Bundesnotbremse gegen Corona: Joggen bis Mitternacht
Die Große Koalition hat sich auf eine Bundesnotbremse geeinigt. Bei den Schulen wird verschärft, Ausgangssperren sollen nun erst um 22 Uhr beginnen.
Die CDU/CSU und die SPD haben sich in letzter Minute noch auf zahlreiche Änderungen an der geplanten Bundes-Notbremse gegen Corona geeinigt. So soll es Erleichterungen bei der Ausgangssperre, beim Kindersport und im Einzelhandel geben. Zugleich sollen die Regeln für Schulen strenger werden.
Die Bundes-Notbremse kann voraussichtlich am Wochenende in Kraft treten. Bisher wurden die Corona-Einschränkungen von den Landesregierungen per Verordnung beschlossen. Künftig sollen die Shutdown-Maßnahmen automatisch gelten, sobald der Inzidenzwert in einem Landkreis drei Tage lang über 100 liegt. Diese Bundes-Notbremse wird jetzt in einem neuen Paragraf 28b im Infektionsschutzgesetz verankert.
Am umstrittensten war bisher die Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr. Sie soll nun erst um 22 Uhr beginnen, um gehetzte Abendspaziergänge zu vermeiden. Außerdem soll von 22 bis 24 Uhr noch individueller Sport im Freien möglich sein, etwa Joggen, Radfahren oder Seilspringen.
Sport in der Gruppe bleibt bei einem Inzidenzwert über 100 zwar grundsätzlich verboten. Für bis zu fünf negativ getestete Kinder bis 14 Jahre soll es aber eine neue Ausnahme für „kontaktlosen“ Sport im Freien geben.
Der Einzelhandel soll im Notbremsen-Fall zumindest vorbestellte Waren verkaufen dürfen („click and collect“). Bis zu einem Inzidenzwert von 150 sollen getestete Kunden aber auf Termin einkaufen können („click and meet“).
Erstmals Pflichten für Unternehmen
Neue Ausnahmen haben die Rechts- und Gesundheitspolitiker:innen der Koalition für Autokinos, die Außenbereiche von Zoos und für die Fußpflege beschlossen. Die Fußpflege sei vor allem für ältere Menschen ein wesentlicher Bestandteil der Körperpflege.
Gegenüber dem Regierungsentwurf wird es bei Schulen eine Verschärfung geben. Während bisher erst bei einem Inzidenzwert von 200 vom Präsenz- zum Distanzunterricht gewechselt werden sollte, hat die Koalition die Grenze auf 165 heruntergesetzt. Eine inhaltliche Begründung für diesen krummen Wert wurde nicht gegeben.
In die Shutdown-Regelungen wurden erstmals auch Pflichten von Unternehmen aufgenommen. So müssen sie, wo möglich, Homeoffice anbieten. Bei Präsenzarbeitsplätzen ist zweimal pro Woche ein Coronatest anzubieten, an dem die Beschäftigten freiwillig teilnehmen können. Damit werden nur bestehende Regelungen aus der Arbeitsschutzverordnung ins Infektionsschutzgesetz verschoben.
Es soll bei dem Automatismus bleiben, dass die Notbremse in den Landkreisen mit einer Inzidenz über 100 automatisch in Kraft tritt, so die Koalitionseinigung. Damit die Bürger das aber auch mitbekommen, werden die Landesbehörden nun zur Bekanntmachung in den betroffenen Landkreisen verpflichtet.
Die Grünen wollten Zoos öffnen
Eigentlich können betroffene Bürger gegen gesetzliche Shutdown-Regeln nur das Bundesverfassungsgericht anrufen – falls sie die Regeln für unverhältnismäßig streng halten. Die Koalition weist in der Begründung ihres Änderungsantrags aber darauf hin, dass auch eine präventive Feststellungsklage zu den Verwaltungsgerichten möglich sei.
Die Bundesregierung soll weiterhin die gesetzlichen Notbremse-Regelungen per Verordnung ver- oder entschärfen dürfen. Die Koalition bestand jedoch darauf, dass nicht nur der Bundesrat, sondern auch der Bundestag aktiv zustimmen muss. Schweigen soll dabei nicht als Zustimmung gelten.
Das Gesetz wird an diesem Montagnachmittag in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses beraten. Am Mittwoch ist die abschließende Beschlussfassung im Bundestag. Am Donnerstagmorgen kommt der Bundesrat zu einer Sondersitzung zusammen. Anschließend kann der Bundespräsident das Gesetz unterzeichnen. Theoretisch kann die Notbremse bereits am kommenden Wochenende oder Anfang nächster Woche in Kraft treten.
Das Gesetz ist laut Koalition im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Dagegen haben bisher auch die Grünen, die in elf Ländern mitregieren, nicht protestiert. Entsprechend gering war am Wochenende ihr Einfluss bei den Verhandlungen. Aus Koalitionskreisen war zu hören, dass die Öffnung der Zoos auf einen Wunsch der Grünen zurückging. Deren Hauptforderung war aber die Einführung verbindlicher Tests in Unternehmen.
FDP-Chef Christian Lindner hatte im Vorfeld Verfassungsklagen gegen die Ausgangssperre angedroht. Davon war am Montagnachmittag aber nicht mehr die Rede. Nun kündigte er Änderungsanträge seiner Fraktion an.
Wichtig war der Koalition, ein Außerkrafttreten des Gesetzes am 30. Juni 2021 festzuschreiben. Bei Bedarf muss der Bundestag es dann neu beschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Die Wahrheit
Lindners Plan
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz