Arbeitsbedingungen für Erntehelfer: Tod einer Saisonarbeiterin

Ein Landwirt beutete in Bayern Arbeiter aus. 2018 starb eine Ukrainerin, nachdem sie über Schmerzen geklagt hatte und nicht behandelt wurde.

Erntemaschine und Erntehelfer auf einem Feld.

Harte Arbeit als Enterhelfer_in auf Deutschlands Feldern (Symbolbild) Foto: Patrick Pleul/dpa

BERLIN taz | Nein, es war kein faires Arbeitsverhältnis zwischen Marianna J. und Alois Wagner, dem Chef des bayerischen Gemüsehofs, auf dem sich Ende Juli 250 ErntehelferInnen mit dem Coronavirus angesteckt haben: Die Arbeiterin aus der Ukraine sprach kein Wort Deutsch und schon gar nicht das breite niederbayerische Idiom Wagners, sie kannte ihre Rechte nicht, nach wenigen Monaten wollte sie wieder zurück in ihre Heimat.

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Das sind beste Bedingungen für Gurkenbauer Wagner, um osteuropäische Beschäftige auf seinem Großbetrieb in Mamming auszubeuten, ihnen weniger zu zahlen, als er müsste, sie einzuschüchtern, sie anzuschreien. J. kostete Wagners Rücksichtslosigkeit aber nicht nur Geld und Respekt: Sein fahrlässiger Umgang mit der Gesundheit von Beschäftigten kostete die Ukrainerin im Jahr 2018 möglicherweise sogar ihr Leben.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Lage der in normalen Jahren rund 300.000 Saisonarbeitskräfte etwa aus Rumänien, Polen oder Bulgarien in der deutschen Landwirtschaft. Gewerkschafter kritisieren schon lange, dass viele ErntehelferInnen ausgebeutet würden. Auch dem Gemüsebau Wagner mit in der Regel etwa 500 Aushilfen hat die Beratungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds für osteuropäische Arbeitnehmer vorgeworfen, er habe weniger als den gesetzlichen Mindestlohn gezahlt, den Arbeitern ihre Personalausweise vorenthalten und die Menschen ohne Coronasicherheitsabstand untergebracht.

Was sich aber Anfang Juli 2018 auf Wagners Hof ereignet hat, dürfte alle bisherigen Beschuldigungen übertreffen. „J. meldete Wagner über den Vorarbeiter mehrmals, dass es ihr schlecht ging, sie Schmerzen in der Brust und am Herzen hatte“, sagte der taz ein Insider, der aus Angst vor Repressalien hier nicht genannt werden möchte. „Um sechs Uhr morgens musste sie trotz massiver Beschwerden auf das Feld zum Arbeiten.“

Die KollegInnen hätten Angst gehabt, einen Krankenwagen zu rufen. „Herr und Frau Wagner sagten immer, dass ein Krankenwagen 1.500 Euro kostet und die Saisonarbeiter das aus der eigenen Tasche zahlen müssen.“ Erst nach ein paar Stunden Arbeit habe Alois Wagner die erkrankte Ukrainerin von einem Mitarbeiter in die Unterkunft fahren lassen. „Sie starb auf der Fahrt, die nur wenige Minuten dauerte.“ Auf der Sterbeurkunde, die der taz vorliegt, ist 8.30 Uhr als Zeitpunkt des Todes angegeben. Marianna J. wurde nur 34 Jahre alt.

Krankenwagen? Zu teuer

Ein weiterer Informant sagte der taz über den Fall: „Wagner hat das früh gewusst. Weil sie auf dem Feld sofort sagte, dass sie nach Hause fahren muss, weil sie nicht auf dem Flieger auf der Brust liegen konnte.“ Gurkenflieger sind Fahrzeuge mit zwei Auslegern einige Zentimeter über dem Boden, auf denen die Arbeiter bäuchlings die Gurken ernten. „Sie hat gesagt: Sie braucht Hilfe, sie braucht einen Krankenwagen, weil sie sich so schlecht fühlt.“ Man habe ihr aber dann geantwortet, sie müsse zu Fuß nach Hause kommen, obwohl das Feld einige Kilometer vom Hof entfernt lag. Und: „Wenn sie sich schlecht fühlt, dann muss sie heute oder morgen in ihre Heimat fahren. So war das immer.“ Denn ein Krankenwageneinsatz koste zu viel.

Wie der Landwirt mit seinen Ernte­helfern umgeht, zeigt eine Audioaufnahme, die der taz vorliegt

„Wenn jemand krank ist, schicken die nicht sofort ein Auto zum Feld, sondern sagen: Du musst sitzen und warten. Das dauert 3 oder 4 Stunden. Die Leute sitzen und warten oder gehen allein zu Fuß nach Hause.“ Wer krank war, bekam oft keine Hilfe, sondern Misstrauen: „Sie haben immer gesagt, wenn jemand krank war: Er hat letzten Tag zu viel Alkohol getrunken, lügt oder ist faul. Wagner ist kein guter Mensch“, sagt der Insider. Ein Grund sei die unzureichende Krankenversicherung der Arbeiter gewesen, sagt der andere Informant.

