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Lockerungen der Corona-MaßnahmenMehr Rechte für Geimpfte

Mit großer Mehrheit stimmt der Bundestag für die Rückgabe von Grundrechten an Geimpfte und Genesene. FDP und AfD reicht das nicht.

Mit aller Kraft: Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) am Donnerstag im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

Mitten in der Bundestagsdebatte steht der Linken-Abgeordnete Friedrich Straetmanns auf und stellt seinem SPD-Kollegen Johannes Fechner eine Zwischenfrage. Ob denn die Leute nun auch draußen wieder Sport treiben dürften? Ja, auch das sei in der Verordnung geregelt, antwortet Fechner. „Ich freue mich, bald mit dir, lieber Friedrich, kicken zu können.“ Das Training, fügt er hinzu, hätten sie beide nötig.

Der Linke und der Sozialdemokrat spielen zusammen in der Fußballmannschaft des Bundestages – und das freundliche Geplänkel passt zum Ton der gesamten Debatte. Endlich geht es aufwärts in der Pandemiebekämpfung, endlich ist absehbar, dass sich das Leben wieder normalisiert.

Das Parlament hat am Donnerstag mit großer Mehrheit eine Verordnung beschlossen, die Geimpften und Genesenen grundgesetzlich geschützte Freiheiten wiedergibt. Dafür stimmten die Koalitionsfraktionen, die Linken und die Grünen. Die FDP-Fraktion enthielt sich, die AfD war dagegen. Passiert die Verordnung am Freitag auch den Bundesrat, könnte die Neuregelung am Sonntag in Kraft treten.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) rechtfertigte noch einmal, dass die Regierung seit über einem Jahr die Grundrechte deutlich eingeschränkt hat. Sie bezog sich auch darauf, dass das Verfassungsgericht am Mittwoch Eilanträge gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen der Coronanotbremse abgelehnt hatte. Der Gesetzgeber habe den Gesundheitsschutz als „überragend wichtiges Allgemeingut“ sicherzustellen, zitierte Lambrecht das Gericht.

Nach der Isolation

Sie verwies auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Geimpfte das Virus kaum noch übertrügen. Deshalb könnten Grundrechtseinschränkungen für diese Gruppen nicht mehr begründet werden. Menschen in Pflegeheimen sollten nach langer Isolation wieder gemeinsam im Speisesaal essen – oder Geimpfte am Muttertag ihre Mutter wieder sehen können. „Das ist ein wichtiger Schritt und ein rechtsstaatliches Gebot.“

Die Verordnung stellt vollständig gegen Covid-19 Geimpfte sowie davon Genesene mit negativ Getesteten gleich, wenn ein Test Zugangsvoraussetzung ist, etwa beim Friseur. Als vollständig geimpft gelten Menschen ab dem 15. Tag nach der zweiten Impfung. Als genesen gelten die, deren Infektion nicht länger als ein halbes Jahr zurückliegt.

Die Regelung sieht außerdem vor, dass sich Immunisierte in unbegrenzter Personenanzahl treffen können. Für sie gelten zudem Ausgangsbeschränkungen nicht mehr, auch Outdoor-Sport ist wieder erlaubt. Wenn sie Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, müssen sie auch nicht mehr in Quarantäne. Allgemeine Hygieneregeln wie Maskenpflicht und das Abstandhalten gelten aber für alle weiterhin.

Die Linke-Fraktion verband ihre Zustimmung mit Kritik. Fraktionsvize Susanne Ferschl sagte, dass sich Menschen, die in kleinen Wohnungen lebten und im überfüllten öffentlichen Nahverkehr zu Arbeit müssten, besonders häufig ansteckten. „Machen Sie diesen Menschen ein schnelles Impfangebot.“ Hätte die Bundesregierung, wie von der Linken gefordert, die Patente für Impfstoffe freigegeben, wären mehr Menschen geimpft, sagte Ferschl.

