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Ermittlungen bei Hamburgs GrünenSenatorin Ahnungslos

Gegen den Ex-Partner von Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina wird wegen Spesenbetrugs ermittelt. Die damalige Grünen-Chefin war stets dabei.

Bei den Grünen offenbar sakrosankt: Anna Gallina (r.) mit den Senator*innen Tjarks und Fegebank Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Es wird eng für Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). Während neue Details um fingierte Spesenquittungen ihres früheren Lebensgefährten und Vaters eines gemeinsamen Kindes, Michael Osterburg, an die Öffentlichkeit kommen, hat nun die Hamburger Staatsanwaltschaft angekündigt, die Senatorin als Zeugin in der Causa Osterburg vernehmen zu wollen.

Seit Mai dieses Jahres ermittelt Oberstaatsanwalt Michael Elsner gegen Osterburg wegen „Untreue“. Dem ehemaligen Chef der grünen Bezirksfraktion Hamburg-Mitte wird vorgeworfen, fingierte Spesenquittungen und private Restaurantbesuche mit der grünen Fraktion abgerechnet und sich so illegal bereichert zu haben.

Am 15. Mai dieses Jahres verbreiteten die Grünen folgende Pressemitteilung: „Die Grüne Bezirksfraktion Hamburg-Mitte hat am 21. April 2020 Strafanzeige gegen den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden gestellt. Gegenstand der Strafanzeige sind Vorwürfe der Veruntreuung von Fraktionsgeldern.“ Der heutige Fraktionschef Manuel Muja betont: „Wir haben erst Anzeige erstattet, als alle Vorwürfe belegt werden konnten.“

Seitdem wühlt sich die Staatsanwaltschaft durch Osterburg-Quittungen aus den Jahren 2014 bis 2019 und beziffert die Höhe der möglicherweise veruntreuten Gelder auf 67.900 Euro. Pikant: Von den so veruntreuten Geldern soll Anna Gallina, damals noch mit Osterburg liiert, profitiert haben. Es geht dabei um diverse Abrechnungen von Osterburgs-Stammitaliener im Stadtteil Eimsbüttel, wobei Osterburg stets mit Gallina gespeist haben soll und nicht mit den Politiker*innen und Journalist*innen, die er auf den eingereichten Bewirtungsbelegen angab.

Gallina soll profitiert haben

Vergangene Woche kam ein weiterer Bewirtungsbeleg, diesmal nicht in Eimsbüttel, sondern auf Malta ausgestellt, ans Licht der Öffentlichkeit. Im Mai 2017 speiste Gallina mit Osterburg und anderen in einem Nobelrestaurant auf Malta, nachdem sie kurz zuvor an Bord der „Sea Eye“ medial gut inszeniert versucht hatte, Flüchtlinge aus dem Libyschen Meer zu retten. Auf dem Bewirtungsbeleg fanden sich mehrere Hummer und ein Endbetrag von 250 Euro – den sich Osterburg später aus der grünen Fraktionskasse erstatten ließ. „Wasser für Flüchtlinge – Hummer für grüne Landesvorsitzende?“, äzte die CDU in einer Mitteilung und zeigte so die moralische Fallhöhe.

Gallina, die bislang zu den Osterburg-Ermittlungen aufreizend konsequent schweigt, sah sich in diesem Fall gezwungen, eine Erklärung abzugeben. Nach zahlreichen innergrünen Krisengesprächen räumte die Senatorin vorigen Freitag ein: „Ich kann mich an einen Restaurantbesuch mit mehreren Personen (...) erinnern, bei dem von anderen Hummer bestellt wurde.“ Fast trotzig fügte Gallina hinzu: „Ich selbst esse keinen Hummer.“ Sie habe Verständnis dafür, „dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft.“

Dem Impuls, den Malta-Besuch doch noch nur zur Heldinnen-Geschichte umzuschreiben, konnte Gallina dabei nicht widerstehen: „Ich war auf Malta, um Menschen zu helfen, die in schreckliche Not geraten sind. Dieses Engagement ist seit Jahren Kern meiner politischen Arbeit.“

