/watch?v=QG-B8inb9YE



    „Dich will ich loben, Hässliches,



    Du hast so was Verlässliches.



    Das Schöne schwindet, scheidet, flieht,



    fast tut es weh, wenn man es sieht.



    Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit, und Zeit meint stets: „Bald ist ’s so weit.“



    Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer,



    das Hässliche erfreut durch Dauer.“



    (Robert Gernhardt)

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Ja, das kenne ich auch gut. Ich möchte gern einen kleinen Spruch anfügen:

      "Schöne Tage...Nicht weinen, dass sie vergangen, sondern lächeln, dass sie dagewesen." (Rabindranath Tagore)

  • So ein schöner, feinsinniger Artikel. Vielen Dank!

    Schöne Dinge überhaupt als solche wahrnehmen zu können - Als Kinder konnten wir das. Später kann es so viel Mühe kosten, sich diese Unbeschwertheit wieder zurückzuerobern. Wenn man durchschaut hat (oft erst nach einer dicken Lebenskrise), dass es da mehr gibt, als nur leisten, leisten, leisten. Kämpfen, aushalten, durchhalten.

    Ich habe im Herbst 2018 in der psychiatrischen Klinik das Schreiben endlich für mich entdeckt. 1,5 Jahre lang schrieb ich dann seeeeeeehr viel in meine Tagebücher und nun habe ich seit Dezember 2020 meine eigene Webseite :-). Ich habe aktuell sehr wenig Geld, Aufarbeitung brauchte eben Zeit. Aber ich liebe, was ich tue.

    Manchmal sitze ich bis in die Nacht hinein und tüftel und lese verschiedenste Artikel. Ich sehe aktuell keinen Cent dafür. Es ist mir egal, weil ich endlich meinen Weg gehe und etwas mache, was mir aus tiefstem Herzen Freude bereitet. Ich kann meine Meinung sagen, Menschen inspirieren, Texte und Bilder gestalten, wie ICH das möchte. Für mich ist das von unschätzbarem Wert. Eine richtig schöne Sache :-)

  • Dann sollte man auch eine gerechte Entlohnung der „Schön-Arbeit“ fordern. Gerade Frauen leisten diese wichtige Arbeit an sich und ihrer Umgebung bisher unentgeltlich.

    • @fly:

      Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, jede Tätigkeit als Arbeit zu definieren oder ob man/frau... dann endgültig mit Haut und Haar vom Kapitalismus aufgesogen ist.

  • "Dass die schönen Sachen für alle sein sollten – nicht nur als Güter zu kaufen, sondern auch als Leben zu haben."

    Yes!

    Zerschlagen wir die Warenproduktion und die Wirtschaftsweise, deren einziger Zweck ist, aus Kapital mehr Kapital zu machen.

    Und dann wird es so sein:

    "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden."

    Karl Marx

    Für den Kommunismus!

    • @Jim Hawkins:

      ....."Nein. Vielleicht muß man älter, machtvoller sein, um die Welt um sich zu formen nach seinem Ebenbilde ... Wer ist heute sowie der Alte war? Sehen unsere Wohnungen aus, wie wenn sie nur und ausschließlich dem Besitzer gehören könnten? ... Ein Specht, siehst du ein Specht!"

      "Wölfchen, es ist kein Specht. Es ist eine Schleiereule."

      Er stand auf. Mit Betonung:

      "Ich habe ein außerordentlich feines Empfinden dafür, ich vermute, du bist gewillt, dich über mich lustig zu machen. Wird diese Vermutung zur Gewißheit, so schlage ich dich nieder."

      Ihr Gelächter klang weit durch die Fichten......



      www.literaturport....ch-fuer-verliebte/

      • @Ringelnatz1:

        Die Sprache von Tucholsky war die erste, die mich bis ins Herz berührte.

        Ich kaufte mir die Gesamtausgabe, schäbig lektoriert, in jungen Jahren für teuer Geld.

        Ich wollte mich nicht lustig machen. Ich hoffe mehr, als ich weiß, dass ich das Ende des Kapitalismus nicht mehr erleben werde.

