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Staatsanwaltschaft über PolizeikolumneZulässige Systemkritik

Die Berliner Staatsanwaltschaft wird wegen der Kolumne „All cops are berufsunfähig“ nicht gegen die taz-Autor:in Hengameh Yaghoobifarah vorgehen.

„Das Verfahren ist mithin einzustellen“, beendet die Staatsanwaltschaft ihr Schreiben Foto: Christian Jungeblodt

Berlin taz | Die polizeikritische Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah liefert „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ für die Aufnahme von Ermittlungen. Dies schreibt die Berliner Staatsanwaltschaft in ihrer Begründung dafür, dass sie nicht gegen die Autor:in vorgehen wird. Dass die Behörde die Kolumne von Mitte Juni durch die Meinungsfreiheit gedeckt sieht, war der taz schon seit zwei Wochen bekannt; nun liegt uns auch die ausführliche Argumentation mit Datum vom 11. September vor.

Zwar sei es nachvollziehbar, dass viele den Text „als Angriff und Herabsetzung“ von PolizistInnen verstanden hätten, schreibt die Staatsanwaltschaft – strafrechtlich relevant sei er deshalb jedoch nicht. Geprüft wurde demnach zunächst ein möglicher Verstoß wegen Volksverhetzung. „Jedoch wird in dem Text weder zum Hass aufgestachelt noch zu Willkürmaßnahmen aufgefordert“, argumentiert die Behörde. Es fehle der „Appellcharakter“. Yaghoobifarah habe lediglich „eine abschätzige Bewertung der deutschen Polizei bzw. des Berufsbilds des Polizeibeamten“ vorgenommen.

In ihrer Kolumne hatte die Autor:in darüber nachgedacht, was mit PolizistInnen zu geschehen hätte, wenn die Polizei abgeschafft würde. Im Ergebnis kam Yaghoobifarah darauf, dass die BeamtInnen nur auf einer Müllkippe gut aufgehoben seien, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind“ und keinen Schaden anrichten könnten. Die Autor:in ergänzte: „Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Darin konnte die Berliner Staatsanwaltschaft „auch kein Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden“ erkennen. Dafür hätten die Betroffenen massiver in ihren Lebensrechten und ihrer Menschenwürde angegriffen werden müssen. „Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Polizei im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurück(zu)stehen.“

Systemkritik statt Beleidigung

Außerdem, so die Argumentation, müsse man die Umstände würdigen: die Black-Lives-Matter-Bewegung und die Reihe von Veröffentlichungen über Gewalt und Rassismus in der Polizei. Vor diesem Hintergrund begebe sich die Autor:in „in ein Gedankenkonstrukt bzw. -experiment“, das „einige satiretypische Stilmittel enthält“, etwa Übertreibungen und Verzerrungen. So werde zum Beispiel „eine überspitzte Verbindung zwischen sozialer Arbeit und dem Tragen von Schuhe(n) der Firma Birkenstock und Leinenhose gezogen“, erläutert die Staatsanwaltschaft.

Der Wortlaut selbst, etwa was der Begriff „ihresgleichen“ genau meine, sei „jedenfalls verschiedenen Deutungen zugänglich“, ergänzt sie.

Auch einen Verstoß wegen Beleidigung konnten die Ermittler nicht feststellen. Sie halten sich dabei vor allem an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 zum Fall „Soldaten sind Mörder“. Aus diesem Urteil zitiert die Berliner Behörde: „… je größer das Kollektiv ist, auf das sich eine herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden“. Eine Äußerung ist demnach umso weniger strafrechtlich als Beleidigung zu werten, je weniger sie individuell zurechenbar ist. In Yaghoobifarahs Kolumne sei nun „eine hinreichende Individualisierung nicht ersichtlich“. Es handle sich um eine „Systemkritik“.

Aus all diesen Gründen sei auch ein strafrechtliches Verhalten der taz-Chefredakteurin Barbara Junge oder anderer Beteiligter oder Verantwortlicher in der taz nicht ersichtlich. „Das Verfahren ist mithin einzustellen“, beendet die Staatsanwaltschaft ihr Schreiben.

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15 Kommentare

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  • Die ersten drei Worte des Artikels schrabbelt bereits krass am Problem vorbei.

    Der "Müll-Artikel war keine "polizeikritische Kolumne ", die sich in irgendeiner Art und Weise kritisch mit einem Thema auseinander setzt, sondern der übliche lustige Kartoffelsalat von HY. Nich mehr und nicht weniger bzw. in dem Artikel bekanntermaßen ziemlich wenig.

  • Daß Hengameh Yaghoobifarah entlastet wurde, ist gut.

    Die Pressefreiheit - auch die Satirefreiheit - kann nicht hoch genug gehalten werden.

