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Debatte über einstiges NS-HäftlingslagerNeue Chance für würdiges Gedenken

Die Pläne für das einstige ZwangsarbeiterInnenlager im Hamburger Hafen sind unklar. Mit Investoren geplante Gedenkorte haben bisher kaum funktiert.

Fast aus der Erinnerung gefallen: das einstige Hamburger ZwangsarbeiterInnenlager Foto: Elbe&Flut / Thomas Hampel

Hamburg taz | Er wirkt wie eine Verdichtung der komplexen, tragischen Geschichte: der einzelne Stolperstein vor dem Lagerhaus G am „Dessauer Ufer“ im Hamburger Hafen, jenem 24.000 Quadratmeter großen Backsteinbau von 1903, in dem die SS 1944/1945 mehrere tausend Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen kasernierte.

Der Stein gilt der aus Prag stammenden Margarethe Müller, die 1944 vom KZ Auschwitz zur Zwangsarbeit in dieses größte Frauenlager des KZ Neuengamme deportiert wurde und dort starb. Er wurde nach einer Beschädigung auf Initiative Güven Polats erneuert, der die Eigentümergemeinschaft vertritt.

Er sagt, er habe etliche Schicksale niederländischer Häftlinge erforscht, pflege Kontakte zu Opferverbänden und sei im Vorstand der 2020 gegründeten niederländischen „Heritage Foundation Lagerhaus G“. Der Stolperstein solle der erste einer größeren Reihe sein, sagt Polat. Denn natürlich gebe es weit mehr Menschen, deren Schicksal gewürdigt gehöre, und zwar in einer individuelleren Form, als es die beiden Gedenktafeln an der Fassade tun.

Denn zu den bereits internierten russischen und italienischen Kriegsgefangenen kamen im Juli 1944 zunächst 1.000 ungarische und tschechische Jüdinnen aus dem KZ Auschwitz ans Dessauer Ufer. Einen Monat später folgten 500 polnische Jüdinnen aus Auschwitz, die man aus dem Getto Lódż geholt hatte. Sie alle mussten im Zuge des „Geilenberg-Programms“ – ein Sofortmaßnahmenprogramm zur Rettung der zerstörten Mineralölindustrie – für Konzerne wie Rhenania Ossag (Shell) und Ebano-Oehler (Esso) Aufräumungsarbeiten verrichten.

Maroder Zustand

Die Fluktuation war hoch: Nachdem die SS die Frauen auf andere Lager weiterverteilt hatte, folgten 2.000 männliche Häftlinge aus dem KZ Neuengamme, gleichfalls für das „Geilenberg-Programm.“ „Ein Kommando musste auch Panzergräben bei Hittfeld ausheben“, vermerkt zudem die Internetseite der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Die Überlebenschancen derer, die in Innenräumen arbeiteten, waren größer als im KZ – weshalb die aus Auschwitz kommenden Frauen bei der Ankunft Hoffnung schöpften, wie sie später erzählten. Den Männern erging es schlechter: 150 von ihnen kamen bei einem Bombenangriff ums Leben. Weitere starben im April 1945, als die SS das Lager räumte und die Häftlinge auf „Todesmärsche“ unter anderem ins Lager Sandbostel schickte.

An all dies erinnert fast nichts, im Gegenteil: Der riesige Backsteinquader im einstigen Freihafen in Hamburg-Veddel liegt außer Sicht- und Erinnerungsweite. Und derzeit, sagt Eigentümervertreter Polat, erlaube die Hamburg Port Authority (HPA) aufgrund des Hafenentwicklungsgesetzes nur eine hafenkonforme Nutzung – weshalb die Hallen als Lager dienten.

Doch das denkmalgeschützte Gebäude gilt als marode. „Wir sorgen uns seit langer Zeit um den Zustand des Lagerhauses G“, sagt Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Hamburger Denkmalvereins. „Durch Löcher im Dachbereich ist jahrelang Feuchtigkeit ins Gebäude eingedrungen und hat erhebliche Schäden an den Holzkon­struktionen des Daches und der Decken verursacht. Im Mauerwerk der Außenwände haben sich starke Risse gebildet, und die Holzpfahlgründung ist möglicherweise nicht mehr tragfähig.“ Daher könne die Standsicherheit des Gebäudes bedroht sein, weshalb es wichtig sei, „sehr bald mit der Sanierung zu beginnen“.

Teure Sanierung schafft Probleme

Auch die Initiative Dessauer Ufer, 2017 von StudentInnen und StadtteilaktivistInnen gegründet und in Erforschung, Gedenk-Aktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit hoch engagiert, mahnt eine baldige Sanierung an.

Die wird wohl einen zweistelligen Millionenbetrag erfordern, und hier beginnen die Probleme. Denn die Stadt Hamburg hat schon einmal versucht, sich dieser Kosten zu entledigen: 1997 verkaufte sie den eigentlich zum Abriss avisierten Bau an einen Investor – mit der Auflage zu sanieren. Es unterblieb, der Eigner starb 2017, seine Firma ging insolvent.

