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Bund-Länder-Gipfel für LockerungenMerkel gesteht Machtlosigkeit ein

Der Lockdown wird bis zum 7. März verlängert – aber Friseure und Schulen dürfen schon früher öffnen. Die Kanzlerin hält das für falsch.

Konnte sich in den Verhandlungen mit den Ländern nicht durchsetzen: Angela Merkel Foto: Markus Schreiber/AP

Berlin taz | Die Analyse der Bundeskanzlerin war klar: „Die Mutation wird die Oberhand gewinnen“, sagte Angela Merkel am Ende der Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels zu den Coronamaßnahmen vorgestellt wurden. Und weil deren Auswirkungen noch nicht genau eingeschätzt werden könnten, sei trotz der deutlich gesunkenen Neuinfektionszahlen weiterhin Vorsicht angesagt. „Die dritte Welle können wir nur bekämpfen, wenn wir die Inzidenzzahlen runterbekommen.“

Doch mit diesem Ansatz konnte sich Merkel gegen die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen nicht durchsetzen – das räumte sie nach der sechststündigen Sitzung am Abend ungewöhnlich offen ein. So habe sie beim Thema Schulöffnungen „bestimmte eigene Vorstellungen gehabt, die in Richtung 1. März gingen“, sagte Merkel. Doch die Länder setzten durch, dass sie starten können, wann sie wollen.

Und das wird in Berlin beispielsweise schon am 22. Februar sein, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Gleiches ist in Nordrhein-Westfalen und Hessen geplant. „Da muss ich als Bundeskanzlerin akzeptieren, dass die Kultushoheit in den Ländern liegt“, kommentierte die Kanzlerin den Beschluss – und delegierte damit zugleich die Verantwortung für die Folgen dieser Entscheidung an die Länder.

Auch an anderen Stellen weichten die Mins­ter­prä­si­den­t*in­nen die Beschlussvorlage des Bundes auf: So wird der bisher geltende Lockdown zwar grundsätzlich verlängert – aber zunächst nur bis zum 7. März statt, wie zunächst im Entwurf vorgesehen, bis zum 14. März. Zudem dürfen Frisöre schon ab 1. März wieder öffnen. Dabei gehe es „nicht nur um Hygiene, sondern auch um Würde“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zur Begründung.

Für den Einzelhandel, Museen sowie Kosmetik- und Nagelstudios gibt es kein konkretes Datum, aber eine klare Perspektive: Sie sollen wieder öffnen dürfen, wenn die Inzidenz in einem Bundesland über mehrere Tage unter 35 Neuinfektionen pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen und Woche liegt. Für Gastronomie sowie Kultur-, Freizeit- und Sportangebote soll das dagegen nicht gelten; hier soll bis zum nächsten Treffen am 3. März ein Plan erarbeitet werden.

Angst vor schlechterer Stimmung

Dass die Maßnahmen trotz der Sorge über die stärker ansteckende Mutationen, die in anderen Länder zu stark ansteigenden Infektionszahlen geführt hatten und die sich auch in Deutschland zunehmend ausbreiten, überhaupt gelockert werden, beründete Söder mit Druck aus der Bevölkerung. „Die Lage ist besser, aber die Stimmung ist schwieriger.“ Auch der Berliner Bürgermeister Müller sagte, viele Menschen seien „ein bisschen Coronamüde“.

Im Gegensatz dazu betonte Merkel vor allem die positiven Auswirkungen der bisherigen Beschränkungen. „Wir können sehr zufrieden sein“, sagte sie mit Verweis auf die beständig sinkende Zahl von Neuinfektionen und Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen auf Intensivstationen. „Die Maßnahmen wirken.“ Doch wenn die Mutation sich durchsetze, könne man sehr schnell zurück zu exponentiellem Wachstum kommen, warnte Merkel. Und beendete die Pressekonferenz fast flehentlich mit dem Wunsch: „Dewegen müssen wir weiter runter, runter, runter mit der Fallzahl.“

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16 Kommentare

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  • Ist es vielleicht würdig mit kaputten Schuhen herumlaufen zu müssen, weil kein Schugeschäft mehr auf hat?!



