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Stellenabbau beim VersandkonzernOtto will deutsches Amazon werden

Der größte Versandhändler in Deutschland, die Otto GmbH, verbucht Rekordumsatz. Den nutzt das Unternehmen, um Arbeitsplätze abzubauen.

Trotz Rekordumsätzen im Pandemiejahr will der Otto-Konzern Personal abbauen Foto: STPP/imago

Hamburg taz | Sie ist eine der großen Coronagewinnerinnen: Die Otto GmbH & Co KG – der frühere Otto-Versand – mit über 5.620 Beschäftigten größer deutscher Onlinehändler mit Stammsitz in Hamburg. Die zahlreichen Lockdowns bescherten dem Unternehmen Rekordumsätze und einen nie da gewesenen Kundenboom. Doch wer glaubt, durch den Unternehmensaufschwung würden neue Arbeitsplätze entstehen, der irrt. Otto will den Schwung für eine Umstrukturierung nutzen, die Kosten in Milliönenhöhe und Hunderte Arbeitsplätze einsparen soll.

Nach Informationen der taz werden erste Abteilungen bereits in diesem Jahr geschlossen; Stu­den­t*in­nen mit Werkverträgen, die leicht kündbar sind, wurden bereits zum bevorstehenden Semesterende vor die Tür gesetzt. Doch das ist nur der Anfang. Unter dem Projektnamen „New“ will die Otto-Gruppe bis 2023 einen Rationalisierungsplan durchboxen, mit dem sie – nach internen Firmenunterlagen, die der taz vorliegen – jährlich mindestens 50 Millionen Euro Kosten einspart. Dabei ist vom Wegfall von bis zu 400 Vollzeitstellen die Rede.

Auf einer digitalen Betriebsversammlung sollen die Rahmendaten von „New“ am kommenden Dienstag erstmals auch der Otto-Belegschaft vorgestellt werden. Die Gewerkschaft Ver.di ist alarmiert: „Otto gehört zu den großen Gewinnern der Coronakrise. Das verdankt der Konzern in erster Linie den Beschäftigten“, betont die Hamburger Verdi-Fachsbereichsleiterin Handel, Heike Lattekamp, und ergänzt: „Wenn dort jetzt tatsächlich über Personalabbau nachgedacht wird, zeugt dies von Profitgier und einer fehlenden sozialen Verantwortung gegenüber den Mit­ar­bei­te­r*in­nen in der Konzernführung. Mit hanseatischem Respekt hat das nichts mehr zu tun.“

„Ein enormes Wachstum“ verkündete Marc Opelt, Vorsitzender des Otto-Bereichsvorstandes, vor wenigen Tagen. Seinen Angaben zufolge steigerte der Konzern in Deutschland „den Umsatz von 3,5 Milliarden Euro in 2019/20 auf 4,5 Mil­liarden Euro um rund 30 Prozent“ im bereits am 28. Februar abgeschlossenen Geschäftsjahr 2020/21. Dabei kauften so viele Kun­d*in­nen wie noch nie bei Otto ein: Von 7 Millionen Kun­d*in­nen auf otto.de im Vorjahr stieg die Anzahl 2020 um rund 35 Prozent auf 10 Millionen.

Versandhandel boomt

Über 3,7 Mio. Neu­kun­d*in­nen entschieden sich dafür, Produkte online oder mobil auf otto.de zu bestellen, sodass der Traffic im Shop gar um 40 Prozent gesteigert wurde. Besonders der Verkauf von Möbeln, Haushaltsgeräten und Kleidung erzielte ein noch höheres Umsatzplus. Und auch in den Nicht-Lockdown-Phasen, so jubiliert die Konzern-Leitung, „stabilisierte sich die Nachfrage auf anhaltend hohem Niveau“.

Ein Teil der so generierten Gewinne könnte den Mit­ar­bei­te­r*in­nen direkt zugutekommen: als Abfindungen. Denn statt personell aufzustocken, plant das Unternehmen, so heißt es in einer Firmenmitteilung, den „2018 begonnenen Umbau vom Online-Händler zur wettbewerbsfähigen Plattform mit einem stetig wachsenden Markenangebot konsequent fortsetzen“. „Vom Online-Händler zur Online-Plattform“ heißt die Devise. Im Klartext: Otto plant den Angriff auf Amazon. Immer mehr Fremdanbieter sollen ihre Produkte über die Otto-Plattformen im Netz offerieren. „Uns ist es im vergangenen Jahr gelungen, über 1.000 Plattform-Partner gewinnen“, freut sich Opelt. Dieser Kurs soll nun konsequent fortgesetzt werden.

Unruhe in Belegschaft

Um auch preislich mit Amazon konkurrenzfähiger zu werden, soll der Otto-Personalkörper radikal „verschlankt“ werden. Das Sparkonzept mit dem Namen „New“ löst unter den Otto-Mitarbeiter*innen große Unruhe aus. Die Verunsicherung ist immens. Denn noch ist unklar, welche Abteilungen geschlossen oder zusammen­gelegt werden, welchen Mit­ar­bei­te­r*in­nen es an den Kragen geht. „Keine*r der Beschäftigten weiß, ob er oder sie hier im nächsten Jahr noch arbeitet“, berichtet ein Mitarbeiter aus der mittleren Management-Ebene der taz.

