piwik no script img

Marx-Lesekreis nicht mehr gemeinnützigEin Gespenst geht um in Hamburg

Weil der Verfassungsschutz die Marxistische Abendschule als „linksextremistisch“ einstuft, hat die Finanzbehörde ihr die Gemeinnützigkeit entzogen.

Wie würde Marx es finden, dass der Verfassungsschutz sich für seinen Lesekreis interessiert? Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Hamburg taz | Welche Gefahr für die demokratische Gesellschaft kann von einem Marx-Lesekreis ausgehen? Nach Auffassung der Hamburger Finanzbehörde und des Landesamts für Verfassungsschutz offenbar eine ganz erhebliche. Mit Rückwirkung für die Jahre 2018 und 2019 hat die Finanzbehörde der „Marxistischen Abendschule Forum für Politik und Kultur e.V.“ deshalb nun die Gemeinnützigkeit entzogen.

Der Grund dafür ist, dass die Organisation im Verfassungsschutzbericht im Kapitel „Linksextremismus“ aufgeführt wird. Das allerdings schon seit 15 Jahren. Die Steuervergünstigung, die die Gemeinnützigkeit für Vereine mit sich bringt, setzt voraus, dass die Vereine nicht darauf zielen, den Staat zu stürzen oder die Demokratie abzuschaffen. Die Beweislast dafür liegt bei den Vereinen selbst.

Obwohl der Verfassungsschutz in seinem jährlichen Bericht in der Regel keine konkreten Anhaltspunkte aufzählt, warum er die Vereine als extremistisch einstuft, müssen diese widerlegen, dass sie die Verfassung ablehnen. „Das ist kafkaesk“, sagt Armin Grambart-Mertens, der Vorsitzende der Marxistischen Abendschule Hamburg (Masch).

Eine bundesweite Debatte um die Kriterien für Gemeinnützigkeit gibt es seit 2019, als der Bundesfinanzhof der Nichtregierungsorganisation (NGO) Attac den Status entzog. Auch die NGO Campact verlor die Gemeinnützigkeit. Bei beiden Organisationen lautete die Begründung, dass ihre Bildungsarbeit nicht ausgewogen genug sei und politische Ziele im Vordergrund stünden, die aber kein Kriterium für den Status sind. Die Fi­nanz­mi­nis­te­r*in­nen der Länder brachten im vergangenen Jahr einen Reformvorschlag für das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht im Bundesrat ein. Die Union blockierte diesen aber.

Die Vorwürfe des Verfassungsschutzes sind unkonkret

Im November 2019 entzog das Berliner Finanzamt dem Bundesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) die Gemeinnützigkeit. Der Grund dafür war, dass der Bayerische Verfassungsschutz die Organisation als linksextremistisch einstufte. Der VVN/BdA ging juristisch dagegen vor, verlor aber vor Gericht. Es war ihm nicht gelungen, die Behauptungen des Verfassungsschutzes zu widerlegen – was auch daran gelegen haben mag, dass der Verfassungsschutz keine Argumente für die Einstufung als „linksextremistisch“ liefert, sondern die Organisation lediglich im Anhang, in einer Liste mit anderen so eingestuften Organisationen aufführt. Das reichte dem Berliner Finanzamt, auf Ausführungen im Textteil des Berichts komme es nicht an, befand es.

Auch was die Masch angeht, sind die Ausführungen des Verfassungsschutzes dürftig. „In Hamburg besteht seit 1981 die auf DKP-Initiative gegründete Marxistische Abendschule“, steht auf Seite 137 des Berichts. Und weiter: „Sie ist hauptsächlich (…) im Universitätsbereich tätig und bietet dort Gesprächs- und Lesekreise an. Dort steht die Marx-Lektüre im Vordergrund.“ Das beschreibt die Aktivitäten der Masch in der Tat zutreffend. Aber was daran verfassungsfeindlich sein soll, führt der Verfassungsschutz nicht aus.

„Das sind inhaltsleere Formulierungen, daran kann man doch kein staatliches Handeln ausrichten“, sagt Grambart-Mertens. Es widerspreche geradezu dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit: „Wir haben keine Chance, die Vorwürfe zu widerlegen, weil es gar keine richtigen Vorwürfe sind.“ In der Erwiderung an das Finanzamt hat er ausgeführt, warum gerade ein Bildungsverein wie die Masch auf einen demokratischen Rechtsstaat angewiesen sei. „In einer Diktatur ist kein freies und kritisches Lernen möglich, für das wir stehen.“

Das Finanzamt hat das nicht überzeugt. „Es ist überfordert mit der Bewertung“, glaubt Grambart-Mertens. Die Masch will nun vor Gericht gehen. Die Behörde selbst wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Die Steuerverwaltung sei aber strikt an die Maßgaben der gesetzlichen Vorschriften gebunden, sagte die Sprecherin Imme Mäder. „Es können und werden dabei keine Tricks angewandt.“ Auch mache sich die Steuerverwaltung dabei nicht zur Handlangerin von irgendjemandem.

