Die Kanzlerfrage bei der Union: Zu Ostern einen Eiertanz
Armin Laschet und Markus Söder entscheiden bald, wer Kanzlerkandidat der Union wird. Einer hat den größeren Willen – der andere bessere Umfragewerte.
D ienstagvormittag kurz nach 11 Uhr, im Foyer der CDU-Zentrale. Armin Laschet, dunkler Anzug, weißes Hemd, dezente Krawatte, steht vor einer blauen Wand und ruft ein Jahrzehnt der Modernisierung aus. Das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Ökologie müsse neu justiert werden, spricht der CDU-Chef in die Kameras.
„Klimaschutz allein reicht nicht.“ Die CDU könne sprudelnder Quell für eine nachhaltige Umweltpolitik, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik, eine nachhaltige Sozialpolitik und eine nachhaltige Digitalpolitik sein. Laschet steht mit geschlossenen Beinen hinter dem Rednerpult, seiner aufrechten Körperhaltung merkt man die innere Spannung an.
Vor Laschet stehen nur wenige Fernsehkameras und Fotografen, von der Galerie in der CDU-Zentrale aus dürfen zehn Journalist:innen zuschauen, die zuvor auf Corona getestet worden sind. Die Rede und auch das anschließende Schaltgespräch mit vier „Macherinnen und Machern“ aus der Bevölkerung, darunter eine Schulleiterin und der Chef der Drogeriekette dm, werden live ins Netz gestreamt. Unter dem Hashtag #zusammenmachen startet die CDU eine Beteiligungskampagne für ihr Wahlprogramm.
Doch das Event im Konrad-Adenauer-Haus ist viel mehr. Mit seiner Rede bewirbt sich Laschet, wenn auch unausgesprochen, um die Kanzlerkandidatur der Union und formuliert seinen Anspruch auf die Macht im Land. Damit zielt er auch nach Bayern, wo CSU-Chef Markus Söder längst zum offiziellsten aller inoffiziellen Kanzlerkandidaten avanciert ist.
Es steht schlecht um die Union
„Wir sind als Partei der Mitte innovativer Kern deutscher Politik“, sagt Laschet. „Wir können Veränderungen, aber wir sind in den letzten Jahren zu bequem geworden.“ Der CDU-Chef bemängelt Bürokratie und Behäbigkeit, die Engagement und Modernisierung bremsten, betont das Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung. Manchmal hört er sich dabei fast wie FDP-Chef Christian Lindner an. Auch eine Warnung vor einer grün-rot-roten Koalition nach der Bundestagswahl im September fehlt nicht. „Die Zukunft lässt sich nicht mit ideologischen linken Experimenten gestalten“, sagt Laschet. Und dass die CDU das Bollwerk dagegen sei.
Aber der CDU-Chef spricht auch von Fehlern im Pandemiemanagement und „persönlichem Fehlverhalten“ in den eigenen Reihen. Das habe dazu geführt, dass das Vertrauen in Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Union gesunken sei.
Das ist vorsichtig formuliert. Um die Union steht es derzeit schlecht. Chaos in der Pandemiebekämpfung trifft auf Korruptionsaffären, politisches Versagen paart sich mit moralischem. Das ist für die Union eine toxische Mischung. Zwei Landtagswahlen hat die CDU gerade krachend verloren, und das zu Beginn des Superwahljahres, an dessen Ende die Bundestagswahl steht.
In den Umfragen dazu brechen die Werte jeden Tag ein bisschen stärker ein, in einer der letzten lag die Union nur noch 2 Prozentpunkte vor den Grünen. Das Kanzleramt könnte im Herbst verloren gehen, warnen Unionsgranden bereits öffentlich. Was die Frage befeuert: Ist Laschet der Mann, der das Ruder rumreißen kann? Oder wäre Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, nicht doch der bessere Kanzlerkandidat für die Union?
Die beiden Parteichefs haben verabredet, diese Frage zwischen Ostern und Pfingsten zu klären. Während Söder diese Formulierung gebetsmühlenartig wiederholt, betont Laschet neuerdings: „Ostern beginnt bekanntlich am kommenden Sonntag.“ Der Nordrhein-Westfale, der als Chef der weitaus größeren der beiden Schwesterparteien das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur hat, weiß, dass die Zeit gegen ihn arbeiten könnte. Stürzt die Union in den Umfragen weiter ab, könnten die Rufe nach dem Mann mit den höheren Beliebtheitswerten lauter werden. Und das ist nun einmal Söder.