    Allerdings sollten identitätspolitische Akteure dies zum Anlaß nehmen, darüber refektieren, wie sie es selbst mit Pressefreiheit und Satirefreiheit handhaben - wenn es um Positionen geht, die nicht die ihren sind.

    Eine Reflektion, die zu ernüchternden Ergebnissen führen dürfte, sehr ernüchternden - höflichst formuliert.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @Weber:

      kritik=/=kriminalisierung, den sog "identitätspolitischen akteuren" fehlen in der regel die machtmittel, die meinungs-, presse- und kunst-freiheit real einzuschränken, ganz im gegensatz zum staat bzw dem bundes-innenministerium

  • Ich fand das voraussehbar.



    Es geht doch dabei lediglich um Einschüchterung.

    • @Tripler Tobias:

      Voraussehbar war das in der Tat.

      Wen hätte Seehofer einschüchtern wollen? Yaghoobifarah?

      Da ihn ja wohl schon sein eigenen Mitarbeiter darauf hinwiesen, dass hier keine Straftat vorliegt, konnte er das kaum annehmen.

      Allerdings ist er der Chef der Bundespolizei.

      Seinen Beamt_innen kann er nun sagen:"Seht Ihr, ich habe dafür gekämpft, dass man Euch nicht mit Müll gleichsetzt."

      Und eine gewisse spontane Empörung und Hemdsärmlichkeit ist durchaus Teil der Marke CSU.

  • Dafür dass der Fall wie der Untergang des Abendlandes gehandelt wurde, fürwahr ein mageres Ergebnis.

    • @Jim Hawkins:

      Sehen Sie, so unterschiedlich ist die Wahrnehmung.

      Ich war überrascht, wieviele es auf ein Mal in Ordnung fanden, Menschen mit Müll gleichzusetzen, so lange es nur die "richtige" Gruppe trifft.

      • 9G
        90564 (Profil gelöscht)
        @rero:

        und wenn mans zum tausendsten mal wiederholt, es wird nicht richtig, es ging um arbeiten auf der müllkippe, ein ganz realer beruf

        • @90564 (Profil gelöscht):

          Wenn sogar Tazler das in ihren Artikeln zugeben, könnten Sie sich doch das Bestreiten und Leugnen eigentlich sparen, oder?

          • 9G
            90564 (Profil gelöscht)
            @rero:

            auch bei der taz arbeiten menschen, die das falsch verstanden haben, so what?

      • @rero:

        Kunst ist Kunst.

        Achterbusch hat in dem Film "Das Gespenst" als vom Kreuz gestiegener Jesus auf dem Viktualienmarkt mit zwei Schnapsgläsern in der Hand Passanten um "Scheiße für die Polizei" angebettelt.

        Auch damals war das Geschrei groß, nur war die Zahl der Verteidiger höher als die der Ankläger, die aus den üblichen offiziellen Aufgeregten bestand.

        Heartfield hatte in das mit Tucholsky publizierte Buch "Deutschland, Deutschland über alles" ein Bild mit hohen Militärs eingefügt, mit der Bildunterschrift:

        "Tiere sehen dich an"

        Die Geschichte ist nicht neu und das Geschrei auch nicht.

        Mir ist nur die Distanzierung der taz unangenehm aufgestoßen.

        That's all.

        • @Jim Hawkins:

          Mir ist die Distanzierung der Taz ja genau angenehm aufgefallen.

          Bewahrte in meinen Augen irgendwie die Glaubwürdigkeit.

          • @rero:

            Klar, man kann natürlich sagen, diese Stimme, diese Richtung, die braucht die taz nicht.

            Mir würden auch ein paar einfallen, die ich nicht gelesen haben muss.

            Aber, es war eben diese Vielfalt, diese Bandbreite an Meinungen, die ein wichtiges Merkmal der taz für mich war.

            Man könnte auch sagen, das Gegenteil von Vielfalt ist Einfalt.

  • Schon mein Opa sage "Führer sein heisst Vorbild sein". An diese Worte denke ich, wenn wir über Rechtspopulisten, Trump und Co schimpfen. Egal ob diese Kolumne legal war - sie war (wie alle von mir gelesenen Artikel der Autorin) eine Unverschämtheit und das kann man an der Reaktion darauf aus allen politischen Ecken sehen. Selbst innerhalb der TAZ war das Thema umstritten. Wenn die TAZ eine moralische Instanz sein oder bleiben will, dann darf sie Hass und Hetze nicht dulden. Nicht von rechts aber auch nicht von links. Ansonsten ist die TAZ ein polemisches ideologisches Schmierblatt wie Bild und Welt auf der Gegenseite. Ist das das Ziel? Eine linke Bild zu werden? Dann nur weiter so.