Später habe sich herausgestellt, dass J. schon länger Herzprobleme gehabt habe. „Wäre sie früher in das Krankenhaus gekommen, dann hätte man ihr helfen können“, kritisiert einer der Informanten.

„Diese Leute haben kein Herz“

Sogar nach ihrem Tod hätten die Wagners J. ausgebeutet. Der Witwer sei aus der Ukraine gekommen, um die Leiche seiner Frau zu überführen. „Er hat so wenig Geld bekommen“, berichtet einer der Informanten. Von ihrem ohnehin niedrigen Lohn für zwei Monate Arbeit habe der Betrieb Hunderte Euro abgezogen unter anderem für „Dokumente“. „Die Wagners waren so unnett zu ihm. Diese Leute haben kein Herz.“

Wie respektlos und unfair Wagner mit seinen Erntehelfern umgeht, zeigt auch eine Audioaufnahme, die der taz zugespielt wurde. Darin brüllen er und seine Frau eine osteuropäische Vermittlerin extrem laut an, weil ihre Gruppe Arbeiter bestimmte Papiere nicht übergeben habe. Mit diesen Dokumenten können Wagners die Arbeiter so beim Sozialversicherungsträger melden, dass sie wenig oder gar keine Beiträge zahlen müssen.

„Sage denen, dann kriegen’s ihr Geld und dann sollen sie verschwinden. Und ich will keinen mehr sehen!“, schreit Ursula Wagner die Vermittlerin an, die auf die Brülltiraden immer wieder nur leise antwortet: „Ja, Chefin.“ Wenn die Papiere nicht kämen, so Wagner weiter, werde sie alle entlassen.

Als dann Alois Wagner dazu kommt, wird es noch lauter: „Nein! Nein! Nein! Nein!“, brüllt er die Vermittlerin an, als sie einen Kompromiss vorschlägt. Doch für Wagner kommt nur eine Lösung in Frage: „200 Euro minus bei jedem – und fertig. Das ist dein Problem.“ Jedem Arbeiter der Gruppe sollten also 200 Euro vom Lohn abgezogen werden.

Immer Minusstunden

Das Audio belegt, dass die Wagners Schreie als Mittel einsetzen, um die Arbeiter einzuschüchtern. Denn sie brüllen nicht, weil sie sich so stark aufregen, dass sie kurzzeitig die Kontrolle verlieren. Stattdessen schreien sie ihre Untergebenen sofort zusammen. Wagner ist ein sehr stämmiger Mann mit mächtigem Bauch. Er redet schnell und mit breitem Dialekt. Sogar die wenigen Erntehelfer, die ein bisschen Deutsch können, dürften ihn kaum verstehen. Er hat die Macht auf dem Hof. Selbst wenn die Mitarbeiter die Polizei riefen, könnten sie sich wegen fehlender Deutschkenntnisse kaum verständlich machen.

Wagner habe regelmäßig den Arbeiter*Innen den Lohn gekürzt, sagen beide Insider. „Immer 6 Euro und immer Minusstunden. Sie haben immer irgendwelche Gründe für Minusstunden“, sagt einer der Informanten. Besonders wenn Wagners „schlechte Laune“ hätten. Denen, die sich beschwert hätten, habe er gedroht, noch mehr abzuziehen.

Um die Leute davon abzuhalten zu gehen, habe Wagner die Personalausweise einbehalten. „Die Leute haben gesagt: Wann bekommen wir die Pässe? Aber sie bekamen nie Antwort“, erzählt einer der Insider.

Der Coronausbruch auf dem Hof ist derzeit laut Robert Koch-Institut einer der größten in Deutschland. Das zuständige Landrats­amt Dingolfing-Landau geht nach eigenen Angaben ­davon aus, dass der Betrieb gegen das Hygienekonzept verstoßen hat, das Ansteckungen verhindern sollte.

Zwischenzeitlich mussten drei infizierte Erntehelfer des Gemüsehofs stationär im Krankenhaus behandelt werden. Am Montag war es noch eine Person, teilte das Amt der taz mit. Die ersten Fälle wurden Ende Juli diagnostiziert.

Eine 39-jährige Ukrainerin ist so schwer erkrankt, dass sie seit Ende Juli auf der Intensivstation liegt, wie aus dem Umfeld des Hofs zu hören ist. Ob sie überlebt, ist offen.

Alois Wagner war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zuvor hatte er jedoch die Vorwürfe zurückgewiesen, dass die Arbeiter nicht den Mindestlohn bekommen hätten. Die Ausweise habe er zur behördlichen Anmeldung eingesammelt und auf Wunsch wieder herausgegeben. Ob die Coronaregeln eingehalten wurden, wollte Wagner nicht sagen.

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