        Arroganz der reichen Länder. Milliarden leben bereits am Ende. Daran haben wir uns gewöhnt wie an das Sterben derer, die versuchen, dem Elend entfliehen.

        Daran wird sich nichts ändern, erst recht nicht durch mein wohlfeiles Blabla.

        Aber wäre es nicht schön, alle Menschen lebten friedlich zusammen,



        ohne Hass, ohne Patron, ohne Gott und ohne Waffen?

        • @Jim Hawkins:

          🏴‍☠️ btw & entre nous - meinste die Fischer-Gesammt? die ich meiner stirnrunzelnd 1. Schwiegermutter verdank.n=> ~ mehr Zettel als Seiten im Schrank. Gibt’s ne bessere?



          Dank im Voraus - Ahoj 🏴‍☠️

          • @Lowandorder:

            Vielleicht etwas Ostzonales.

            Aber ich meine, die hätten nur Gesammelte Werke in mehreren Bänden herausgegeben.

            Ansonsten hatte Fritz J. Raddatz die klebrigen Finger drauf.

            Über den hat Gremliza einmal geschrieben:

            "daß Raddatz den Tucholsky zwar herausgegeben, nicht aber gelesen hat, und deshalb die bewegte Klage des Sprachkritikers über die Aufnahme des Wortes »Raffinesse« in den »Duden« nicht kennt. "

            Weil es "Raffinesse" gar nicht geben tut.

            "daß es einen Unterschied zwischen Raffinesse und Raffiniertheit gibt, was ja tatsächlich wahr ist, indem es zwar Finesse (= Feinheit, der Zustand einer Sache, beispielsweise des Bouquets eines der französischen Weine, die so feine Gelegenheiten zu Raddatzscher Akzentverwechslung bieten) und auch Raffinement gibt (= Verfeinerung, die Tätigkeit mittels derer eine Sache Finesse erhält), aber Raffinesse nur die dummdeutsche Verquickung eines Zustands und einer Tätigkeit ist, ein Vokabelbastard bar jeden Sinnes, der zu nichts taugt als zur beliebten Verwendung in jedem besseren Feuilleton, was schon fünfzig Jahre vor Raddatz jene Aufnahme in den »Duden« zur Folge hatte, der Tucholskys Klage galt. "

            Habe die Ehre.

            • @Jim Hawkins:

              Hier darf der Paganini der Abschweifungen Harry Rowohlt nicht fehlen - der klebrig Raddatz mehrfach & tuto completto abgeledert hat.



              Frank Schäfer erinnert -



              “ Ein Paganini der Abschweifung

              "McKinsey möge sich bitte freundlichst und gründlichst gehackt legen": Als Autor und Übersetzer besaß Harry Rowohlt eine Haltung, die man heute sehr vermissen kann. Von Frank Schäfer



              www.zeit.de/kultur...t-wuerdigung-autor



              &Däh!



              Irgendwo Tucho ~ “Es könne doch nicht sein - daß über den Nachlaß von Goethe befinde!



              Und - so Harry Rowohlt zu recht - genau Tucho - der sich nie hat scheiden lassen.



              Mit dieser unheiligen Allianz Ehefrau mit Raddatz passiert! Schlimm. Aber mach was •

              • @Lowandorder:

                Au Backe. Nebbe de Spur. Gelle.

                “Es könne doch nicht sein.



                Daß Tante Mienchen über den Nachlaß von Goethe befindet!“

                So - wird ein Schuh draus! - 🥳 -

        • @Jim Hawkins:

          Schöne Wärme.



          Dit war doch mittem Wartburg inne Osten - Rheinsberg-



          Auf den Spuren von..

  • ... Ich habe ein Leben lang Wörter aneinandergereiht.....zwischen den Zähnen. ..



    Worte begeistern!

    Ich freue mich,



    wenn es regnet.



    Denn wenn ich



    mich nicht freue,



    regnet es auch.



    Karl Valentin

    • @Ringelnatz1:

      Liggers. “Schön ist es auch anderswo.



