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Georgischer Ern­te­hel­fe­r fliehtPflücken wie die Weltmeister

Zum ersten Mal arbeiten Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen aus Georgien auf deutschen Feldern. Doch es gibt Protest gegen die Arbeitsbedingungen.

Ein Knochenjob: Die Arbeit auf einem Erdbeerfeld Foto: Oliver Berg/dpa

Es ist eine Premiere: Zum ersten Mal arbeiten auch aus der Südkaukasusrepublik Georgien Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen auf ­deutschen Feldern. Denn offenbar ist diese Tätigkeit für immer weniger Ern­te­hel­fe­r*in­nen aus Polen und Rumänien attraktiv. Dafür ist der Knochenjob jedoch für Zehntausende in der ­ehemaligen Sowjetrepublik verführerisch. Zumindest bis vor einer Woche war das noch so. Doch dann ergriff ein ­Georgier, der auf einem Erdbeerfeld in Friedrichshafen geschuftet hatte, kurzerhand die Flucht.

Jemal Chachanize ist mutig. Der 30-Jährige berichtete in einem Video über die schwierigen Arbeitsbedingungen, filmte andere Arbeiter*innen, vor allem auch seine Landsleute, in Containern und auf dem Feld. Dann schickte er die Filme georgischen Medien. In dem Video beschweren sich die Arbeiter*innen, vor allem Frauen, dass sie doppelt so viel arbeiten müssten, um zu dem Geld zu kommen, das ihnen versprochen worden sei. Sie zeigen regennasse Wände, von Schlägen durchlöcherte Türen und zerstörte Decken ihrer Wohncontainer.

Die Berichte von Chachanize haben in seiner Heimat große Empörung in den sozialen Medien ausgelöst. Tausende georgische Use­r*in­nen schrieben Kommentare, wie: „Was die Deutschen machen, ist Menschenhandel.“ „Georgien ist eine stolze Nation, doch die Deutschen haben uns zur Sklaverei gezwungen.“

In weiteren Kommentaren heißt es, Eu­ro­päe­r*in­nen machten diese Arbeit nicht mehr und deswegen beuteten die Deutschen jetzt Menschen aus entfernteren Ländern aus. Viele in Georgien machen dafür ihre eigene Regierung verantwortlich. „Die Politiker schaffen es nicht, ihrem eigenen Volk gut bezahlte Jobs zu geben. Deswegen lassen sich die Leute auf diese Sklavenarbeit ein.“ Und: „Kommt alle in die Heimat zurück“. Auf 5.000 Stellen sollen sich nach Angaben des Verbandes Ostdeutscher Spargelbauern rund 80.000 In­ter­es­sen­t*in­nen aus Georgien beworben haben.

„Ich bin in einer Notsituation“

2009 stärkte die EU ihre Beziehungen zu sechs ehemaligen Sowjetrepubliken unter dem Namen „Östliche Partnerschaft“, einem Teilprojekt der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Ein Element ist die Möglichkeit für Staats­bür­ge­r*in­nen der Partnerstaaten, visafrei innerhalb des Schengen-Raums zu reisen. 2014 wurde Georgien dieses Recht eingeräumt. Ge­or­gie­r*in­nen benötigen für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen im Schengen-Raum kein Visum mehr.

Auch Jemal Chachanize machte von dieser Möglichkeit Gebrauch. Für die Zeit vom 1. Mai bis zum 1. August 2021 erteilte ihm die Bundesagentur für Arbeit eine dreimonatige Arbeitserlaubnis in einem Land- bzw. Forstwirtschaftsbetrieb. Etwa eine Woche hat es Chachanize auf dem Erdbeerfeld ausgehalten. „Ich bin in einer Notsituation. Ich habe keinen Job, kein Geld und pendle von einer Stadt zur nächsten“, sagt er im Gespräch mit der taz. Er versuche, Hilfe von der Georgischen Vertretung in Deutschland zu bekommen, doch die habe ihn unter Druck gesetzt, weil er vertragsbrüchig geworden sei.

„Alles picobello“

Er höre zum ersten Mal, dass sein Mitarbeiter seit etwa zwei Wochen nicht mehr bei ihm Erdbeeren pflücke, behauptet Walter Klink gegenüber der taz. Der Besitzer von „Klink Verwaltungs- & Vertriebs GmbH“ am Bodensee kann sich nicht ­erklären, wie das habe passieren können. Schlecht behandelt?