Im Übrigen aber lehnt Gallina es weiterhin ab, sich zu dem Ermittlungen gegen ihren Ex-Partner zu äußern, „um das laufende Verfahren nicht zu gefährden“. Damit weicht sie auch der Frage aus, ob sie sich nie gewundert habe, dass ihr Ex-Partner nach rein privaten Lokalbesuchen stets einen Bewirtungsbeleg verlangt habe. Parteiintern behauptet Gallina, sie habe nichts gewusst und nichts geahnt.

Offiziell weiß die Senatorin von nichts

„Anna Gallina hat uns intern versichert, dass sie keine Kenntnisse über die spätere Verwendung der Restaurantquittung hatte“, teilte Bürgerschaftsfraktionschef Dominik Lorenzen in Bezug auf das Malta-Mahl mit. Ahnungslos sei sie auch in Bezug auf Osterburgs gesamte Tricksereien gewesen, versicherte Gallina parteiintern wie auch gegenüber dem Koalitionspartner mehr als nur einmal.

Als Gallina im vergangenen Juni als Justizsenatorin berufen wurde, liefen die Ermittlungen gegen Osterburg bereits und viele Fakten lagen auf dem Tisch. Doch obwohl den Koalitionären das Risiko von Gallinas Inthronisierung bewusst war, wurde Gallina von den Grünen in den Senat gehievt und ist nun eine zunehmende Belastung für die Koalition. Aus der SPD wächst der Druck, Gallina solle sich so schnell wie möglich öffentlich zu ihren Kenntnissen über Osterburgs Machenschaften erklären und die blühenden Spekulationen so eingrenzen.

Für die Grünen ist Gallina offenbar sakrosankt – keinE Einzige*r, der öffentlich Aufklärung fordert, worauf die Grünen bestehen würden, wäre Gallina Funktionsträgerin einer anderen Partei. Während der Bürgerschaftsabgeordnete Michael Gwosdz öffentlich zur „Solidarität“ mit der angeschlagenen Senatorin auffordert, betont Fraktionschef Lorenzen: „Jeder, der Anna kennt, weiß, dass sie eine integre Persönlichkeit ist, der es um die Sache geht.“

Die CDU hingegen fordert längst, Gallina müsse für Aufklärung sorgen oder ihr Amt ruhen lassen, und freut sich diebisch darauf, Rot-Grün im Hamburger Bundestagswahlkampf mit dieser Personalie vor sich herzutreiben.

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32 Kommentare

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  • Ob Nobelrestaurant oder Pizzeria spielt juristisch hier überhaupt keine Rolle. Herr Osterburg hat diese Sause, wie auch viele weitere Posten anderswo, sich aus der Fraktionskasse erstatten lassen. Frau Gallina war auf Malta, wie auch an anderen Orten, als seine Lebenspartnerin häufig in seiner Begleitung. Das ging über Jahre so. Jetzt wird u.A. ermittelt, ob Frau Gallina völlig ahnungslos sich von ihrem Partner einladen lassen und nie Bewirtungsbelege (die man zwecks Kostenerstattung benötigt) gesehen hat. Wasser predigen und Wein saufen, so schaut's derzeit aus.

  • und ganz nebenbei ...

    gelernt, wie hummer auf maltesisch heißt.

    für's nächste ma(h)l .

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Kinder , man sollte den Artikel schon lesen. Mehrere Personen in einem Edelrestaurant , mehrere Hummer und vermutlich auch Wein und Vittel, dann noch Dessert.



