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Gekaperter Ryanair-Flug in BelarusEntführer im Präsidentenamt

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Alexander Lukaschenko jagt Oppositionelle jetzt auch in der Luft. Die Konsequenz: Europas Fluggesellschaften sollten Belarus nicht mehr überfliegen.

Lukaschenko demonstriert mit seiner Aktion: „Ich habe die Macht. Ich kriege euch.“ Foto: Maxim Guchek/ap

D ie Botschaft von Diktator Lukaschenko mit der Entführung des Ryanair-Flugzeugs ist eindeutig: Wer jetzt immer noch über Belarus fliegen möchte, gefährdet sich und die Mitreisenden. Nicht auszuschließen, dass der Abfangjäger, der dem Ryanair-Flugzeug hinterhergeschickt wurde, seine Drohung, das Feuer zu eröffnen, wahr gemacht hätte, wenn die Piloten der Aufforderung zur Landung in Minsk nicht nachgekommen wären. Nun muss den Fluggesellschaften ein Überfliegen von Belarus verboten werden, im Interesse des Lebens der Passagiere.

Hinter diesem brutalen Akt einer staatlich organisierten Flugzeugentführung steckt noch eine weitere Message. Und die heißt: „Ich habe die Macht. Ich kriege euch.“ Nachdem Lukaschenko mehr oder weniger erfolgreich seine Gegner und Kritiker im Lande, unabhängige Medien, AktivistInnen, MenschenrechtlerInnen, OppositionspolitikerInnen, UmweltschützerInnen gejagt und mundtot gemacht hat, macht er sich nun an die, die noch rechtzeitig eine Flucht ins Ausland geschafft hatten.

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die noch vor einer Woche über die gleiche Flugstrecke Griechenland besucht hatte, sollte sich in Zukunft sehr genau die Route eines Fluges ansehen, bevor sie diesen bucht. Sie könnte sich sonst als Nächste gegen ihren Willen auf dem Minsker Flughafen wiederfinden.

Kaum vorstellbar, dass Belarus eine derartige Flugzeugentführung alleine bewerkstelligt hat. Nur wenige wussten von Roman Protassewitschs Griechenland-Aufenthalt. Für derartige Aktionen brauchen Geheimdienste eine gewisse Infrastruktur. Belarus, das in Athen nicht einmal mit einem Botschafter vertreten ist, wird kaum über die dazu notwendige Infrastruktur verfügen. So ist anzunehmen, dass der große Bruder, der russische FSB, Amtshilfe geleistet hat.

Lukaschenko hat von Putin gelernt

Und in Russland hat man Erfahrung im Umgang mit Oppositionellen im Ausland. Der mit Polonium 2006 tödlich vergiftete Alexander Litwinenko, der in Wien 2009 ermordete Umar Israilow, ein Gegner des tschetschenischen Regierungschefs Kadyrow, der 2018 von Deutschland nach Russland abgeschobene Kadyrow-Gegner Schamil Soltamuradow, der inzwischen zu 17 Jahren Haft verurteilt wurde, machen deutlich, dass das russische Vorbild, Regimegegner auch im Ausland zu jagen, wohl in Alexander Lukaschenko einen Nachahmer gefunden hat.

Für Deutschland heißt das: Wir müssen Menschen, die vor Verfolgung in Belarus und Russland geflohen sind, schützen, auch wenn dies bedeutet, dass wir für einen Flug, der belarussisches Territorium umgeht, etwas tiefer in die Tasche greifen müssen und wir vielleicht auch Gegensanktionen Lukaschenkos ertragen müssen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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26 Kommentare

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  • Was problemlos mit Oppositionellen im Luftraum geht, sollte mit Despoten am Boden doch ebenso problemlos möglich sein - oder etwa nicht? Wo bleibt eigentlich James Bond, wenn man ihn mal wirklich braucht?

  • "Nur wenige wussten von Roman Protassewitschs Griechenland-Aufenthalt. Für derartige Aktionen brauchen Geheimdienste eine gewisse Infrastruktur."

    Naja, so wie ich es verstanden habe hat entweder er oder seine Freundin Photos von dem Aufenthalt auf Instagram gepostet. Ich vermute mal, dass selbst in Belarus die Resourcen dafür da sind, dies zu bemerken...

  • Ach, Herr Clasen, was für eine schöne Überschrift über ihren Kommentar. Ein Entführer im Präsidentenamt. Googlen sie mal nach einem Ereignis am 10.10.1985 im Mittelmeer. Ein Präsident befiehlt das Abfangen eines Zivilflugzeuges durch bewaffnete Jagdflugzeuge und die zwingen es zur Landung auf einem NATO-Flugplatz, ohne die Regierung des Landes zu konsultieren, auf dessen Territorium dieser Stützpunkt liegt. Ja, dieser Präsident schickt auch gleich bewaffnete Truppen hinterher, unter Verletzung der territorialen Integrität eines engen Verbündeten.