Alter: 60
Tätigkeit: CDU-Chef und Ministerpräsident von NRW
Heimatregion: Rheinland
Konfession: Katholisch
Muster: Zickzack
Führungsstil: Integrativ
Ambitionen: Will wohl Kanzlerkandidat der Union und Bundeskanzler werden
Aktuelle Anti-Corona-Strategie: Lässt für einen Anreiz zum Testen die Geschäfte offen
Besonderes Merkmal: Gern unterschätztes Stehaufmännchen. Hat diverse Niederlagen schon in Siege verwandelt
Verhältnis zur Kanzlerin: Stand im Flüchtlingsstreit fest an ihrer Seite, für seine Pandemiepolitik kritisierte ihn Merkel öffentlich
Laschet und Söder, das sind zwei Politiker mit sehr unterschiedlicher Ausstrahlung. Während der Franke, breitbeinig und zupackend, für das steht, was man beschönigend Leadership nennt, zeichnet Laschet eher ein integrativer Stil aus; er wägt ab und versucht, unterschiedliche Interessen zu verbinden. In der Pandemie kam Söders Ansatz gut an. Oft schien es, als müsse sich Laschet noch sortieren, während Söder schon vor den Kameras stand und der verunsicherten Öffentlichkeit erklärte, wo’s langgeht.
Von Laschet dagegen ist das peinliche Foto hängen geblieben, das ihn zu Beginn der Pandemie bei einem Besuch des Klinikums Aachen zeigt – mit einer Maske, die ihm unter die Nase gerutscht ist. Dass Laschet sich in Talkshows auch gern mal verheddert, wenn er unter Druck gerät, bestärkte diesen Eindruck der Nichtsouveränität. Am Dienstagabend blitzte diese Gefahr in einer ZDF-Sendung wieder auf, als Moderator Markus Lanz Laschet in Bedrängnis brachte. Zwei Bilder setzten sich durch: Söder, der Macher. Laschet, der Loser.
Wie chaotisch tatsächlich Laschets Coronapolitik mitunter ist, hat sich in der vergangenen Woche wieder einmal gezeigt. Letzten Mittwoch, direkt nach der Nachtsitzung der MinisterpräsidentInnen mit der Kanzlerin, beschwört Laschet im Düsseldorfer Landtag die Gefahr der dritten Welle: „Die Lage ist immer noch dramatisch“, ruft der Mann aus Aachen. „Wir müssen den Lockdown verlängern.“ Die Mutante habe eine neue Pandemie entstehen lassen. Doch kaum hat er die Dramatik der dritten Welle beschworen, kündigt er „Modellprojekte“ an, in denen mit negativem Test der Besuch von Kinos, Kultur- und Sportveranstaltungen möglich sei soll.
Am vergangenen Freitag wird dann klar: Mit der neuen Coronaschutzverordnung hebelt NRW die vereinbarte Notbremse aus. Statt bei einer Inzidenz von über 100 Handel, Museen und Zoos zu schließen, bleiben diese mithilfe von Tests in den allermeisten der 31 Kreise und kreisfreien Städte NRWs geöffnet – obwohl die Inzidenz dort inzwischen bei über 130 liegt.
Das hat Laschet nicht nur Kritik von der Opposition im Land, sondern auch einen öffentlichen Rüffel der Kanzlerin eingebracht. „Wo die Inzidenz über 100 ist, gibt es keinen Ermessensspielraum“, sagte Angela Merkel vergangenen Sonntag bei „Anne Will“. Und auf Nachfrage machte sie klar: Ja, Laschet verstoße gegen die von ihm selbst mitgefassten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz.
„Klar ist es schön, wenn man Herrn Söder zuhört und den Eindruck hat, da weiß einer, wo’s hingehen soll“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, die die Akademie für Politische Bildung in Tutzing leitet und die CSU schon viele Jahre beobachtet. Diesen Eindruck habe man bei Laschet nicht unbedingt. „Den Unterschied macht vor allem die Inszenierung. Mit Blick auf den Erfolg der Politik sieht man keinen so großen Unterschied“, sagt Münch.
Das zeigen auch die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts, sogar mit leichter Tendenz zugunsten von NRW. Auf die Anzahl der Einwohner:innen gerechnet, sind die Fallzahlen in Bayern höher, auch gibt es dort mehr Todesfälle. Wobei zu berücksichtigen ist, dass Bayern mit seiner Grenze zu Tschechien und Österreich vor besonderer Herausforderungen steht.