Die AfD interessiert sich besonders für das Thema

Dieser Vorwurf lag nahe, nachdem die Hamburger AfD-Fraktion sich mit einer großen Anfrage an den Senat gewandt hatte. Im November fragte die Partei, welche extremistischen Organisationen als gemeinnützig gelten oder eine Gemeinnützigkeit anstrebten, obwohl sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Wir haben keine Chance, die Vorwürfe zu widerlegen, weil es gar keine richtigen Vorwürfe sind

Armin Gambart-Mertens, Vorsitzender der Marxistischen Abendschule Hamburg

In der Antwort verrät der Senat zwar nicht, welchen Organisationen er die Gemeinnützigkeit zu- oder aberkennt, zählt aber diverse linke Kulturzentren auf, die der Verfassungsschutz beobachtet und die zumindest in ihrer Satzung einen gemeinnützigen Zweck anstreben, darunter etwa das anarchistische „Libertäre Zentrum LIZ“, das „Centro Sociale“ und „Klassenkultur e.V.“.

In zwei von drei Fällen sei das Verfahren zur Entziehung der Gemeinnützigkeit bereits abgeschlossen, schreibt der Senat. Dass es nur so wenige sind, dürfte daran liegen, dass die meisten anderen von vornherein auf die Gemeinnützigkeit verzichtet haben – weil sie das Übel kommen sahen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Aus dem Vorspann der ARTE-Dokumentation..."Er ist einer der meistgelesenen Autoren der Weltgeschichte und nach Luther der wirkmächtigste Deutsche. Revolutionäre und Reformpolitiker, Machthaber wie Gesellschaftskritiker reklamieren bis heute seine Leitsätze für sich. Im 20. Jahrhundert lebte mehr als ein Drittel der Menschheit unter Regimen, die sich auf seine Lehren beriefen - und zumeist scheiterten. Dabei hat Karl Marx selbst jeder Vereinnahmung listig vorgebeugt: "Was mich betrifft: Ich bin kein Marxist." Seine scharfsichtigen Analysen indes scheinen gerade in Zeiten epidemischer Finanz- und Wirtschaftskrisen aktueller denn je..."



    Marx sollte an Gymnasien und Universitäten Pflichtlektüre sein. Es ist immer noch so, dass in den meisten Demokratien die legal-korrupten Mechanismen funktionieren und natürlich ungeahndet bleiben. Am profitorientierten und ausbeuterischen Wirtschaftssystem hat sich nicht viel geändert. Mächtige Lobbyverbände stabilisieren eine sogenannte Demokratie, die auf Geld, Wachstum, Profit, Macht und Gier nicht verzichten kann. Gerade in den USA zeigt sich recht anschaulich, dass politische Macht neben vielen anderen Dingen traditionell und legal käuflich ist. Marx hat immer noch recht, wenn er sagt..."„Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus". Von diesem Virus pandemischen Ausmaßes scheint auch der Verfassungsschutz befallen zu sein, wenn er Abendvorlesungen über Marx als "linksextremistisch" beurteilt.

  • Danke

    „Mit Rückwirkung für die Jahre 2018 und 2019 hat die Finanzbehörde der „Marxistischen Abendschule Forum für Politik und Kultur e.V.“ deshalb nun die Gemeinnützigkeit entzogen„



    Und das ohne belastbare Begründung noch Recht auf Anhörung in öffentlicher Sitzung. Das scheint Spielart Joe McCarthyismus USA 1948-1954 zu sein, allerdings ohne Angebot vor Ausschuss berufener Jury zur Verteidigung anzutreten gegen Vorwurf unamerikanischer Umtriebe. Wenn Rechtsstaatlichkeit zur Pose wird nur noch Sache von Fake News Zuruf zwischen Ämtern ist, eigentliches Ziel statt Recht zu schaffen mit Federstrich Einschüchterung zu verbreiten. Wozu brauchen wir dann Staatsanwälte*nnen, Richter*innen, rechtspfleger*nnen, wenn`s so „billiger“ und vor allem ohne geht?



    Ist schon ein Ding, Parteien in Parlamenten Bund, Ländern, parteinahe Stiftungen mit Dependancen im Ausland werden über Parteifinanzierungsgesetz dazu durch Außenamt finanziert, Außenpolitik aus einem Guss von Finanzen, Wirtschaft, Kultur, Medien, Sport, Entwicklung zu befördern, ohne vom Verfassungsschutz überprüft zu werden, was die da wirklich veranstalten, während unsere Zivilgesellschaft mit ihren Bildungsvereinen. Lesekreisen ohnehin unterfinanziert Finanzmittel für Bildungs-, Meinungs-, Willensbildung entzogen wird?

  • Tja, Leute, ihr müsst ganz einfach an den Colleges in den USA Ökonomie und Politik studieren - vormittags und nicht abends. Denn dort gehört überall die Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie von Karl Marx zum Lehrplan regulär dazu.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Also zu meinem Soziologie-, Politikwissenschafts- und Philosophiestudium gehörte Marx in allen drei Fächern zum Pflichtteil, wenn auch nicht besonders ausführlich. Aber besonders ausführlich kommt im Pflichtteil eh nichts dran.



      Leider ist das nicht für alle humanwissenschaftlichen Studiengänge selbstverständlich. Besonders bei BWL und VWL, wo Marx in besonderem Maße hingehörte, ist da wohl eher gähnende Leere zwischen den Ohren angesagt.

  • Man kann von den Finanzämtern nicht erwarten, dass dort irgendjemand Karl Marx versteht. Marx war schließlich Experte für Kapitalismus und Ökonomie und was könnte einem Finanzamt denn ferner liegen? Eigentlich braucht es jetzt mehr denn je einen Marx-Lesekreis - insbesondere für Finanzbeamte.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      Danke.