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Impfstart in den Hausarztpraxen3,6 Milliliter Hoffnung

Zwischen drei und acht der Impf-Fläschchen werden am Dienstag in den Hausarztpraxen ankommen. Ri­si­ko­pa­ti­en­t:in­nen können so besser berücksichtigt werden.

Impfen beim Hausarzt: Geht jetzt alles schneller? Foto: Jens Büttner/dpa

Berlin taz | Zwischen drei und acht der kleinen Fläschchen werden am Dienstag in den Hausarztpraxen ankommen. Maximal 3,6 Milliliter Impfstoff von Biontech/Pfizer. Das reicht verdünnt für 48 Impfdosen. Klingt nach wenig.

Und doch schwingt viel mit beim bundesweiten Impfstart in den Hausarztpraxen: Befürchtungen von Missbrauch, Hoffnung auf menschliche Entscheidungen und tatsächlich auch so etwas wie Stolz bei Ärzt*innen, Apotheken und dem pharmazeutischen Großhandel. Auch Jens Spahn (CDU) freut sich, wenn mal etwas klappt: „Es wird noch kein großer Schritt sein, aber ein wichtiger“, so der Bundesgesundheitsminister Ende vergangener Woche.

Zu den rund 430 Impfzentren in Deutschland kommen nach Ostern „35.000 weitere dazu, und das ist kein Aprilscherz“, sagte der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, am 1. April bei der Vorstellung der Hausärztekampagne. Einige Bedingungen wurden laut Apothekerverband erst in der Nacht zuvor geklärt.

Da hatten die Haus­ärz­t*in­nen schon bestellt: 1,4 Millionen Dosen, 60 Prozent mehr, als in der ersten Woche verfügbar sein wird. Die 940.000 Impfdosen, die für die Praxen vorgesehen sind, werden nun aufgeteilt. Jede der 35.000 Praxen, die bestellt hat, wird mindestens 18, maximal 48 Impfdosen geliefert bekommen, heißt es vom Apothekerverband.

Alle können sich gratis impfen lassen

Organisatorisch läuft es anders als bislang bei den Impfzentren, die von den Ländern beliefert werden. Der pharmazeutische Großhandel bezieht den Impfstoff für Arztpraxen direkt vom Hersteller beziehungsweise aus dem Zentrallager des Bundes. Und weil es in den ersten zwei Aprilwochen nur Biontech-Impfstoff in den Hausarztpraxen geben wird (siehe Infokasten), ist auch der Umgang speziell. Der ­Großhandel holt die Flaschen aus der Ultra­tiefkühlung, minus 75 Grad Celsius. Von da an läuft die Uhr: 120 Stunden, also fünf Tage – so viel Zeit bleibt laut Zulassung, bis die letzte Spritze gesetzt sein muss. Was dann nicht verimpft ist, kann nicht mehr verwendet werden.

Vom Hersteller kommen die Durchstechflaschen mit dem Impfstoff in 195-Stück-Packungen. Der Großhandel vereinzelt und verpackt die Flaschen neu. Bei durchgehender Kühlung, 2 bis 8 Grad, werden sie dann zu den Apotheken transportiert und von dort an die Haus­ärz­t*in­nen verteilt. Die benötigten Spritzen, Kanülen und die Kochsalzlösung zur Verdünnung packt der Großhandel direkt dazu. Die anschließende Auslieferung durch die knapp 19.000 Apotheken werde verlässlich laufen, versicherte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Overwiening, in der vergangenen Woche. „Wir werden dafür sorgen, dass die Impfstoffe pünktlich in den Praxen sind.“

Beteiligt werden vorerst nur die rund 55.000 Ver­trags­ärz­t*in­nen – also die Haus­ärz­t*in­nen mit einem sogenannten Kassensitz. Sie alle rechnen über die Kassenärztlichen Vereinigungen ab – so wird die Dokumentation gesichert, wer wann und wie viele Impfdosen verabreicht hat. Später sollen auch noch die Privatpraxen und die impfenden Fach­ärz­t*in­nen dazukommen. Ein Potenzial von 97.000 Ärzt*innen, wie die KBV betont. Die Impfung ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das bedeutet, dass sich alle Menschen, unabhängig davon ob sie privat, gesetzlich oder gar nicht versichert sind, impfen lassen können.