Die öffentliche Darstellung der Otto-Gruppe aber ist eine gänzlich andere: So bezeichnet sich der Onlineanbieter als „attraktiver Arbeitgeber“ und wirbt in einer aktuellen Erklärung öffentlich damit, seit April 2020 rund 850 neue Kol­le­g*in­nen eingestellt zu haben. Weitere über 110 Stellen sind in den Bereichen IT, Business Intelligence, E-Commerce und Online-Marketing ausgeschrieben.

Die ganze Wahrheit aber werden die Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Otto-Konzerns erst am kommenden Dienstag erfahren.

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12 Kommentare

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  • Alles ist relativ.



    Verglichen mit dem asozialen Handeln von Amazon läuft es bei Otto trotzdem noch verträglicher.

    Gewerkschaften, die bei Otto mitreden können existieren bei Amazon erst gar nicht, sondern werden dort gezielt verhindert.

    Otto zahlt deutlich höhere Gehälter, hält sich auch an Tariflöhne. Amazon lagert Mitarbeiter gerne über Drittfirmen und Scheinselbstständige aus und hält viele eigene Mitarbeiter in befristeten Verträgen.

    Vor allen zahlt Otto in Deutschland Steuern ohne Tricks! Amazon macht hundertmal mehr Gewinne, zahlt aber weniger Steuern als Otto. Insgesamt drückt Amazon seine Steuerlast auf sage und schreibe 1,2%.

    • @tazzy:

      Otto zahlt mehr als Amazon? Ich kenne einige Leute bei Amazon die verdienen richtig Asche....

      An Tariflöhne hält sich Amazon auch.



      Zahlt übertariflich. Aber eben zu dem was die Leute arbeiten - Lagertätigkeit. Mit „Einzelhandel“ hat das wenig zu tun.

  • Bei Umsatz und Sortiment ist’s noch ein großer Unterschied. Aber in Sachen Image ist Otto am richtigen Weg.



    Gratulation! Die wissen, wo und wie man am besten beginnt.

  • Echt nicht neu. Im Kapitalismus ist das einzige (!) Ziel eines Unternehmens, den Profit zu maximieren. Wenn das ohne Mitarbeiter geht, macht das Unternehmen das sofort. Und zwar jedes. Das kann nur durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden, aber der wird den Teufel tun (->Lobbyismus/Korruption).

    Also eigentlich keine Schlagzeile wert.

  • Wenn seit letztem Jahr 850 Stellen geschaffen wurden und nun 400 abgebaut werden bleibt unter dem Streich ein + von 450 Mitarbeitern.



    Nicht jeder kann Programmierer werden oder Onlinemarketing machen, es gilt hier die Menschen abzusichern und auch weiterzuqualifizieren. Es kann doch nicht im Interesse von Verdi sein, dass Otto sich nicht der konkurrenz durch Amazon stellt und dann den Weg von Neckermann oder Quelle geht.

  • Hurra ! Es gibt so viel zu tun in diesem Land. Fachkräftemangel bahnt sich an. Otto gibt Arbeitskräfte her, die anderswo Wichtigeres tun können. Danke, Otto ! Können wir diesen Menschen dabei helfen ? Falls ja, sollten wir das tun ! Tschakka !

  • Das klingt nicht nach dem guten Amazon zu Anfang der 2000er Jahre... das klingt eher nach dem beschissenen Amazon von heute. Sorry, da werde ich sicher kein Kunde.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Warum Stellenabbau trotz steigender Umsätze?



    Weil sie umstrukturieren, d.h. vermutlich rationalisieren und automatisieren.



    Das alte Spiel. Die Mitarbeiter sind die Marionetten - Kapitalismus eben.

  • Dumm und dämlich verdient sich Otto wohl auch mit den Aufschlägen für Zahlungsservices wie Zahlungspause und Ratenzahlung, die bei Otto ja sehr unkompliziert funktionieren und ohne ein zus. Finanzunternehmen auskommen. Ich denke darum bestellt "die kleine Frau/der kleine Mann" sehr gern bei Otto und nimmt dann zusätzlich auch schlechtere Preise und eine begrenzte Warenauswahl (z.B. im Textilbereich) in Kauf. Zusätzlich punktet Otto (im Gegensatz zu Amazon) mit einem guten Kundenservice. Wenn dort gespart werden sollte, schießen sie sich selbst ins Knie.

  • Otto haftet immer noch der Ruf des freundlichen Versandhauses an. Ich hab mir immer vorgestellt, dass die rüstige Renate meine Bestellung abtippt und dem Rainer aus'm Lager runterfaxt. Da sollte Otto investieren. Die Preise bei Amazon schaffen die nie, dafür sind sie auch nach Stellenabbau und mehr noch zu nett und bis sie das merken ist es zu spät.

  • Etwas spät vielleicht... Otto hätte schon vor Amazon Amazon werden können. Stellenabbau allein reicht dafür aber nicht.

  • Tja, Otto braucht die Stellen im IT Bereich, an andere Stelle nicht mehr. Konsequenterweise geht Otto den Weg da Einzustellen wo gebaucht wird und da abzubauen wo nicht mehr gebraucht wird.



    In Deutschland mit massiven Abfindungen und Programmen, in CH sähe das anders aus, da heißt es pack deine Sachen und gehe. Ist trotzdem keiner böse drum.