    Monatelang wurde uns versprochen, bei einer 7-Tage-Inzidenz von 50 würde gelockert werden. Nun wurde wieder alles was zuvor gesagt wurde über den Haufen geworfen.

    Überhaupt Zweifele ich die Wirkraft und notwendigkeit der Lockdowns an. Ich habe das Gefühl, die Bevölkerung hatte immer schon vorher reagiert und die Lockdowns waren überflüssig.



    Denn eines ist auffällig:



    Just mit inkrafttreten (fast) aller Lockdowns sinken auch schon die Zahlen (Infektionskurven im Dashboard des RKI für Hamburg und für Deutschland, wer will, kann das nachsehen). Dabei heisst es doch: Was der Lockdown bringe, würde sich erst nach 1-2 Wochen zeigen, wegen der Inkubationszeit.

    Vielleicht verlaufen die Infektionen ganz natürlicherweise sowieso in Wellen???

    1. Lockdown: Beschluss 16. März



    Inkraft: 21./22. März.



    Infektionsspitzen: 16./17.3.20 !!

    2. Lockdown:



    Inkraft: 2.11.20



    Infektionsspitze: 18.11.(D-Land)



    Abflachung aber schon um den 28.10. (D-Land) !!



    Infektionsspitze: 4.11. Hamburg

    3.Lockdown:



    Inkraft: 16.12.20



    Infektionsspitze zw. 16.u.18.12. !!



    Abflachung seit 10./11.12.

  • Der Föderalismus macht mich in Sachen Umgang mit der Pandemie fassungslos. Wir haben einen Gesundheitsminister und eine Bundeskanzlerin. Beide sollten die Richtlinien festlegen. Was aber passiert? Es sind die Ministerpräsidenten, die die Gesundheitsmaßnahmen festlegen. Und dann fragt man sich, wozu man einen hoch dotierten Gesundheitsminister und viele gut bezahlte Gesundheitssenator*innen haben. Das ganze ist nicht mehr witzig.

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Wann kapiert eigentlich auch der Letzte, der Lockdown ist die "Belohnung " - wo wären wir ohne ? Alle auf Intensivstation ... Corona ist kein innenpolitisches Thema, erst wenn unsere ganze Welt das Virus im Griff hat, wir wieder Respekt vor Natur und Tieren und Mitmenschen haben, werden wir gesund und ohne Bedrohungen leben dürfen.

  • Ich wusste gar nicht, dass Friseure so eine effiziente Lobby haben. Lange Haare sind weder unhygienisch noch würdelos. Aber dass die Frisur sitzt ist offenbar wichtiger, als dass es den Kindern gut geht.

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @Ruediger:

      ... aber bitte nicht den frischen Blumenstrauß beim nächsten Besuch zum Friseur ihres Vertrauens vergessen ...

  • Ungemachte Haare ist der Punkt an dem Söder anfängt, über Würde zu sprechen. Außer du hast keinen europäischen Pass, dann ist es sogar okay, wenn deine Kinder von Ratten angefressen werden und du in Zelten ohne Heizung und Boden schläfst. Soso.

  • Offene Positionen sind eine gute Grundlage für die politische Auseinandersetzung.

  • Ich arbeite seit voriges Jahr März mit Maske in einer Praxis, habe jeden Tag Kopfschmerzen. Fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause. Bis jetzt habe zweimal erlebt, dass maskenpflicht kontrolliert wird.



    Die Leute mit den Kindern oder die Kinder alleine unterwegs sind in Gruppen, auch dies nie kontrolliert wird. Die Verkehrsmittel oft zu voll sind. Nichts passiert oder wird kontrolliert.



    Aber Impfstoff für Ärzte und Schwestern nicht da sind, die durchweg auch für die Patienten da sind. Geschweige denn einmal getestet wird.