      Und hier bin ich sowieso.“ W.B.

      • @Lowandorder:

        Ach & 2x muß muß nicht sein!;)





        Es ist gut, dass Schönheit oft kostenlos ist. Ein Schatten, eine Farbe, ein Zufall, ein Satz. Man muss die Welt so sehen können, besonders, wenn man wenig Ressourcen hat. Man muss sich aber nicht damit zufriedengeben.“

        …Schön - wenn frauman die Welt so sehen kann…frauman braucht sich aber nicht damit zufriedenzugeben. Newahr.



        Nö. Normal nich •

        • @Lowandorder:

          Ach Richter!

          Das doppelte muß muß, muß sein!*



          Klaro die Litotes!



          Doppelte Verneinung:

          „Er hat damit nicht unrecht“ (= Er hat damit recht)



          „nicht ohne Witz“ (= witzig)

          • @Ringelnatz1:

            Liggers. “Kein Mensch muß müssen.



            Und ein Ringelnatz1 - müßte?“

            kurz - …der Weise geht in den Garten.



            & Däh!



            Ja - da lacht der Kleingärtner - witzig.



            Normal.

      • @Lowandorder:

        Nenn mich nicht Walentin, du nennst ja auch nicht deinen Vater Water.



        Karl Valentin



        ;-)

  • Dem Humoristen Valentin Ludwig Fey verdanken wir die griffige Formulierung einer weit verbreiteten Erkenntnis: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Da Arbeit eine Ware ist in einer Marktwirtschaft, kostet sie was. Die spannende Frage ist: Wen kostet sie wieviel.

    Die Schönheit eines Blumenkranzes kostet etliche Gänseblümchen ihr ohnehin relativ kurzes Leben. Schön ist das nicht. Gäbe es nicht auf jeder Wiese massenhaft Gänseblümchen, wäre das Bewusstsein dafür sicher größer. Es gibt aber genug. Und sie gehören niemandem. Also spielt ihr vorzeitiges Ableben in der Kalkulation keine besonders große Rolle. Es ist halt alles eine Frage der Relation.

    Wohl dem, der sich vollkommen frei fühlt von aller (Vor-)Sorge. Wer sich für nichts und niemanden verantwortlich fühlt, der gibt den besten aller Künstler ab. (Vorausgesetzt, er hat Talent.) Vermutlich entsteht „ganz große Kunst“ genau deswegen (zu) häufig dann, wenn ihre Schöpfer grade halbwegs abgeschlossen haben mit der Welt. Weil sie kurz vor dem Wahnsinn stehen, vor einem Selbstmord oder von andren intensiv gejagt werden. Dann fragt der Mensch nicht mehr, was wen was kostet.

    Dem Konsumenten kann das alles wurscht sein. Vor allem, wenn der Künstler „klassisch“ ist, also schon tot. Oder ein Gänseblümchen. Wenn er noch lebt oder womöglich gar der Konsument selbst ist, ist das irgendwie anders. Dann tritt ein sogenannter Abwägungsbedarf auf.

    Zum Beispiel zwischen Zeit und Zeit. Wer sich dem Kunstmarkt nicht gern unterwerfen will, der muss seine täglich Brot irgendwo anders hernehmen. In einer Zeit, die dann natürlich an der Kunst fehlt. Abwägen wirkt sich nicht zwingend kreativitätssteigernd aus.

    Manch einer ruft an dieser Stelle nach dem „Bürgergeld“. Nur muss das leider auch jemand erwirtschaften. Und Kunst hat sehr viel mit Geschmack zu tun, den man entweder hat, oder auch nicht. Dass das so ist, macht Steuerzahlungen nicht angenehmer - und Kunst nicht unbedingt beliebter. Vor allem nicht die kritische.

  • *Dass die schönen Sachen für alle sein sollten – nicht nur als Güter zu kaufen, sondern auch als Leben zu haben.*

    Schön, dass dieser kluge Satz geschrieben wurde - und zu lesen ist.