Die meisten Praxen ordern und impfen nun zum ersten Mal die Vakzine gegen Covid-19. Bisher gab es nur einzelne Modellversuche in Hausarztpraxen, bei denen vor allem auch immobile, ältere Personen im Hausbesuch geimpft wurden. Nur in Bayern hatte man schon eine Woche früher begonnen, Impfstoff aus dem Landesbestand in den Praxen zu verabreichen.

„Wird Zeit, dass das jetzt überall losgeht“, sagt ein Arzt aus Niedersachsen im Gespräch mit der taz. 48 Impfdosen können er und sein Kollege in dieser Woche spritzen. 8 Fläschchen. Im Innenhof der Praxis wurde am Wochenende ein Zelt aufgebaut, „wo die Geimpften die 15 Minuten Nachbeobachtungszeit verbringen können“. Sonst wird es zu eng in der Praxis.

Missbrauch bei der Terminvergabe?

Grundsätzlich sollen sich die Haus­ärz­t*in­nen an die durch die Impfverordnung vorgegebene Priorisierung halten. Aber ihnen ist ausdrücklich auch eine Flexibilität zugesprochen – sie wüssten am besten, wer jetzt dringend eine Impfung braucht, heißt es unisono aus der Politik und von der KBV.

Schon jetzt hört man Gerüchte über Hausärzt*innen, die diese Freiheit in der Impfterminvergabe „kreativ“ nutzen. „Aber das ist doch eher bei den Politikern zu befürchten“, meint der niedersächsische Arzt. Wenn er plötzlich anfangen würde, im großen Stil Bekannte zu impfen, würde sich das ganz schnell herumsprechen, glaubt er. In der Woche vor Ostern stand das Telefon bei ihm nicht still und nicht nur Pa­ti­en­t*in­nen fragten nach der Impfung. „Auch Freunde und Bekannte rufen mich an, klar“, sagt der Arzt. Er werde sie alle gern impfen, sage er dann, aber erst wenn sie dran sind. Das verstünden eigentlich auch alle. „Ich kann doch nicht anfangen, Leute unter 60 zu impfen, wenn es 80-Jährige gibt, die noch auf die Impfung warten.“

Wesentlicher werden die Spielräume der Haus­ärz­t*in­nen für die Menschen sein, die zwar besonders gefährdet sind, sich aber nicht in den groben Rastern der Verordnungen wiederfinden. Die von Impfeinladungen nicht erreicht werden oder niemanden haben, der sich für sie in Warteschleifen hängt und durch Terminportale klickt.

Es braucht Beispiele, um sich das vorzustellen. Hier eines aus einer Berliner Hausarztpraxis: Es geht um die Eltern eines Kindes mit Mukoviszidose, eine angeborene Erkrankung, die vor allem die Lunge betrifft. Das Kind kann nicht geimpft werden, aber ein Kontakt mit dem Coronavirus könnte tödliche Folgen haben. Umso wichtiger ist das sogenannte Cocooning“(englisch für „Kokon bilden“): Alle Kontaktpersonen müssen geschützt sein, um das Kind zu schützen. Aber die Eltern warteten vergeblich auf eine Impfeinladung, ihnen blieb bisher nur der Kampf um eine Einzelfallentscheidung. Nun haben sie beim Hausarzt einen Impftermin für diese Woche. Ein anderer Arzt erzählt, dass er in dieser Woche alle seine über 80-jährigen Pa­ti­en­t*in­nen durchtelefoniert. „Damit auch wirklich keiner vergessen wird“.