    Aber Lehrer und Erzieher wieder bevorzugt werden.

    Man seit 1 Jahr an einem Impfstoff geforscht wurde, und man sich dann hinstellt und sagt: „Es fehlen Spritzen und Ampullen!“



    Leben wir im Zeitalter von Schnitzer und Glasbläser. Sowas hätte alles gleichzeitig schon gefertigt werden können.



    Irgendwie stehen falsche Berater zur Stelle.



    Als einfache Leute hat man hier die A....Karte. Die Verkäuferin und Kassierer im Einzelhandel, die jeden Tag alle Viren abbekommen sind auch wiedermachen hinten gerutscht.

    • @Dorn :

      P.S. Meine Freundin Reinigungskraft im Pflegeheim: Auch sie muss die ganze Zeit ihre körperlich schwere Arbeit mit Maske machen- und klagt seit dem über ständige Kopfschmerzen.

    • @Dorn :

      ja, und Tests schön und gut- aber muss es durch die Nase sein? Es gibt auch Gurgeltests. Ich habe eine Bekannte, die als Reinigungskraft im Pflegeheim arbeitet. 2x die Woche muss sie die Prozedur über sich ergehen lassen- ihr schießen jedes mal Tränen in die Augen und sie hat Angst, dass ihre Nase dadurch auf Dauer kaputt geht. Also Alle Pflegenden/Behandelnden und Reinigungskräfte im Pflegebereich sollten als allererstes geimpft werden.

    • @Dorn :

      Sie haben in allen Punkten recht.

  • "Dabei gehe es „nicht nur um Hygiene, sondern auch um Würde“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zur Begründung."

    Ja wer will schon wie ein Hippie auf der Intensivstation im Koma liegen?

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Selbstredend hat unsere Kanzlerin mit ihen Aussagen recht. Kommen unsere Ministerpräsidenten grösstenteils nur noch aus bildungsfernen Schichten ? Es ist ja einfach nur gruslig !

    • @02612 (Profil gelöscht):

      Wieso das denn? Zeigen Sie mir doch bitte mal den Artikel unserer Verfassung, in der die Ministerpräsidentenkonferenz als legislativ-exekutives Doppelgremium festgelegt wird.

      Ich würde eher sagen: Merkels angebliche "Machtlosigkeit" ist ein Ablenkungsmanöver. Sie hätte sich jederzeit für den grundgesetzkonformen Weg entscheiden können. Es geht Merkel nur darum, die Sache bis zur Bundestagswahl ausgesessen zu haben - egal, wie viele Menschen dafür krepieren oder für unabsehbare Zeit invalide werden müssen. Dieser Machtzynismus - herrschen, aber in keinem Fall Verantwortung übernehmen - sucht mittlerweile so ziemlich weltweit seinesgleichen. In keiner Bananenrepublik herrscht die Willkür so sehr wie in Deutschland!

  • Lockern wider alle Vernunft, weil die Stimmung schlecht ist?



    Da bin ich ja mal gespannt, wie es sich auf die Stimmung auswirkt, wenn die Mutationen sich tatsächlich ausbreiten wie befürchtet, die Infektionen explodieren und mit ihnen die Sterbefälle und Folgeschäden.



    Dann mit frischem Elan in den nächsten Lockdown? Und ein großes Dankeschön vom medizinischen Personal.



    Und ja, auch meine Stimmung ist schlecht, auch mein Leben hat sich komplett verändert, ohne dass ich diese Veränderungen gewählt hätte. Aber die Ursache sind doch keine Maßnahmen! Die Ursache ist eine Pandemie, die Leben fordert und Gesundheit bedroht. Scheinen manche Leute gerne zu vergessen.

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @Fezi:

      ... da kann ich Ihnen nur beipflichten. Allerdings könnte man sich schon fragen, ob bei einigen Mitmenschen etwas im Kopf vorhanden ist, was zu vergessen wäre ...