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Sinn und Unsinn von GefängnissenEin schlechter Ort

Hamburg baut ein neues Jugendgefängnis und setzt auf totgeglaubte Konzepte der Überwachung und Kontrolle. Dabei ginge es womöglich auch ohne Knäste.

Verzichtbar? Blick aus dem Gefängnisfenster Foto: Felix Kästle/dpa

Hamburg taz | Hamburg will ein Jugendgefängnis bauen, im Stadtteil Billwerder, weit im Osten der Stadt, direkt neben dem Gefängnis für Erwachsene. „Deutschlands modernste Jugendanstalt“ soll es werden, aber tatsächlich ist dort genau das nicht geplant, was heute als moderner Jugendstrafvollzug gilt:

Statt einem „Dorf-Modell“ zu folgen, das auf offene Kommunikationsformen, Möglichkeiten für körperliche Bewegung und eine Nähe zur Natur setzt, sei die Bauplanung extrem verdichtet, kritisierten sieben Mitglieder des Beirats Justizvollzug in einem Schreiben an Justizsenator Till Steffen (Grüne). Weil das Gebot der Gewaltprävention bei der Planung im Vordergrund gestanden habe, könnten „die Ziele eines modernen Jugendvollzugs“ gar nicht erreicht werden.

Aber können Knäste überhaupt auf der Höhe der Zeit sein? Warum scheint es so selbstverständlich, dass Menschen eingesperrt werden müssen, um sie zum „Leben ohne Straftaten“ in „sozialer Verantwortung“ zu befähigen, wie es im Strafvollzugsgesetz heißt? Geht es nicht ohne die Institution Gefängnis? Ist Haft ein angemessenes Mittel der Bestrafung? Und sollen und dürfen wir überhaupt strafen?

Knäste komplett abzuschaffen, die Gesellschaft zu entknasten, gilt den meisten als unseriöse, ideologische, gefährliche oder wenigstens naive Idee. Der Abolitionismus, der sich, vor allem aus Skandinavien kommend, seit Ende der 1960er-Jahre dafür einsetzt, den Freiheitsentzug als Strafe aufzugeben, wird schnell als Bewegung einiger verrückter Linker abgetan.

Dabei lässt die Forderung sich mit guten, wissenschaftlich fundierten Argumenten begründen. Zwei der Vordenker einer solchen Kriminologie kommen aus dem Norden: In Bremen setzt sich der Kriminologe und Rechtssoziologe Johannes Feest schon lange für die Abschaffung der Freiheitsstrafe ein, in Hamburg der Kriminologe und Soziologe Sebastian Scheerer.

Knäste bringen es nicht

So gefährlich und radikal sieht die Idee der Entknastung auf den zweiten Blick auch gar nicht aus: Die Ziele der Freiheitsstrafe – die Interessen der Opfer von Kriminalität zu berücksichtigen, die öffentliche Sicherheit zu garantieren und die Betroffenen zu resozialisieren – müssen nicht als illegitim angegriffen werden. Sie ließen sich, so die These, in einer Welt ohne oder wenigstens mit sehr viel weniger Gefängnissen viel besser erreichen.

Am stärksten wiegt dabei das Argument, dass Gefängnisse die ihnen zugeschriebene Aufgabe, nämlich Gefangene zu resozialisieren und Kriminalität zu reduzieren, gar nicht leisten. Bislang konnte nicht eine einzige Studie belegen, dass das Einsperren von Straftäter:innen eine bessernde Wirkung auf sie hat.

Im Gegenteil: Gefängnisse produzieren Gewalt und hohe Rückfallquoten. Auch die Abschreckungswirkung ist viel geringer als oft angenommen. Und um Gefangene zu sichern, wären Knäste schlicht nicht nötig.

Die Freiheitsstrafe bestraft übermäßig, sie verletzt die Würde der Insassen, weil sie nicht nur die Freiheit entzieht, sondern die Insassen einem weitreichenden Anstaltsregime unterwirft und Menschenrechte beschneidet. Menschen werden zur Arbeit gezwungen, zur Armut und zur Enthaltsamkeit; unbeteiligte Dritte wie Familienangehörige werden mitbestraft.

„Wiederherstellende Gerechtigkeit“ statt Strafrecht

Eine „negative Kriminalpolitik“ sieht den Ausweg aus dem Knast-Dilemma deshalb nicht im Neubau von Gefängnissen und der Verbesserung von Haft- und Behandlungsmethoden, sondern stellt die Frage, ob der gesellschaftliche Umgang mit Kriminalität und anderen Formen der Abweichung nicht gänzlich auf das Strafrecht verzichten kann – oder ob strafrechtliche Sanktionen nicht wenigstens durch andere Formen sozialer Kon­trolle ergänzt werden können.

Die Frage wäre also gar nicht, ob wir Gefängnisse abschaffen müssen, sondern wie wir es schaffen. Eine Möglichkeit wäre die Stärkung von Verfahren der Restorative Justice, einer „wiederherstellenden Gerechtigkeit“, die Konflikte durch Wiedergutmachung materieller und immaterieller Schäden löst, auch unter Einbeziehung der jeweiligen Gemeinschaft.

Statt der Verletzung von Gesetzen stünde die Verletzung von Menschen im Mittelpunkt und die Suche nach Wegen, den sozialen Frieden wiederherzustellen. Das sorgt auch bei Täter:innen besser als Gefängnisse für die Einsicht, etwas Falsches getan zu haben. Und befördert den Wunsch, es in Zukunft besser zu machen.

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