    Für 250 Euro ist das ein Geschenk. In jedem Lokal in Schöneberg, Kreuzberg und Neukölln hätte man da in einer Pizzeria deutlich mehr auf den Tisch gelegt. Ein Edelrestaurant kann das nicht gewesen sein, eher eine Art Taverne im Hafen, die auf Touristennepp spezialisiert ist.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Das ist halt der Unterschied zwischen Hamburg und Berlin. In Hamburg verwechselt man schon lange nicht mehr „teuer“ mit „edel“.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Wohlweislich wird hier von "mehreren Leuten" gesprochen, ohne Genaueres zu sagen. Ob die wirklich alle eingeladen waren oder nur mit am Tisch saßen? In welchen Kreisen sich man so bewegt, sagt schon viel aus. Seenotrettung als(teures) Hobby und Event von politisch korrekten Wohlstandsmenschen. Andere machen in Mecklenburg Urlaub und essen Rotbarsch ...

  • Der gute Herr Osterburg hat nicht nur den Grünen mächtig geschadet sondern wird jetzt hoffentlich auch strafrechtlich belangt. Die Veruntreuung von ca. Euro 60.000,-- ist kein Pappenstiel. In dem gerichtlichen Verfahren wird zu klären sein, inwieweit sich seine damalige Gattin der Mitwisser- oder gar Mittäterschaft schuldig gemacht hat. Bis dahin gilt im Rechtsstaat die Unschuldsvermutung, auch wenn die Sache den Grünen in den kommenden Wahlkämpfen ganz sicher Simmen kosten wird.

  • Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich n die Netiquette.



    Die Moderation

  • 0G
    04369 (Profil gelöscht)

    Ja, das Elend der Flüchtlinge lässt sich am besten im Nobelrestaurant schön saufen. Gibt's im Partei oder Fraktionsvorstand nicht irgendeine beherzt Seele die diesen Realitätsverlust offen bemängelt und der Senatorin den Rücktritt nahelegt? By the way, die Galina ist die Chefin der Staatsanwaltschaft, die wiederum sie ins Visier nehmen muss. Sie ist keine Sekunde mehr haltbar.

    • @04369 (Profil gelöscht):

      "(...) Galina ist die Chefin der Staatsanwaltschaft, die wiederum sie ins Visier nehmen muss. (...)"

      Vollkommen richtig! Genau das stört mich hieran auch.

  • Ja wie? Hätte Herr Osterburg denn seine damalige Frau hungern lassen sollen? Und mal ganz unter uns - wissen Sie denn immer genau, wer da noch alles mit Ihnen am Tisch sitzt und warum? (;-))

  • Politiker sind doch immer ahnungslos!

  • Nach einem Besuch eines Flüchtlingsschiffs in ein Nobelrestaurant essen zu gehen ist nicht anständig, egal was dort gegessen wurde. Frau Gallina zieht mit ihrem Verhalten, ihrer "Unkenntnis" und dem Klammern an Privilegien die ganze grüne Partei nach unten. Solidarität ist keine Einbahnstraße und sollte nicht mit "Führertreue" verwechselt werden.

    • @Dorian Müller:

      "Nach einem Besuch eines Flüchtlingsschiffs in ein Nobelrestaurant essen zu gehen ist nicht anständig, egal was dort gegessen wurde"

      Das find ich zu moralisierend. Wenns danach ginge, müssten ganz speziell Menschen, die sich hauptberuflich mit Armut, Elend, Sozialarbeit, Entwicklungshilfe oder Flüchtlingen beschäftigen, generell auf Luxus verzichten.

      Darf jemand in den Urlaub fliegen, der gestern noch Obdachlose mit Second Hand Klamotten versorgt hat?

      Dass man die Rechnungen selbst zu bezahlen hat und nicht als Bewirtungsbeleg abrechnet, steht natürlich außer Frage.

      • @Deep South:

        Ich finde auch, dass der Geschäftsführer eines gemeinnützigen Sozialunternehmens als Dienstwagen einen Maserati fahren dürfte. Vor ein paar Jahren gab es da noch einen Aufschrei in der Presse, heute wird sowas (auch hier in der TAZ) eher auf Seite 5 oder im Lokalteil versteckt.