Mit der aktuellen Eigentümergemeinschaft, die das Gebäude 2018 erwarb, steht nun der nächste Investor in der Pflicht, und Polat sagt, man habe bereits stabilisierende Reparaturen vorgenommen. Doch generell seien ihnen die Hände gebunden, solange die Hoheitsrechte ungeklärt seien.

Die sind in der Tat kompliziert: Das Grundstück gehört bislang besagter Hamburg Port Authority und ist auf eine eher hafengerechte Nutzung festgelegt. Da aber der gesamte Stadtteil Grasbrook vielfältig „entwickelt“ werden soll, wird man das Grundstück der Hafencity GmbH übertragen – wobei die Genehmigungshoheit für die Planungen bei der HPA bleibt.

Ob die Stadt auch das Gebäude zurückkaufen will, um frei über dessen Nutzung zu entscheiden, ist unklar. Susanne Bühler, Sprecherin der Hafencity GmbH sagt, solche Pläne seien ihr nicht bekannt. Eigentümervertreter Polat wiederum sagt, er habe bereits eigene Architektur- und Ingenieurbüros für weitere Planungen kontaktiert.

Doch es geht nicht nur um Grundsanierung: Auch in die Wand gekratzte Inschriften und andere von Häftlingen hinterlassene Spuren müssten weiter untersucht und gesichert werden, sagt Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Und zwar an Ort und Stelle. Das Lagerhaus G ist ein historischer Ort, der für die Geschichte von KZ-Zwangsarbeit im Hamburger Hafen von zentraler Bedeutung ist.“

Dass dort ein Gedenkort „entwickelt“ werden soll, hat Hamburgs Senat auch in seinen Koalitionsvertrag geschrieben. Details nicht. Dabei sollten in dem Gebäude, sagt von Wrochem, „ausreichend große Räume für Gedenken, Sonderausstellungen und Seminare vorgesehen werden“. Denn einen innenstadtnahen Raum für Sonderausstellungen gebe es weder im Stadthaus noch im Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof. Das Dessauer Ufer solle nicht nur Gedenk-, sondern auch zukunftsgerichteter Lernort sein. „Privatwirtschaftliche Interessen dürfen dabei keine Rolle spielen“, sagt von Wrochem.

Streit um Gedenkorte

Damit berührt er einen wunden Punkt. Denn wann immer die Stadt Hamburg in den letzten Jahren gemeinsam mit Privatinvestoren Gedenkorte plante, ging es ziemlich schief. Beim Stadthaus, der einstigen Gestapo-Zentrale, hat der Investor die zugesagte Ausstellungsfläche kleingerechnet und ins Café eines Buchladens verbannt. Zudem wurde versäumt, die Stiftung Hamburger Gedenkstätten als Trägerin einzusetzen und Mitsprache zu­sichern.

Nur wenig besser lief es beim Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof in der Hafencity. Dort streitet man gerade darüber, ob der Privatinvestor die übrigen Etagen des Baus an die NS-belastete Firma Wintershall-Dea hätte vermieten dürfen. Denn laut Vertrag verpflichtet sich der Eigentümer zwar, das Gebäude nicht in einer Weise zu nutzen, „die in der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus im Konflikt mit dem Zweck des Dokumentationszentrums steht“.

Aber diese Formulierung ist auslegbar. Und da Wintershall die eigene Geschichte aufgearbeitet hat, sieht der Investor kein Problem. Die Opferverbände dagegen schon. Jetzt hat man eine Schlichterin angerufen.

Ausmaß und Nutzung im Vorfeld festschreiben

Nun, beim einstigen ZwangsarbeiterInnenlager am Dessauer Ufer, bestünde die Chance, es besser zu machen: Ausmaß und Art der Gedenkstätte sowie die Nutzung der übrigen Flächen im Vorfeld klar zu regeln. Immerhin, die Trägerschaft scheint festzustehen: „Neben der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte als Trägerin einer zukünftigen Gedenkstätte“ stünden Denkmalschutzamt, Kulturbehörde und Hafencity GmbH im Austausch, sagt Bühler. Zur künftigen Nutzung und Aufteilung der Flächen könne sie noch nichts sagen, da die bautechnischen Untersuchungen noch liefen.

Und während die Initiative Dessauer Ufer eine auch soziokulturelle Nutzung fordert, avisiert der Eigentümervertreter sogar einen „Gedenk- und Andachtsort zu interkulturellem und interreligiösem Austausch“. Er wolle Konzepte für Bildung und Reflexion entwickeln und „um breite Unterstützung der Bevölkerung werben“.

Allerdings, ergänzt er, müsse „ein großer Anteil der Nutzung gewerblich sein und zu Erträgen führen, die in Ausbau und Förderung sozialer und gesellschaftlicher Projekte fließen“.

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