Der Kompass des Herrn Spahn

Die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann sagte, dass der Bundestag mit der Rückgabe der Rechte eine „verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit“ bekräftige. Sie warf der Koalition in der Frage einen unklaren Kurs vor. Weder von der Justizministerin noch von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe es eine Ansage gegeben. Wenn aber ein Bundesminister eine verfassungsrechtlich glasklare Frage zur Disposition stelle, stelle sich die Frage, „ob er seinen verfassungsrechtlichen Kompass in der Pandemie verloren hat oder je einen hatte“.

Spahn hatte seine Position in der Frage korrigiert. Im Dezember hatte er noch gesagt, keiner solle „Sonderrechte“ einfordern, bis alle die Chance zur Impfung gehabt hätten.

Der FDP gehen die Lockerungen der Koalition nicht weit genug. Die Regierung sei bei der Einschränkung von Grundrechten sehr schnell, leider lasse sie sich bei der Rückgabe mehr Zeit, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. „Freiheiten für Gimpfte und Genesene werden nicht scheibchenweise zugeteilt, Freiheitsrechte gibt es nur als ganzes.“

Die Verordnung klammere vollständig die Öffnung von Hotels, Gaststätten oder Freizeit- und Kultureinrichtungen aus. Es sei nicht ersichtlich, warum zum Beispiel ein geimpfter Gastwirt seinen Betrieb nicht öffnen könne, betonte Aschenberg-Dugnus. Die AfD ging noch weiter. Sie forderte das Ende des Lockdowns und aller damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen.

Bis einschließlich Mittwoch haben laut Robert Koch-Institut 30,6 Prozent der Deutschen eine erste Corona­schutzimpfung erhalten. Die nun beschlossenen Lockerungen gelten für rund zehn Millionen Menschen. Etwa 7,1 Millionen sind vollständig, also zweimal geimpft. 3,1 Millionen sind laut RKI genesen.

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10 Kommentare

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  • "Weder von der Justizministerin noch von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe es eine Ansage gegeben"

    Da hat Manuela Rottmann wohl die letzten Wochen geschlafen, von Christine Lambrecht gab es schon vor geraumer Zeit eine klare Ansage.

  • Der Staat kann Grundrechte nicht “zurückgeben”. Er kann sie gar nicht wegnehmen.

    Der Staat kann in Abwägung sich widersprechender Grundrechte Grundrechte per Gesetz einschränken. Die Einschränkungen dürfen nur solange bestehen, wie sich der Konflikt ergibt. Dabei dürfen die Grundrechte immer noch nicht in ihrem Wesensgehalt verletzt sein, übrigens. So weit dürfen die Einschränkungen nie gehen.

    Die Regierung darf im Notfall kurzfristig übersteuern. Das Parlament muss dann schnell das Gesetz liefern, um Klarheit herzustellen.

    Wie schade, dass das Grundgesetz so wenig Beachtung findet inzwischen. Es ist eine der besten Verfassungen, die es je gab.

    • @Volker Birk:

      Eben.

      Die Neiddebatte offenbart ein wirklich erschreckendes, flächendeckendes Unverständnis selbst einfachster verfassungsrechtlicher Grundlagen in Deutschland. Mindestens 40 Prozent scheinen ernsthaft zu glauben, man könne Grundrechte aus "Solidarität" oder "Fairness" einschränken, und vom Grundsatz "Was ungleich ist, muss auch ungleich behandelt werden" haben wahrscheinlich die meisten noch nie etwas gehört.

      • @Suryo:

        Es geht den meisten vermutlich nicht um Neid.

        Es geht einmal um die Frage, ob die geimpften Leute tatsächlich kein Risiko für andere mehr darstellen. Man erinnere sich an die kühnen Aussagen, Schulen seien keine Treiber der Pandemie.