        • @TazTiz:

          Was jemand mit seinem privaten Geld macht, ist mir eigentlich völlig egal. Ich brauch keine Heiligen. Und mir isses zehnmal lieber, reiche Menschen engagieren sich sozial, als in rein auf Profiitmaximierung bedachten Unternehmen.



          Für Diejenigen, die außer ihrem Leben gar nix mehr haben, ist unser gesamter Lebensstil in jeder Hinsicht Luxus. Wo die Grenze des Anstands liegt, maße ich mir nicht an festzulegen.

  • Für manche ist es offenbar schwer, integer zu bleiben, wenn sie mit Privilegien in Berührung gekommen sind. Da ist die Partei ganz egal.

  • Brot für die Welt - aber der Hummer bleibt auf dem grünen Teller.....



    Regierungsfähigkeit? Beleg: Abtauchen, Vernebeln, Sesselkleben. ...und die Grüne Basis? Dröhnendes Schweigen.... jeder hat die Politiker, die er/sie verdient bzw gewählt hat...

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Hatte Sarah Wagenknecht nicht auch so ein Hummer Erlebnis?



    "Ich esse meinen Hummer nicht!"

    • RS
      Ria Sauter
      @4813 (Profil gelöscht):

      Warum soll Sarah Wagenknecht keinen Hummer essen?



      Wo ist da der Zusammenhang zu diesem abscheulichen Theater der "grünen" Frau?



      Das ist unfair, was Sie da tun.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Ria Sauter:

        Sie hat Hummer gegessen und Fotos davon löschen lassen. Peinlich

        www.sueddeutsche.d...r-affaere-1.342298

        • RS
          Ria Sauter
          @4813 (Profil gelöscht):

          Ja, das das erforderlich ist, zeigt ja Ihr Kommentar.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

    “ Malta-Mahl: taz.de/Ermittlunge...-Gruenen/!5734040/



    "Dem Impuls den Malta-Besuch doch noch nur zur Heldinnen-Geschichte umzuschreiben, konnte Gallina dabei nicht widerstehen: „Ich war auf Malta, um Menschen zu helfen, die in schreckliche Not geraten sind. Dieses Engagement ist seit Jahren Kern meiner politischen Arbeit.' "



    Darauf einen Malteser-Aquavit: www.youtube.com/watch?v=EEFPxFvnSNQ



    ("Mann gönnt sich ja sonst nichts.") - 🤑

    kurz - Allens in Tüttel in Eimsbüttel!



    „Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können“ (Walter Jens) - ⚽️ - aka Momos



    Allens klar - Das - war einmal - 🤫 -

    unterm——— servíce —



    taz.de/Lang-her-is...terschaft/!434535/

  • Ein Raser als Minister, eine Spesenritterin als Senatorin - die Grünen werden zu einer ganz normalen Partei. Friedrich Merz kann sich auf einen verlässlichen Partner freuen.

    • @Linksman:

      Glauben Sie (bitte unabhängig von Ihrer Ideologie) es gibt keine korrupte Politikern auch im Linkenlager?

      Wachen Sie auf, hoffentlich ohne Schmerzen...

      • @H B:

        Sie haben schon recht ...



        Aber die Grünen haben immer am lautesten Parteiklügel, Korruption und Geldverschwendung angeprangert.

        Aber das war zu einer Zeit, als die Grünen noch nicht von der Wirtschaft hofiert und geschmiert wurden ...

  • Es ist wie immer: man muss nur in der richtigen Partei sein.

  • 2G
    25417 (Profil gelöscht)

    Wenn Frau Gallina von allen dem nichts mitbekommen haben will, sollte vielleicht für sie ein gerichtlich bestellter Betreuer das Leben in die Hand nehmen.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Die hamburger Grünen sind genau das geworden, was bei der damaligen Gründung der GAL stets ausgeschlossen werden sollte:



    Eine verlogene, machtversessene Partei.



