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Statistik des BKAHöchststand bei rechter Gewalt

Politisch motivierte Straftaten haben den höchsten Stand seit Einführung der Statistik erreicht. Eine Beobachterin hält die Zahlen für unvollständig.

Reichsbürger demonstrieren am Brandenburger Tor gegen die Corona-Maßnahmen im März 2021 Foto: Snapshot

Berlin taz | Die politisch motivierten Straftaten haben 2020 den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001 erreicht. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im vergangenen Jahr 44.692 solcher Straftaten registriert, das sind 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Mehr als die Hälfte dieser Straftaten, insgesamt 23.604, gehen auf das Konto von Rechten.

Das sind 5,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor – ebenfalls ein neuer Höchststand. „Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere Gesellschaft“, sagte CSU-Innenminister Horst Seehofer am Dienstag in Berlin und verwies auf eine „Blutspur“, die sich durch das Land gezogen habe.

„Der traurige Rekord rechter Straftaten kommt nicht überraschend“, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Seit Jahren befeuern Rechtsradikale in den Parlamenten und auf der Straße eine Rhetorik des Hasses, die sich immer mehr in Gewalt entlädt.“ Angehörige von Minderheiten spürten diese wachsende Aggression schon lange.

Bei den politisch motivierten Gewalttaten, also etwa Körperverletzungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt, lag die Anzahl der Fälle mit 3.365 Straftaten laut BKA im vergangenen Jahr sogar um fast 19 Prozent über dem Wert des Vorjahres und damit etwa auf dem Niveau von 2018. Hier sind insbesondere die links motivierten Taten angestiegen. Das BKA registrierte 1.526 solcher Delikte, 45 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Gewaltdelikte, die auf das Konto von Rechten gingen, stiegen laut BKA um gut 10 Prozent auf 1.092. Darunter aber ist die schlimmste Tat des vergangenen Jahres: der rassistische Anschlag von Hanau, bei dem neun Menschen ermordet wurden.

Judith Porath, Vorstand des Verbands der unabhängigen Opferberatungsstellen, betonte, dass die von den Polizeibehörden der Länder gemeldeten Zahlen zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt erneut unvollständig seien. Die in acht Bundesländern vertretenen Anlaufstellen zählten im vergangenen Jahr 1.322 rechte und rassistische Angriffe. Mindestens drei bis vier Menschen würden täglich Opfer rechter Gewalt, sagte Porath.

Zwei Menschen wurden 2020 durch islamistisch motivierte Taten getötet. Insgesamt nahm die Anzahl der religiös motivierten Straftaten mit 12 Prozent auf 477 zu, liegt aber deutlich unter den Werten vergangener Jahre.

Im Zusammenhang mit der Coronapandemie registrierte das BKA insgesamt 3.559 politisch motivierte Straftaten, darunter 478 Gewaltdelikte. Die Mehrheit der Straftaten – knapp 60 Prozent – konnten die Behörden politisch nicht zuordnen. 22 Prozent werden Rechten, 18 Prozent Linken zugerechnet, bei Letzteren geht es aber auch um Gegendemos.

Bei den Coronaprotesten nähmen Menschen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr, sagte Seehofer. Für die Sicherheitsbehörden problematisch sei aber, „dass sich neue Koalitionen zwischen normalen Demonstranten und Anhängern von Verschwörungsideologien, Impfgegnern, Esoterikern, Reichsbürgern, Selbstverwaltern und sonstigen Extremisten bilden“.

Mehr als verdoppelt hat sich gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Straftaten, die sich gegen staatliche Einrichtungen und Symbole, Amts- und Mandatsträger richteten. Um fast ein Fünftel haben die Delikte im Bereich der Hasskriminalität zugenommen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nannte die Zahlen „absolut alarmierend“ und forderte ­einen „Schulterschluss aller Demokraten“.

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7 Kommentare

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  • Zum Glück hat der sächsische Verfassungsschutz schon 2015 damit begonnen rechte Straftaten nach unterschiedlicher Coleur abzumildern. Da wird von rechtsextrem, rechts, islamfeindlich, islamkritisch, antisemitisch und so viele Untergruppen gruppiert, das nachher niemand mehr weiß ist das noch rechts oder nicht.

    Dabei wird jede Straftat einer Gegendemo AUTOMATISCH als "linke Straftat" beziffert.

    Wir wissen dann das wie in Leipzig letzten Jahres. Wo die Polizei vor den Faschos der Anti-Corona-Demos flüchteten, keine Anzeige aufnahm. Das Polizisten verletzt wurden zu denen es keine Ingewahrsamnahmen oder gar Verurteilungen es gab.



    Gleichzeitig wurde an diesem Tag aber mehrere Menschen vom Gegenprotest mit Wasserwerfer und Co. malträtiert und natürlich ingewahrsam genommen. So schönt man einen Bericht. Das dazu dann auch nur bedingt an Informationen stehen, kann nun auch endlich vermitteln WARUM die Polizei damals und im Grunde auch bis heute nicht aktiv wurde.

    Es würde einfach die Zahlen sprengen, wenn Anti-Corona-Demos mit Attila und Co. dem rechten Spektrum zugeordnet werden würden...

    Also diese Zahlen sind der absolute Mumpitz!

  • Die Statistik des BKA zu: "Körperverletzungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt" muss mit Vorsicht gelesen werden. So werden Opfer von Polizeigewalt fast immer mit Gegenanzeigen (erfundenem Widerstand gegen die Staatsgewalt) angezeigt. Auch um im Falle einer Anzeige gegen unrechtmäßig gewalttätige Polizeihandlungen die Polizeigewalt zu rechtfertigen. Man müsste hier die (angezeigten) Fälle von Körperverletzung im Amt gleich mal abziehen.

    • @Nina Janovich:

      Kann man den Beamten unterstellen, aber bleibt halt eine Unterstellung, ne?

  • Die Statistik des BKA zu: "Körperverletzungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt" muss mit Vorsicht gelesen werden. So werden Opfer von Polizeigewalt fast immer mit Gegenanzeigen (erfundenem Widerstand gegen die Staatsgewalt) angezeigt. Auch um im Falle einer Anzeige gegen unrechtmäßig gewalttätige Polizeihandlungen die Polizeigewalt zu rechtfertigen. Man müsste hier die (angezeigten) Fälle von Körperverletzung im Amt gleich mal abziehen.

  • Sowas passiert halt, wenn immer mehr rechte Einzeltäter unterwegs sind.

  • Klar ist, dass bei den nicht zuzordnenden Straftaten einige rechte dümpeln, die mutwillig nicht als solche aufgeführt werden. Während alles was irgendwie nur halbwegs passend scheint, links zugeordnet wird. Traue niemals einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!



    "politisch motivierten Gewalttaten, also etwa Körperverletzungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt" werden zusammengefasst - aber die Querdenker tauchen kaum auf, obwohl sie Widerstand leisten - nur gleich von der Polizei laufen gelassen werden.

  • Was sind denn bitte "ausländische Ideologien" ?