Vorauseilender Jahresrückblick 2021: Helmut statt Otto

Wie wird 2021 in Hamburg gewesen sein? Über die Brexit-Konsequenzen in den Elbvororten, die Nöte von Messen und Musicals und die Sozialdemokratie.

Eine Bronzebüste von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmiidt ragt aus Baumkronen hervor

Löst so viele Probleme: Statt des ungeliebten Otto – ein Helmut für den Hamburger Hafenrand Foto: [Montage]: Markus Scholz/dpa, Georg Wendt/dpa

Januar

Von wegen „zehn Prozent sind unbelehrbar“: Mit seiner Prognose war Hamburgs Polizeichef zu optimistisch, seinen diensttuenden Kolleg:innen beschert die Nacht zum neuen Jahr zahlreiche Einsätze. Auf der Reeperbahn, aber auch der Krugkoppelbrücke errichten Feierfreudige zeitweise Barrikaden und zünden dahinter definitiv nicht bloß Wunderkerzen und Tischfeuerwerk. Dass die FDP-Abgeordnete Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein unter Deklamation des Grundrechtekatalogs – sowie von „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ – mitgezündelt hat, bleibt unbestätigt.

Seit Mitternacht stellt der „Partnerschaftsvertrag“ die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich auf eine neue Grundlage. „Von der erreichten Einigung“, so das Auswärtige Amt, würden „beide Seiten profitieren“. Deutschlands britischste Stadt sieht die Scheidung mit Sorge.

März

Pendler:innen atmen auf: Von Norden her kann die A7 wieder benutzt werden – allerdings nur bis Stellingen. Was mit den „sehr vielen“ geschieht, die laut einem Sprecher der Autobahn GmbH hier abfahren? Das kann auch die wiederholte Suche im Stadtteil nicht klären; das schleswig-holsteinische Innenministerium erwägt angeblich eine Reisewarnung für die Hansestadt. Südlich des Elbtunnels gehen die Arbeiten weiter.

Wann Museen, Theater und Kinos wieder geöffnet werden, ist immer noch offen. In einem Gastbeitrag für Theater heute geißelt Kultursenator Carsten Brosda (SPD) die anhaltende Hängepartie.

April

Das Kleingedruckte des „in Rekordzeit“ (so damals das Auswärtige Amt) vereinbarten Abkommens zwischen EU und Großbritannien erfahren zahlreiche Bewohner:innen der Elbvororte am eigenen Leib: Zum 1. April müssen sie Wachsjacken und Land Rover abgeben; entschädigt werden sollen sie mit des Vereinigten Königreichs verwiesenen Lodenjankern sowie älteren, rechtsgelenkten VW-Modellen. Die FDP-Abgeordnete von Treuenfels-Frowein bereitet angeblich eine Sammelklage vor.

Mai

Langfristig abgesagt hat die Wirtschaftsbehörde den eigentlich vom 7. bis 9. geplanten 832. Hafengeburtstag: Gegenüber „ehrenamtlichen Partnern“, „verbundenen Unternehmen“, „unseren Dienstleistern“, aber auch „allen, für die der Hafengeburtstag eine Herzensangelegenheit ist“, so Senator Michael Westhagemann, wäre alles andere „unverantwortlich“ gewesen.

Stattfinden kann am 5./6. die für Januar geplante Messe für Industrieautomation „All About Automation“, und das statt in Schnelsen in der Innenstadt. Der Besuch ist aber nur Robotern gestattet – auch weil sich in den ewig nicht mehr genutzten Messehallen Wölfe und Wildkatzen angesiedelt haben.

Juni

Ebenfalls aus dem Januar verschoben, kann vom 10. bis 12. die Spirituosenmesse „Hanse Spirit“ stattfinden. „Um die gleichzeitig anwesende Gästeanzahl zu reduzieren, wird es Zeitfenster von 4 Stunden geben“, so die Veranstalter, was freilich reicht, sich gehörig einen einzuschenken – man sei schließlich nicht bei Craftbier-Hipstern, heißt es.

Beinahe unbemerkt beginnen am 24. die Sommerferien. Oder endet nur die Option, die Schulen aufzusuchen – bei allerdings weiter ausgesetzter Präsenzpflicht? Oder muss nun einfach noch öfter gelüftet werden? Die eigens eingerichtete Hotline der Schulbehörde (☎ 040-FRAGRABE) bricht in den Tagen davor, so ist zu hören, immer wieder unter dem Ansturm Auskunftsbedürftiger zusammen.

Noch immer ist nicht abzusehen, wann die Pandemie die Öffnung der Kulturinstitutionen erlaubt. Senator Brosda findet dafür in seinem Podcast „Mit Wenn und Aber“ geharnischte Worte.

August

Nach dem enttäuschenden Start der Neuinszenierung des – laut Veranstalter Stage Entertainment – „weltbekannten Broadway-Musicals ‚Wicked‘“ im Mai kommt das für August angesetzte Debüt von „Die Eiskönigin“ gar nicht mehr zustande: Der Entertainmentkonzern Disney beschließt die Bühnenadaption der „Geschichte von unkontrollierbarer Kraft“ doch lieber selbst zu vermarkten: als Stream auf der eigenen Plus-Plattform. Vor den Hamburger Stage-Häusern werden vereinzelt Lustige Taschenbücher und Plüschschneemänner verbrannt.

Oktober

Beinahe unbemerkt beginnen am 11. die Vorlesungen an der Uni, was mit dem bis zuletzt unklaren Format zu tun hat: hybrid oder präsent oder beides, irgendwie? Echte Aufmerksamkeit erfährt einzig der ehemalige AfD-Grande Bernd Lucke. Seine Veranstaltung „Makroökonomik II“ wird wiederholt zoomgebombt.

November

Der für das Jahresende angesetzte Baubeginn für die U-Bahnlinie 5 wird auf unbestimmte Zeit vertagt: Diverse „bislang nur unzureichend erschlossene Stadtteile im Nordwesten und Nordosten“ an die Innenstadt anzubinden, ist auf den Rathausfluren zu vernehmen, wolle doch gut überlegt sein.

Dezember

Nicht mal sein gekonnter Battlerap – featuring Haiyti und Schorsch Kamerun – führt zur Wiederöffnung der Kultur. Dennoch endet das Jahr versöhnlich für Carsten Brosda: Am Silvesternachmittag kann er der Presse die Lösung der anhaltenden Diskussionen um das Bismarck-Denkmal vorstellen: Der steinerne Sozialdemokratenfresser geht als Leihgabe ans völkerkundliche Freilichtmuseum in Parakou, Benin. Und auf den Elbhang kommt, zur Hälfte vom Bund bezahlt – ein 35 Meter hoher Bronze-Helmut-Schmidt.

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