    Nicht erst die Spesenaffäre um Fr Gallina und Hrn Osterburg offenbaren diesen Substanzverlust.



    Schon das rassistische Vorgehen gegen gewählte türkische Abgeordnete im Bezeik HH Mitte wurde ja von Frau Gallina, Frau Fegebank und dem gesamten Vorstand gedeckt.

    • 1G
      15833 (Profil gelöscht)
      @05867 (Profil gelöscht):

      Wenn es ums lügen und betrügen geht ist jede Partei dabei.

      • @15833 (Profil gelöscht):

        Grünen/B90 sind schon weg von Ihrer vielen Wurzeln... Sie haben kapiert, es gibt eine große Mehrheit, die nicht wie sie denken... Was sehr normal in einer "Demokratie" ist.. Und nicht durch Verbote (Grüße an ÖRR Medienstars Fr.Baerbock und Hr. Habeck) komplett gelenkt werden können...

        Wenn sie aber hier nur Masken tragen und diesen Wählern nur täuschen, werden sie erbitterte Wahlergebnisse in nahzukunft haben... Wie in Stuttgart/BW gerade passiert ist...

      • 0G
        05867 (Profil gelöscht)
        @15833 (Profil gelöscht):

        Da hast Du vielleicht recht.



        Soll das nun eine Entschuldigung sein?



        Kennst Du das Gründungs-Programm der GAL?

        Besser wäre es wohl, diese verkommene Partei daran zu messen anstatt sich zynisch über ihren Zustand zu mokieren.

        • @05867 (Profil gelöscht):

          "Besser wäre es wohl, diese verkommene Partei daran zu messen..."

          Das wäre unfair, um es mit Münte zu sagen. ;-)

          ...oder vielleicht ein wenig unmenschlich, weil es eine leider sehr normale Schwäche nicht wahrhaben will:

          Politische Macht ist schon für die meisten Menschen sowas wie eine bewusstseinsverändernde Droge. Ich kenne ein paar Menschen, die es zu Macht gebracht haben. Allesamt (wirklich: Alle) betrachteten sie sich immer noch als Idealisten erster Stunde, während sie abhoben und eine neue Sicht der Dinge entwickelten, die sich unter dem Deckmantel von hehrer Zielsetztung, Machbarkeit und Verantwortung immer mehr in Richtung reiner Status- und Kontaktpflege wandelte. Dass sie gerade genau zu dem wurden, was sie vorher immer geschworen hatten, niemals zu werden, wollten sie nicht wahrhaben - ein wenig wie man es häufig auch bei Jungeltern beobachten kann, die ihre als Kinderlose aufgestellten Regeln und Urteile über völlig nerviges und/oder kinderschädigendes Elternverhalten nach der Niederkunft komplett über Bord werfen, ohne es zu merken.

          Man bekommt als Berufspolitiker offenbar das Gefühl, bei aller Volksnähe doch eine andere Art Wesen zu sein, für dessen Denkvorgänge und Prioritäten dem gemeinen Volk das Verständnis fehlt. Es weiß ja nicht, was man selbst weiß und wie kompliziert das alles in Wahrheit ist (Golfer reden häufig ähnlich über ihren Sport, wenn sie z. B. auf Fußballer treffen, die mit der Bezeichnung "Sport" bei Golf ein Problem haben...). Und dass die Welt auch nicht besser würde, wenn ihre Leiter und Lenker sich mit mediokrem Allerweltsfraß begnügten (oder selbst die Zeche zahlten), ist sowieso immer eines der ersten "realpolitischen" Erkenntnisse.

          Nennen Sie es "zynisch", und Sie haben nicht Unrecht. Aber ist es zu ändern, indem "man" Politiker an diesem harten Maßstab misst - ich befürchte nein. Denn "man" wird nie Alles immer höchstselbst machen, sondern wenn nicht diesen, dann anderen Leitern und Lenkern vertrauen wollen...