        Und zum anderen gibt es das Problem, dass man nicht nur einfach Regeln erlassen kann, sondern sie müssen auch in einer tolerablen Weise kontrollierbar sein. Eine Regel wie eine Ausgangssperre (für nicht Geimpfte), um nächtliche Parties zu vermeiden ist beispielsweise blöd, aber ist immer noch viel besser als wenn die Polizei in Wohnungen gehen müsste. Und leider spielt im Fall der Pandemie eben konsistentes Verhalten eine weit größere Rolle als in vielen anderen ähnlichen Bereichen.

        • @jox:

          Ich habe nicht den Eindruck, dass es darum geht. Es geht darum, dass anderen nicht gegönnt wird, was man selber noch nicht haben kann.

          • @Suryo:

            Es geht um eine Generalisierte Verurteilung von 99% aller Menschen, denen man unterstellt, eine Gefahr zu sein, selbst wenn sie es nicht sind.

            Grundrechte werden ohne jegliche Beweislast eingeschränkt und können sich durch Beweis einer nicht vorhandenen Infektion und damit Gefahr nicht einmal wieder erlangt werden.

            Und DAS ist die Krux an der Sache. Es wird mit der Gefahr argumentiert, die nicht ausginge von Geimpften (was nicht einmal vollständig erwiesen ist). Gleichzeitig wird aber allen anderen unterstellt, eine Gefahr zu sein. Ich habe ja nicht die Möglichkeit, auch nicht mit Test, die Kontaktbeschränkung nicht einhalten zu müssen. Selbst, wenn ich nachweisen kann, keine Gefahr zu sein (was alleine schon falsch ist, eigentlich muss man mir nachweisen, eine Gefahr darzustellen, um meine Rechte zu beschränken, nicht andersherum) habe ich keine Möglichkeit auf Ausübung meiner Grundrechte.

            Und eine solche Definition von „Grundrechten“ oder Gleichstellung aller Menschen ist und bleibt nicht rechtmäßig.



            Hier MUSS jedem ermöglicht werden, die gleichen Möglichkeiten haben zu können. Und diese können und dürfen nicht an die Einnahme pharmazeutischer Erzeugnise gekoppelt werden.

  • Mit anderen Worten: für meinesgleichen (Leute Mitte 20) ist eine Infektion mit Sars-CoV-2 der mit Abstand schnellste Weg, um das Pflegen sozialer Beziehungen zu entkriminalisieren.

    • @Luftfahrer:

      Falls Du nicht in einer Risikogruppe bist, ist es vermutlich auch der ungefährlichste.

      • @Volker Birk:

        > Falls Du nicht in einer Risikogruppe bist, ist es vermutlich auch der ungefährlichste.

        Ganz sicher nicht. Hier sind die Daten:

        en.wikipedia.org/w...tion_fatality_rate

        Das heißt, auch für jemanden der Anfang 20 ist, ist die Infection Fatality Rate um die 0.01%. Also etwa einer von 10,000 Infizierten stirbt. (Dazu kommen noch die nicht ganz selten heftigen Langzeitfolgen von Long Covid, deren Stärke unabhängig vom Sterberisiko und dem Risiko einer schweren Erkrankung zu sein scheint. Z.B. habe ich erst vorgestern mal wieder vom Fall einer Dreißigjährigen gehört, die vorher "fit wie ein Turnschuh" war, Organisationstalent und Turniertänzerin war, jetzt aber nur noch eingeschränkt arbeiten kann und Mühe hat sich zu konzentrieren.)

        Das Sterberisiko der Impfungen ist demgegenüber im Bereich von eins zu einer Million, also um einen Faktor hundert geringer.

        Die Impfungen könnten noch andere Nebenwirkungen haben, aber diese sind mit ziemlicher Sicherheit geringer als das Risiko von Long Covid, sonst wären diese Impfstoffe nie zugelassen worden.

        Wobei man sagen muss, dass es nicht ganz einfach ist, so kleine Risiken statistisch sicher auszuwerten. Man muss ja die sonstigen Risiken und Faktoren herausrechnen, weil sonst alles im "Rauschen" untergeht.

  • Ich sach's mal so: Rechte sind die kleinen Schwestern der Pflichten.