    Ob sie über diesen Präsidenten auch so einen Kommentar veröffentlicht hätten?

    • @Gottorf Reinhard:

      So sieht die Chronik aus: 10.10.1985

      Einen Tag nach der Freilassung der Geiseln an Bord des italienischen Kreuzfahrtschiffes “Achille Lauro” wird eine gecharterte Boeing 737 mit den vier palästinensischen Kidnappern an Bord von US-Kampfflugzeugen zur Landung auf Sizilien gezwungen.

      Protasewitsch und seine Freundin also gleichsetzen mit palästinensischen Terroristen? Reagan gleichsetzen mit einem Despoten von Putins Gnaden? Das erreicht noch nicht mal die Höhe des Whataboutism.

    • @Gottorf Reinhard:

      Whataboutism.

      Was lässt Sie daran zweifeln, dass er es getan hätte?

    • @Gottorf Reinhard:

      Damals war es von Arabern gekidnappte Maschine, diesmal saß ein Regierungskritiker drin. Letzterer ist aus Sicht des Belarus-Präsis natürlich auch ein Terrorist... Äpfel und Birnen.

    • @Gottorf Reinhard:

      Soweit ich weiss, hat aber Raman Pratassewitsch vorher kein Schiff entfuehrt, war weder Geiselnehmer noch hat er einen Mord begangen.

  • Was ich mich frage ist, ob die Abfangjäger denn wirklich das Feuer eröffnet hätten, wenn sich die Piloten geweigert hätten, zu landen. Man stelle sich vor: die schiessen ein Passagierflieger mit 150 Zivilisten an Bord ab. Kaum vorzustellen oder?

    • @joaquim:

      Schon mal von MH-17 gehört?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @joaquim:

      Haben Russlands Söldner über der Ostukraine auch gemacht und? Die Europäer würden maximal neue Sanktionen verhängen. Einen Konflikt will niemand in Europa, aber wer nicht bereit ist zu kämpfen für die eigenen Werte der geht halt unter.

    • @joaquim:

      Lockerbie hat sich auch niemand vorstellen können.

  • Schon vergessen das Europa etwas Ähnliches auch schon getan hat?

    Es wurde im Juli 2013 das Flugzeug des Präsidenten (!) Evo Morales zur Landung in Wien gezwungen und nach Edward Snowden durchsucht.



    Leider fehlt ein solcher Hinweis im Artikel.

    Auch ein Vergleich z.B. der Verfolgung und wohl unrechtmäßige Verhaftungen und Verurteilungen von Assange und Nawalny zeigt, das es in Europa auch nicht immer rechtsstaatlich zugeht. Es steht schon lange eine Verurteilung des Verhaltens Großbritanniens durch deutsche Regierungspolitker.



    Auch Edward Snowden lässt Grüßen, was Rechtsstaatlichkeit angeht.



    Es sieht so aus, wenn jemand dem "System" hier gefährlich werden kann, wird er/sie auch in Europa und in den USA unbarmherzig und unter Aussetzung des Rechtsstaats verfolgt. Dann halten in Deutschland die meisten Politiker die Füße still und wagen es nicht Kritik zu üben.



    Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Aber wir sind ja die Guten und die da drüben die Schlechten.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @ismirnichegal:

      Ich bin echt froh das die Briten im zweiten Weltkrieg obwohl sie viel Dreck am Stecken hatten sich nicht ihre Logik zu eigen gemacht haben.

    • @ismirnichegal:

      Whataboutism.

      Die Maschine von Morales wurde im Übrigen nicht zur Landung gezwungen. Die Überflugsrechte für mehrere Länder wurden verweigert. Andere Wege wären möglich gewesen.

      Das Vorgehen bei Morales war kein Verstoß gegen das Chicagoer Abkommen, da kein Staat verpflichtet ist, Überflugsrechte an Staatsflugzeuge zu erteilen.

      Das Vorgehen von Belarus ist ein Verstoß gegen das Chicagoer Abkommen und damit Luftpiraterie, da die Landung eines Zivilflugzeuges nur in bestimmten Fällen erzwungen werden darf.

      Es ist mir übrigens scheißegal, ob jemand mit zweierlei Maß misst, wenn er ein Menschenleben rettet. Dass er selbst dann auch in die Pflicht genommen werden muss bei seinen eigenen Handlungen ist etwas anderes. Aber das Verbrechen des Einen rechtfertigt nicht das Verbrechen eines anderen.

      • @PPaul:

        Ähm, doch. Da Morales weder weiterfliegen noch es zurück nach Russland geschafft hätte, haben sie ihn zur Landung gezwungen, denn ohne diese Landung wäre das Flugzeug wegen Treibstoffmangels abgestürzt.