Bei den bayerischen Wähler:innen wächst die Skepsis gegenüber Söders Krisenmanagement. Der Entschlossene, der Durchgreifer, das ist ein Image, das Söder sorgsam pflegt. „Söder ist einer, der schnelle Entscheidungen treffen kann, auch wenn’s mal nicht bis zu Ende gedacht ist“, sagt Ludwig Hartmann, Oppositionsführer im Bayerischen Landtag. „Das war am Anfang der Krise auch durchaus richtig.“ Aber fundierte Umsetzungsarbeit sei nicht Söders Stärke, so der Grünen-Politiker. Anfang März habe er angekündigt, jetzt sofort in großem Stil testen zu lassen, doch dann habe sich erst mal gar nichts getan.
Hinzu kommt: Was manche für Laschets Wankelmut halten, kann man auch als Strategie deuten. Der neue CDU-Chef versucht sich seit geraumer Zeit als Freund der Wirtschaft darzustellen. Schon im vergangenen Frühjahr drängte er im Shutdown früh auf das Öffnen der Geschäfte, für Möbelhäuser argumentierte er mit dem lustigen Satz, NRW sei das Land der Küchenbauer. Auch beim digitalen Neujahrsempfang des baden-württembergischen Wirtschaftsrates trat Laschet ganz im Sinne der Unternehmen als Lockerungsfreund auf. Er sagte dort: „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.“
Laschet punktet damit mehrfach: Er grenzt sich von der Kanzlerin ab, an deren Seite er in der Flüchtlingsfrage treu stand. Er bleibt bei seinem Koalitionspartner FDP, mit dem er im Landtag gerade eine Stimme Mehrheit hat. Außerdem hält er die AnhängerInnen von Friedrich Merz, die bei der Vorsitzendenwahl noch gegen ihn votierten, bei der Stange und positioniert sich und die CDU als wirtschaftsnahe Kräfte. Aus vielen Befragungen ist bekannt: Die CDU kann Wahlen gewinnen, wenn die BürgerInnen ihr Wirtschaftskompetenz zuschreibt. Nach der Pandemie dürfte dies umso wichtiger sein. Ähnlich verfährt Laschet auch beim Thema innere Sicherheit, wo er sich mit Innenminister Heribert Reul einen harten Hund ins Landeskabinett geholt hat.
In Umfragen liegt die Union im Bund derzeit noch bei 25 Prozent. Stärker noch als ihre Werte bei der sogenannten Sonntagsfrage ist das eingesackt, was man Potenzial nennt, wie jüngst eine Allensbach-Umfrage zeigte. Demnach ziehen nur noch noch 29 Prozent der Wähler:innen überhaupt in Betracht, CDU oder CSU zu wählen. Die Union ist damit erstmals hinter die Grünen gerutscht. Hauptgrund dafür sei das schlechte Krisenmanagement der Regierung, konstatierte Allensbach-Chefin Renate Köcher in der FAZ.Und klarer noch: Das Vertrauen in die Aussage „Die CDU kann Krise“ sei erschüttert.
Die Maskenaffäre reicht bis zur CSU-Spitze
Das ist eine Analyse, die an den Grundfesten der Union rüttelt. Eine Partei, deren Selbstverständnis zuallererst darin besteht, den Kanzler zu stellen, hat ein ernsthaftes Problem, wenn ihr die Regierungsfähigkeit abhandenzukommen scheint. Dazu gesellen sich die Korruptionsaffären.
Nach der CSU-Vorstandssitzung am vergangenen Freitag kommt Söder gemeinsam mit seinem Generalsekretär Markus Blume in die Kantine der Münchener Parteizentrale und stellt sich mit durchgedrücktem Kreuz ans Pult. Hängende Schultern – gibt es bei Söder nicht. „Dies war eine schlechte Woche für die Union“, sagt der CSU-Chef. Im Parteivorstand haben sie gerade über die Folgen des Maskenskandals diskutiert und einen 10-Punkte-Plan beschlossen, der „volle Transparenz“ bei den Nebeneinkünften der CSU-Mandatsträger garantieren soll.
Alter: 54
Tätigkeit: CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern
Heimatregion: Franken
Konfession: Protestantisch
Muster: Schnurstracks
Führungsstil: Da geht’s lang
Ambitionen: Wüsste man in der Union auch gerne
Aktuelle Anti-Corona-Strategie: Dichtmachen
Besonderes Merkmal:Engagierter Selbstneuerfinder, zuletzt als Baum- und Bienenfreund, Hardliner in der Coronapolitik
Verhältnis zur Kanzlerin: War in der Flüchtlingsfrage einer ihrer ärgsten Widersacher, neuerdings aber verstehen sich die beiden bestens
Die Korruptionsaffäre schadet beiden Parteien in der Union, doch an die CSU-Spitze ist sie näher herangerückt. Der ehemalige CSU-Mann Georg Nüßlein, dessen Fall als erster in der Maskenaffäre bekannt wurde, war Vizechef der Unionsfraktion. Und Alfred Sauter Vorstandsmitglied der CSU.