Mehrere Millionen Impfdosen pro Woche

Der Lohn für die Ärzt*innen: 20 Euro pro Impfung für Vorbereitung, Beratung, Durchführung, Dokumentation. „Und diese große Dankbarkeit“, sagt der Berliner Arzt. Wohl bemerkenswert in einem Job, der aus viel Routine besteht.

Mit maximal 48 Impfdosen beginnen die Arztpraxen in dieser Woche. In der kommenden Woche wird die Menge ähnlich gering sein und die Impfung trotz der etwas komplexen Handhabung neben der Praxisroutine laufen. Aber ab Mitte April, so verspricht es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), werden es deutlich mehr Dosen – auch AstraZeneca und das neu zugelassene Vakzin von Johnson & Johnson sollen dazukommen. Von mehreren Millionen Impfdosen pro Woche ist die Rede.

„Im Herbst/Frühwinter haben wir 1.000 Menschen gegen Grippe geimpft, das ist kein Problem für uns“, sagt der Arzt aus Niedersachsen. „Und im Zweifel, darauf haben sich mein Praxis­kollege und ich schon verständigt, impfen wir auch Samstag und Sonntag“. Nichts sei wichtiger, als dass es mit den Impfungen endlich vorangehe.

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5 Kommentare

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  • ""„Im Herbst/Frühwinter haben wir 1.000 Menschen gegen Grippe geimpft, das ist kein Problem für uns“, sagt der Arzt aus ...impfen wir auch Samstag und Sonntag“. ""



    Ich gebe mal zu bedenken, das viele Arztpraxen nicht den Raum haben fortlaufend 4 Patienten im Abstand von 1,5 Metern in ihen Räumen unterzubringen. Die müssen sich was einfallen lassen, oder am WoE impfen, sonst klappt das mit den anderen "normalen" Pat nicht....

  • "Der Lohn für die Ärztinnen" schreiben Sie. Das ist grob falsch, diese 20 Euro sind die Gesamteinnahme der Praxis. Davon werden die Miete der Räume, die Heizung, Reinigung und alle anderen Betreiebskosten, die Praxisausstattung und die Gehälter der Helferinnen und Mitarbeiter bezahlt. Sollte dann am Ende etwas übrigbleiben, erhält diesen Rest der Arzt, aber auch nicht als Gehalt. Im Gegensatz zum Gehaltsempfänger erhält er keinen "Arbeitgeberanteil" zu den Sozialabgaben, kein Urlaubsgeld und keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, sondern muß all das aus den abgerechneten Einnahmen mit tragen.

    • @Axel Berger:

      Die Wirtschaftwoche kommt im Sep 2019 auf einen durchschnittlichen Reinverdienst von 130 000 € pro Jahr.



      Reinverdienst - also alles abgezogen. Nur nicht Einkommenssteuer und freiwillige Sozialabgaben.

    • @Axel Berger:

      Stimmt. Trotzdem sind Ärzte in eigener Praxis in der Regel auskömmlich honoriert, wenn die Umsatzrückgänge während der Pandemie wieder aufgeholt sind.

      • @TazTiz:

        Sie haben beide recht, wobei ich meine, daß der "Durchschnitt" dort das arithmetische Mittel und nicht den Median darstellen muß und von wenigen Extremen hochgezogen wird. Sehr vielen Praxen geht es schlechter, aber auch das macht deren Betreiber nicht zu bemitleidenswerten Sozialfällen. Hier geht es konkret um die Impfungen und das schäbige Insinuieren einer "goldenen Nase". Tatsächlich dürfte diese Vergütung knapp am Zuschußgeschäft vorbeischrammen. Warum auch nicht? Ärzte gehören neben allen staatlich Alimentierten zu den Berufen, die in der Krise keine massiven Beschränkungen hinnehmen mußten. Nur fordert es der Anstand, das dann auch so zu schreiben.