        Dass der Zwang nicht formal ausgesprochen wurde, ist eine reine Spitzfindigkeit. Der Zwang ergab sich durch die normative Kraft des Faktischen, wie man so schön sagt.

        • @Sylkoia Sal:

          Er hätte jederzeit in Wien tanken und zurückfliegen können. Sie konstruieren einen Zwang, wo keiner war.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @ismirnichegal:

      Es wird ständig mit zweierlei Maß gemessen, da haben sie recht!



      Insbesondere wenn es um Geschäfte mit China geht.

    • @ismirnichegal:

      Dein Kommentar ist richtig, was die Machenschaften auch der westlichen Welt angeht, aber diese Luftentführung hat doch eine neue Dimension oder? Eine Passagiermaschine zur Landung zu zwingen und jemanden rausholen, ist schon ein starkes Ding. Und den Protassewitsch in Griechenland auftreiben, tja, richtiger mieser Geheimdienst-Scheiss!

      • @joaquim:

        Das finde ich schwer zu beurteilen, was schwerer wiegt, eine Diplomaten-Maschine eines Präsidenten, der Immunität hat, durch Entzug der Überflugrechte zur Landung zu zwingen, oder eine Passagiermaschine mit Kriegsflugzeugen zur Landung zu zwingen. In beiden Fällen ging es um Menschen, die aufgrund Ihrer Berichterstattung mit Haftbefehl gesucht werden. Ich finde beides etwa gleich krass. Und beides ziemlich krass. Ich finde es jedenfalls schwierig, wenn „hier“ etwas von „dort“ angeprangert wird, was „hier“ auch schon billigend gemacht wurde.

        Übriges ähnlich finde ich Assange und Nawalny. Nawalny landete in den meisten Medien hier in der Berichterstattung mehrere Tage immer wieder auf Seite 1, der Prozess von Assange, der m.E. elementare Rechtstaatlichkeit skandalös vermissen lässt, landet irgendwo ab und zu auf Seite 3 bis 12. Eher deutlich weiter hinten.

        Was leider zeigt, dass diese einseitig gefärbte Berichterstattung kein Einzelfall ist. Ich wünsche mir in diesem Land Medien und Politiker, die beides gleichermaßen anprangern und sanktionieren.

        • 9G
          97627 (Profil gelöscht)
          @ismirnichegal:

          Richtig.

  • "seine Drohung, das Feuer zu eröffnen, wahr gemacht hätte, wenn die Piloten der Aufforderung zur Landung in Minsk nicht nachgekommen wären"

    Mal abgesehen das sowas den dritten Weltkrieg auslösen könnte... Ja, jemand wie Lukaschenko wäre es zu zu trauen. Dumm genug wäre er.

    Aber was will man machen? Der Sicherheitsrat ist handlungsunfähig. Die Nato per Definition ebenso und die EU - Ok, schlechter Witz. Da wird es eine scharfe Protestnote geben. Da bin ich mir sicher.

  • Es existieren Fotos von Protassewitsch, die den festgenommenen Blogger in eine weissrussische Landesfahne gehüllt zeigen. Können wir sicher ausschliessen, dass er ein Nationalist ist, wie Navalny? Man sollte Nazis nicht zu Helden hochstilisieren. Der Feind meines Feindes ist nicht immer automatisch auch mein Freund!

    • @VanessaH:

      Das sind doch mal Maßstäbe... Ich hab mal ein Foto gesehen, da sitzt Putin vor einer russischen Flagge, das fiel mir grad wieder ein und jetzt frag ich mich: Ist in Minsk vielleicht noch 'ne Zelle frei?

  • europäische Fluggesellschaften werden zukünftig Belarus ( für 2 - 3 Monate ? )nicht mehr überfliegen..... die politische Führung, ihr Präsident sind starr, gelähmt vor Angst und Schrecken.



    Das freie Europa schlägt zurück.... brutal, rücksichtslos, diese Massnahmen erschüttern Belarus in den Grundfesten.



    Ich glaub nicht was für zahnlose Tiger die Europäer sind.



    Vorschlag Ikea ....stellt sofort ihre beachtliche Möbelproduktion ein.



    Das tut weh, das versteht so ein Sch....kerl

  • 9G
    97627 (Profil gelöscht)

    Wäre die Sprache nur so klar auch bzgl. Österreich und den USA eingesetzt worden.

  • Lukaschenko hat nicht nur von Putin gelernt, sondern auch von Obama:

    taz.de/Archiv-Such...nowden%2Bflugzeug/

    Wie will man in dieser Sache nun gegen Lukaschenko oder Putin den moralischen Zeigefinger erheben, ohne sich lächerlich zu machen?