„Die Wohncontainer sind mit Sanitäranlagen picobello eingerichtet. Ich habe für die Leute neue Bettbezüge und Kissen gekauft – alles picobello“, sagt er. „Die Ar­bei­te­r*in­nen bekommen sogar jeden Tag von mir ein tolles Essen: Schweinebraten mit hausgemachten schwäbischen Spätzle“. Ein bisschen arbeiten müssten die Leute schon, sagt Klink dann noch.

Der Mindestlohn beträgt 9,35 Euro pro Stunde. So steht es im Vertrag. Chachanize sagt, es werde jedoch nach Gewicht bezahlt: 3 Euro für 5 Kilogramm. Er schaffte maximal 10 Kilogramm in einer Stunde. „Ich bezahle nach Leistungsprinzip“, erklärt Klink. Mit anderen Worten: noch mehr ­knüppeln, um etwas mehr als einen Hungerlohn zu ­verdienen. „Ich habe Rumän*innen, die 7 Kisten pro Stunde schaffen. Das macht 35 Kilogramm. Damit verdienen sie 21 Euro pro Stunde“, sagt er und fügt hinzu: „Meine Rumän*innen, die pflücken wie die Weltmeister.“

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10 Kommentare

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  • Genauso muss es gehen, dafür ist das neue Internet da: Bilder vom Feld in die Heimat, Sturm der Entrüstung, Nachfrage beim Botschafter, maximale mediale Aufmerksamkeit - nur über einen internationalen Rufverlust kann man bewirken, dass nach Ausbeutung der vorletzten Winkel Europas die letzten Winkel nun frühzeitig gewarnt sind.



    Und dann gibt's selber pflücken oder eben kein Spargel, keine Erdbeeren.

    Sie sind den Würdeverlust nicht wert.

  • Den Begriff "flieht" finde ich in diesem Zusammenhang unangemessen. Mir ist der Artikel auch zu einseitig. Jemal Chachanize hat einen Job im Ausland angetreten, dessen Erwartungen sich nicht erfüllt haben bzw. der ihm nicht lag. Also hat er diesen Job beendet. Zu seiner Bezahlung kann ich wenig sagen, dazu müsste man wissen, wieviel die anderen Mitarbeiter tatsächlich arbeiten (also ob die angegebenen 35 Kilo pro Stunde im Gegensatz zu seinen 2 Kilo pro Stunde der Realität entsprechen).

    Schlimm finde ich, dass es in seiner Heimat keine guten Jobs gibt. Da ist nur auf eine positive Veränderung zu hoffen bzw. müsste die EU evtl. mithelfen. Ich würde mich in Europa wohler fühlen, wenn die Lebensverhältnisse ausgeglichen wären.

  • zu allem Übelfluss: XX Prozent der Ernte landet im... Müllcontainer! Der Kapitalismus hats einfach nicht drauf.

    • @kommentomat:

      Klar, wenn im Sozialismus alle hungern, dann verkommt weniger. Aber es werden dann auch keine Erdbeeren mehr angebaut.

  • Man sieht an den wenigen Kommentaren, dass es die Leute nicht besonders interessiert.



    Wemn es ums Gendersternchen geht wird gepostet wie verrückt.



    Armselig!!!

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Herr Heil, hier sind auch Sie gefragt. Von der Landwirtschaftsministerin braucht man nicht reden.



    Zeigen Sie, was der Buchstabe S in ihrem Parteinamen noch bedeutet.

  • Wir reihen uns ein bei den klassischen, reichen Kulturen wie Athen, Rom, Amerika etc. - unser Reichtum gründet immer mehr auf Sklavenarbeit. Egal ob deutscher 1-Euro-Jober oder osteuropäischer Erntehelfer.

  • Unglaublich, bzw. glaubwürdig. Auch wenn ich die Spargelarbeiter hier bei Wind & Wetter und die dreckigen Busse am Feld sehe.



    Doch was mich auch erschreckt, das Foto vom Beitrag. Glaub doch keiner, das diese Hände 10 kg Erdbeeren/ Stunde pflücken müssen...



    Das Foto könnte auch bei der Auschreibung der Knochenjobs stehen.... oder für "selbstpflücken". Passt zu Hr Klink..."alles picobello". Warum lässt das Arbeitsamt das zu?



    Pfui.

  • „Meine Rumän*innen, die pflücken wie die Weltmeister.“ Pfiu!

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Das nächste mal dran denken wenn man leckere Bio-Erdbeeren kaufen geht! Für alles was wir im Deutschland machen und bekommen, muss irgendjemand für dich schuften!