piwik no script img

Eingeschränkte Pressefreiheit verteidigt„Lügen und Erinnerungslücken“

Bei der A100-Blockade wurden Journalisten in ihrer Arbeit behindert. Verdi und Linke kritisieren die Senatsauskunft zu den Polizeimaßnahmen.

Die Polizei gewährleistet die freie Berichterstattung Foto: AdoraPress/M. Golejewski

Berlin taz | Am Morgen des 5. Juni hatte eine Gruppe von Jour­na­lis­t*in­nen die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen von Sand im Getriebe bei ihrer Besetzung der Baustelle der A100 begleitet. Ihr Arbeitseinsatz endete unmittelbar in einer polizeilichen Maßnahme: Sie wurden in Gewahrsam genommen und erhielten nach Abgabe ihrer Personalien Platzverweise. Auch im weiteren Verlauf des Tages behinderte die Polizei ihre Arbeit.

Zu dieser „polizeilichen Einschränkung der Pressefreiheit“ haben die Linken-Abgeordneten Niklas Schrader und Michael Efler eine Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort der Senatsverwaltung des Inneren, die sich auf die Angaben der Polizei bezieht, liegt der taz exklusiv vor. Daraus geht hervor, dass gegen die Jour­na­lis­t*in­nen aufgrund des „Anfangsverdachts des Hausfriedensbruchs“ ermittelt wurde. Ihre Identitäten seien nach der Einkesselung „priorisiert festgestellt“ worden; weitere einschränkende Maßnahmen habe es nicht gegeben.

Platzverweise seien nicht erteilt worden, eine erneute Personalienüberprüfung der Gruppe und Durchsuchung eines Journalisten seien Polizei und Innenverwaltung nicht bekannt, heißt es. Die Einschränkung der Berichterstattung bei einer zweiten Besetzung am Treptower Park sei lediglich aus Gründen des „Schutzes“ der Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen erfolgt.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union bei Verdi reagiert auf die Antworten entsetzt: „Das ist eine Mischung aus Lügen, Erinnerungslücken und PR-Washing“, sagt Landesgeschäftsführer Jörg Reichel der taz. So sei gegen die Gruppe nach der ersten Identitätsfeststellung ein „großflächiger Platzverweise“ ausgesprochen worden, so Reichel, der selbst vor Ort war und ebenfalls von den Maßnahmen betroffen war.

Berichterstattung verhindert

Es sei eine „Lüge“, dass ihnen das Fotografieren der Besetzung von einer Brücke aus gestattet worden sei. Als „skandalös“ bezeichnet Reichel die Nichtantwort auf eine zweite Kontrolle zwei Stunden später abseits des Geschehens, als die Fo­to­gra­f*in­nen gerade dabei waren ihre Bilder zu verschicken. Dabei kam es auch zur Durchsuchung eines Journalisten, der zuvor nach dem Rechtsgrund für die Maßnahme und einer Dienstnummer gefragt hatte. „Dass die Polizei keine Kenntnis davon haben will, wirft die Frage auf, wie sie ihr Einsatzverhalten dokumentiert“, so Reichel.

Dass die Polizei Journa­lis­t*in­nen bei der Blockade in Treptow am Vormittag 150 Meter auf Abstand hielt, begründet sie mit Gefahren auf der Baustelle und dem Schutz vor sich „aggressiv“ verhaltenden Klimaschützer*innen. Reichel widerspricht: Weder habe es auf dem sandigen Grundstück Gefahren gegeben, noch sei von den Ak­ti­vis­t*in­nen eine Bedrohung ausgegangen: „Hier wird der Schutz der Jour­na­lis­t*in­nen gegen die Jour­na­lis­t*in­nen gerichtet.“ Reichel zufolge habe die Polizei die Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen nicht vorgelassen, um die Ak­ti­vis­t*in­nen „auszuhungern und zur Abgabe ihrer Personalien zu bewegen“.

Über die andauernde Speicherung der Daten der Jour­na­lis­t*in­nen will sich die dju beim Innen- und Justizsenator und der Polizeipräsidentin beschweren, wie die Landesvorsitzende Renate Gensch der taz sagte. Bereits am 15. Juni habe es mit dem Leiter der Polizeipressestelle hierzu ein Gespräch gegeben – bislang ohne Ergebnis.

In der Antwort ist die Rede von „zwei Strafanzeigen – eine wegen des Verdachts des Hausfriedensbruches und eine wegen Verdachts der Sachbeschädigung“, die an dem Tag der Besetzung gefertigt worden seien. Ob sich diese gegen Jour­na­lis­t*in­nen richten, geht aus der Antwort nicht hervor. Aufgrund des friedlichen Verlaufs der Proteste hatte die Hausherrin der Baustelle, die Autobahn GmbH, angekündigt, gegen die Be­set­ze­r*in­nen keine Strafanzeige zu stellen. Die Polizei hatte dennoch Videoaufnahmen von allen Teil­neh­me­r*in­nen angefertigt. Diese müssten, wenn nicht doch noch eine Anzeige folgt, nach drei Monaten gelöscht werden.

Linken-Politiker Niklas Schrader nennt die Antworten auf die Anfrage „beschönigend“. Sowohl auf dem Privatgelände der Autobahn GmbH als auch in öffentlich zugänglichen Bereichen sei „die Pressefreiheit eingeschränkt“ worden. Er forderte einen „verbindlichen Kodex zur Garantie der Pressefreiheit bei großen Polizeieinsätzen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Es gibt schon bereits einen verbindlichen universalen und einen nationalen Rahmen für Einsätze der Polizei: die Menschenrechte und das Grundgesetz. Anzeigen hilft. Und zwar bei jedem einzelnen Bruch vom Schutz der Meinungs- oder Pressefreiheit durch Polizeieinheiten. Massenhaft. Ebenso massenhaft wie mittlerweile die Rechtsbrüche in Einsätzen der Polizei erfolgen. Bitte nicht abschrecken lassen von vorab oder nach der Klage (erfundenen) Gegenklagen von Seiten der Polizei. Das ist schon lange Standard und dient dem Selbstschutz nach begangenen Rechtsbrüchen. Es gibt doch kaum noch eine Demo bei der Pressevertreter:innen NICHT behindert, vom Geschehen abgedrängt, mit abenteuerlichen Behauptungen "geschützt" werden oder ganz offen beleidigt oder gewalttätig traktiert werden - von Polizeieinsatzkräften. Ohne Konsequenzen bislang. IN einer Demokratie. Man kann schon davon ausgehen dass Polizeieinheiten vor Ort egal welcher Demonstration sich unangreifbar in einem Rechtsfreien Raum wähnen, in dem sie nach Gutdünken schalten und walten können. Appelle an die vernunft bei Polizeiführung oder verantwortlicher Innenpolitiker:innen bringen nichts. Diese sind es ja, die seit Jahrzehnten eine unabhängige von UN und EU X-Mal in Deutschland angemahnte unabhängige Kontrolle der Polizei verhindern. Anzeige bei jedem einzelnen Rechtsbruch - unbedingt. Und die wenigen Anzeigen die es dann als Klage vor Gericht schaffen öffentlich Polizeikräfte aufklären, dass polizeiliches Willkürhandeln und Machtdemonstration zum Selbstzweck in einer Demokratie keinen Platz haben. Für diese Einstellung gibts genügend Dikataturen, in denen man sich bewerben kann. Da darf man dann ganz ohne rechtsstaatliche "Störfaktoren" nach Lust und Laune gegen "Staatsfeinde" und das "Pressegesocks" vorgehen.

    • @Nina Janovich:

      Was Sie weglassen, ist, dass natürlich auch die journalistische Arbeit ihre Grenzen im Grundgesetz und den darauf aufbauenden allgemeinen Gesetzen findet.

      Hinweise dazu sind da auch im Artikel zu finden.

      Ein Hausfriedensbruch kann natürlich auch von Journalistinnen begangen werden.

      Und wenn es um "Aushungern" geht, scheint es sich wohl nicht mehr um journalistische Arbeit zu handeln.

      Wo ich Ihnen völlig recht gebe: jeden vermeintlichen Rechtsbruch unbedingt anzeigen.

      Die Polizei mahnt es, die Gesetze einzuhalten, und Journalistinnen erfahren, wo die Amtshandlung dann doch eine Rechtsgrundlage hatte.

      • @rero:

        Wenn Demonstrierende ein Privatgelände oder eine "private" Baustelle betreten, begehen sie unter Umständen Hausfriedensbruch. Auch da kommt es auf eine Abwägung zwischen Privatinteresse und Demonstrationsrecht an. Beim Protest gegen den Bau der A100 besteht ein großes öffentliches Interesse und dürfte das Demonstrationsrecht überwiegen. Wenn Journalist:innen diesen Demonstrierenden folgen, um über die Demonstration zu berichten (und nicht um selbst zu demonstrieren oder Sympathie zu bekunden, oder Demonstrierende vor dem "Aushungern" durch die Polizei zu schützen" tun sie ganz einfach ihre Arbeit und sind von der Pressefreiheit geschützt. Insbesondere dann, wenn es ein großes öffentliches Interesse für einen Bericht über diesen Protest gibt - davon kann man ausgehen da der Bau der A100 seit Jahren umstritten ist - ist die Behauptung, dass nun auch die Pressevertreter:innen Hausfriedensbruch begehen würden eine fiktive Konstruktion. Da es ja auch von Seiten der Baustellenbetreiberin noch nicht mal Anzeigen gegen die Demonstrierenden gab entbehrt die Polizeiliche "Feststellung" vor Ort, dass Pressevertreter:innen "Hausfriedensbruch" begehen würden jeder rechtlichen Grundlage. Man kann also davon ausgehen dass die bloße Anwesenheit der Pressevertreter:innen vor Ort der Polizeieinheit nicht passte und sie mit fiktiven "Begründungen" versuchte die neutralen Berichterstatter:innen vom Platz zu verweisen bzw. kurzfristig Erfolg hatte damit.

        • @Nina Janovich:

          Sie setzen Annahmen vorraus, die falsch sind.

          Die Polizei darf und muss sogar die Personalien von festgestellten Beschuldigten bei Antragsdelikten feststellen, auch wenn das geschädigte Unternehmen hinterher auf einen Strafantrag verzichtet.

          Die Maßnahme wird dadurch nicht unrechtmäßig.

          Natürlich gab es kein "Aushungern", die Personen hätten vermutlich jederzeit sich etwas zu Essen kaufen gehen können.

          Wenn Journalist_innen bei Demonstrationen den Cateringservice übernehmen, sind sie nicht von der Pressefreiheit geschützt - wie gut Sie und ich die Aktion auch immer finden mögen.