In München redet Söder über die Lage der Union und das mangelnde Coronamanagement in Berlin. Es bestehe die Gefahr, dass sich der ein oder andere eine Regierung ohne die Union vorstellen könne. „Wir müssen das Kämpfen wieder lernen“, sagt er. Und: „Wer die Nerven verliert, verliert ganz sicher auch Wahlen.“
Beobachter bezweifeln Söders Ambitionen
„Amigo-Mutanten“ steht in Anspielung auf einen CSU-Korruptionsskandal aus den 90er Jahren am Tag darauf in der Süddeutschen Zeitung.Politikwissenschaftlerin Münch muss darüber herzlich lachen. „Das bringt so treffend die beiden Themen, die die CSU gerade so extrem belasten, auf den Punkt“, sagt sie. Söder nehme sie ab, dass er jetzt durchgreifen wolle. „Aber das klebt schon sehr. Auch an Söder.“
Nach knapp fünfzig Minuten ist die Pressekonferenz in München fast zu Ende, da will ein ZDF-Reporter wissen, ob die Entwicklung der vergangenen Wochen Söders Chancen als Kanzlerkandidat verringert habe. Die Antwort fällt denkbar kurz aus: Das könne er nicht beurteilen, sagt der CSU-Chef. Seinen üblichen Nachsatz, wonach sein Platz in Bayern sei, spart er sich.
Viele BeobachterInnen zweifeln daran, dass Söder wirklich antreten würde. Natürlich gefalle es ihm, als möglicher Kanzlerkandidat wahrgenommen zu werden, so die Einschätzung. Und selbstverständlich sei Söder von sich selbst deutlich überzeugter als von seinem Konkurrenten aus NRW. Auch hält er die Dinge weiter am Köcheln. Am Dienstag erst griff er Laschet offen an. Er finde es „sehr seltsam, wenn der CDU-Vorsitzende mit der CDU-Kanzlerin ein halbes Jahr vor der Wahl streitet“, sagte der bayerische Ministerpräsident bei einer Pressekonferenz und stellte sich flugs hinter die Kanzlerin. Doch Laschet deshalb die Kanzlerkandidatur streitig machen?
Söder ist kein Politiker, der sich auf Abenteuer einlässt. Angesichts der aktuellen Ausgangslage spricht deshalb viel dafür, dass Söder lieber in Bayern bleiben will.
Das Problem mit den Umfragewerten
Anders als für Laschet, der als CDU-Chef als „natürlicher Kandidat“ gilt und dem bei einer Entscheidung gegen ihn erheblich geschadet würde, steht für Söder nichts auf dem Spiel. Er kann sich darauf berufen, dass er immer gesagt habe, sein Platz sei in Bayern. Dort sitzt er fest im Sattel, es gibt weit und breit niemanden, der ihm seinen Posten streitig machen könnte – weder den als Ministerpräsident noch den als CSU-Chef. Und im Freistaat hat er noch die halbe Legislaturperiode vor sich.
Genug Zeit, um sich den bayerischen Wähler:innen als der zu präsentieren, der den Augiasstall CSU erfolgreich ausgemistet hat. Möglicherweise will Söder aber auch einfach den Preis für die CSU in einer neuen Koalition im Bund hochtreiben – und bessere Ministerien oder mehr Staatssekretäre in Berlin durchsetzen.
Was aber nach wie vor für Söder spricht, sind die Umfragewerte. In der Beliebtheit der WählerInnen liegt der CSUler weit vor dem CDU-Kollegen aus Aachen. 56 Prozent meinten zuletzt, dass Söder das Zeug zum Kanzler zu habe. Von Laschet glauben dies nur 23, selbst unter den Anhänger:innen der Union sind es nur 28 Prozent. Das treibt auch Bundestagsabgeordnete um – um deren Job es schließlich im September geht. Und so werden erste Stimmen von CDU-Parlamentarier:innen laut, die sich für Söder als Kanzlerkandidaten aussprechen.
