Ausstellungsempfehlung für Berlin: Wolkig bis Rotzig
Matthew Lutz-Kinoys „Window to the Clouds“ ist ein Ritt durch die Kunstgeschichte, voll crèmeroter Bommeln, Malerei und ganz viel Rokoko und Keramik.
Pastoralen in Pastell, Ruinen in flauschigen Landschaften und Körper in sanfter Zuneigung: „Er kann alles – nur nicht die Wahrheit“, ließe sich für Matthew Lutz-Kinoy sagen, der im Salon Frieder Burda gerade die wollig-weiche, rosa-rote Illusion eines himmlischen Orts ausbreitet. Irgendwo in den Wolken muss er sein, folgt man seinem Ausstellungstitel „Window to the Clouds“. Ein betretbares Bühnenbild hat der aus der Performancekunst kommende Matthew Lutz-Kinoy hier installiert, das mit großformatigen Malereien, Keramiken, Deckengemälden, Teppich und Hunderten herabhängenden crèmeroten Bommeln alle Räumlichkeiten umfasst.
Das Zitat aber stammt eigentlich von Denis Diderot; „Cet homme a tout – excepté la vérité“ schrieb dieser nach einem Besuch des Salons 1761 über den Rokokokünstler François Boucher, der ein Günstling Ludwig XIV. und der Pompadour war. Bouchers Illusionismus, sein Gesamtkunstwerk vom Bühnenbild bis zum Suppenteller und die von ihm besonders vollführte Leichtfüßigkeit des Rokoko übersetzt Lutz-Kinoy nun in diese bebommelten Räumlichkeiten.
Für seine Gemälde – technisch eine Mischung aus Druck und Malerei – begibt sich der in Paris lebende US-Amerikaner noch tiefer in die Kunstgeschichte: Auf seinen theatralischen Darstellungen von Körpern und Pflanzen sind die Konturen von Auguste Rodins Plastiken zu erkennen, die berühmten Hände aus Michelangelos „Erschaffung Adams“ tauchen auf oder Kompositionen nach dem Symbolisten Ferdinand Hodler. Seine historische Beflissenheit in Pastelltönen schmeichelt für einen Moment zu sehr.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Bis 5. 6., Di.–Do. 15–18 Uhr, Fr.–Sa. 12–18 Uhr, Auguststr. 11-13, Negativer Covid-Test + Tickets erforderlich: museum-frieder-burda.de/ausstellung-salon.php
Doch Matthew Lutz-Kinoy bricht die zu schöne Szenerie nonchalant wieder auf: Wie er seine Keramiken mal kunstvoll mit einem Vogel ziert, mal nur mit ein paar groben Splashes versieht, oder den eigentlich feinen Gegenstand einer keramischen Kopfstütze, die aus der chinesischen Kunst bekannt ist, geradezu krude mit Babygesicht kopiert, da wird klar: Der utopische Ort in den Wolken, zu dem Lutz-Kinoy mit dieser Ausstellung ein Fenster öffnet, ist willkommen heißend und warm, aber auch unperfekt und rotzig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video