Bislang bleibt es bei dem Bekenntnis Einzelner
„Ich habe Armin Laschet bei der Wahl zum Parteichef unterstützt, und ich fühle mich darin bestätigt“, sagt etwa Marco Wanderwitz aus Sachsen, der auch Ostbeauftragter der Bundesregierung ist. „Was die Kanzlerkandidatur betrifft, neigt sich mein Pendel nach wie vor zu Markus Söder, wenn er denn will.“ Dessen Akzeptanzwerte seien herausragend. „Wir müssen mit dem antreten, mit dem wir nach Umfragen die besten Chancen haben, und das ist mit Abstand Markus Söder“, meint auch Johannes Steiniger aus Rheinland-Pfalz. „Bei mir an der Parteibasis kenne ich praktisch niemanden, der für Armin Laschet ist“, sagte er dem Spiegel.
Auch in Laschets Heimatverband NRW wagen sich die Ersten aus der Deckung. „Statt Hinterzimmergesprächen sind Beteiligung und Wertschätzung der Mitglieder nötig, etwa in Form einer Mitgliederbefragung oder eines Sonderparteitags“, fordert die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel, die der stramm rechten Werteunion nahesteht. Ihre Fraktionskollegin Elisabeth Motschmann aus Bremen äußert sich ähnlich. Die Hoffnung der beiden ist wohl: Die Mitglieder würden Söder zum Kanzlerkandidaten ausrufen.
Gerät da also etwas zugunsten von Söder ins Rutschen? Wohl eher nicht. Bislang bleibt es bei Bekundungen Einzelner. Zudem: Niemand von der CDU-Spitze, kein Ministerpräsident, kein Präsidiumsmitglied, hat sich bislang offen für Söder ausgesprochen. Im Gegenteil. CDU-Vizechef Thomas Strobl, der für Merz als Parteichef geworben hatte, hat sich inzwischen offen für Laschet positioniert. Die CDU wolle, dass Laschet Kanzlerkandidat werde und im Herbst dann auch Bundeskanzler, sagte der amtierende baden-württembergische Innenminister der Stuttgarter Zeitung. Und er fügte hinzu, dass dies nach seinem Eindruck in den anderen CDU-Landesverbänden genauso gesehen werde. Auch Carsten Linnemann, Vizefraktionschef im Bundestag und Chef der Mittelstandvereinigung, hat sich für den Rheinländer ausgesprochen: „Armin Laschet hat bewiesen, dass er es kann.“
Wer kann besser einen Shitstorm aussitzen?
Ein neues Wolfratshausen soll es also nicht geben – dort machte Angela Merkel 2002 den Kotau, bot dem damaligen CSU-Chef Edmund Stoiber beim Frühstück in dessen Haus in Oberbayern die Kandidatur an. Damals lehnten zahlreiche Spitzenpolitiker der CDU nicht nur Merkel als Kanzlerkandidatin ab, sie waren auch bereit, sich für Stoiber einzusetzen – darunter der hessische Ministerpräsident Roland Koch und sein Kollege aus dem Saarland, Peter Müller; auch der damalige Fraktionschef Friedrich Merz gehörte dazu. Ihre Drohung: Sollte Merkel Stoiber nicht den Vortritt lassen, werde man in den offenen Konflikt gehen. Stoiber wurde Kanzlerkandidat und scheiterte.
Vielleicht erwägt Söder gar, den Spieß umzudrehen und Laschet bei einem Frühstück in Aachen die Kanzlerkandidatur anzudienen. Scheitert der Nordrhein-Westfale, könnte sich für Söder 2026 eine neue Chance ergeben, möglicherweise mit besserer Ausgangslage als heute. Mit 58 Jahren ist er dann immer noch im besten Alter für eine Kanzlerschaft.
Doch er sollte, wie alle anderen auch, Laschet nicht unterschätzen. Der CDU-Chef ist ein Machtpolitiker, der abwarten, aussitzen, Shitstorms überstehen kann. Er hat schon viele politische Rückschläge eingesteckt und in späte Siege verwandelt.
Am Dienstagvormittag im Konrad-Adenauer-Haus merkt man Laschet die vielen Einschläge der vergangenen Monate kaum an. Eher dies: Er ist entschlossen, den Blick in die Zukunft zu lenken, auf die Zeit nach der Pandemie. Sollte die dritte Welle nicht allzu schlimm werden und im Sommer tatsächlich ein großer Teil der Bevölkerung geimpft sein, dann könnte seine Strategie sogar aufgehen. Der wegen „Öffnungsorgien“ und Wankelmut vielfach Gescholtene könnte dann als Politiker dastehen, der die Wähler:innen vor den allergrößten coronabedingten Zumutungen geschützt hat. Geht das aber schief, könnte ihm ein Schicksal drohen, das ihm in Düsseldorf manche schon heute vorhersagen: „Laschet wird Kanzlerkandidat – Kanzler aber nicht.“
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