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Verbot der Pop-up-RadwegeAutokratie statt Demokratie

Berlins Pop-up-Radwege sollen verschwinden, obwohl eine breite Mehrheit sie wünscht und RadfahrerInnen sie feiern. Ein echter Irrsinn.

Pop-up-Bikelane auf der Berliner Stresemannstraße Foto: Georg Wendt/dpa

E s ist eine der wenigen positiven Nebenerscheinungen von Corona: Die Pop-up-Radwege, die innerhalb von kurzer Zeit an zahlreichen Berliner Hauptverkehrsstraßen entstanden sind. Um den pandemiebedingt stark gewachsenen Radverkehr aufnehmen zu können, wurde jeweils eine Autospur zur Radspur umgewidmet und mit Verkehrsbaken gegen das Befahren durch Autos geschützt.

Doch diese Umverteilung des Straßenraums störte nicht nur die AfD, die dagegen klagte. Sondern auch das Berliner Verwaltungsgericht, das einem Eilantrag in erster Instanz recht gab und die neuen Radspuren für unrechtmäßig erklärte – mit der Begründung, dass diese nur eingerichtet werden dürften, wenn zuvor eine besondere Gefahr für Radfahrende auf der entsprechenden Straße nachgewiesen worden sei.

Keine Frage: Auch die Verwaltung muss sich an Gesetze halten, und jeder hat das Recht, vor Gericht überprüfen zu lassen, ob sie es tut. Doch wenn diese Entscheidung auch in der Hauptsache und der nächsten Instanz bestätigt werden sollte, zeigt sie ein sehr grundsätzliches Problem der deutschen Verkehrspolitik und der Gesetze, auf denen sie beruht: Das Auto ist noch immer das Maß aller Dinge. Den Platz, den es in den Städten beansprucht, darf die demokratisch legitimierte Politik nicht einfach so reduzieren, nein, sie muss das ausführlich begründen.

Dass mehr Menschen Fahrrad fahren, langt dabei nicht als Grund. Dass noch mehr Menschen das Fahrradfahren ermöglicht werden soll, erst recht nicht. Nein, eine echte Gefahr muss erwiesen sein, bevor eine Kommune tätig werden darf – am besten durch gut dokumentierte Unfälle. Wer radfahren will, muss erst mal leiden.

Diese Beschränkung der kommunalen Gestaltungsmöglichkeit durch die Vorgaben der Straßenverkehrsordnung ist absurd – und undemokratisch. In vielen Städten wächst der Wunsch, den Straßenraum menschenfreundlich umzuverteilen. In Berlin hat ein Volksentscheid in Rekordzeit die notwendigen Unterschriften dafür gesammelt, dass alle Hauptverkehrsstraßen mit sicheren Radwegen ausgestattet werden, und der Senat hat ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.

Jetzt endlich wird unter dem Eindruck von Corona an der Umsetzung solcher sinnvollen Pläne gearbeitet. Dass dies an überkommenen und bürokratischen Vorgaben des Bunds scheitert, sollten sich die Kommunen nicht mehr länger gefallen lassen. Das Zeitalter der Autokratie ist vorbei.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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5 Kommentare

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  • Warum ist eine verwaltungstechnische undemokratisch? Gerade eine Demokratie lebt davon, dass Regionale Bevölkerungsmeinungen auch von Gesetze eingeschränkt wird.



    Das Problem in Berlin ist doch, dass die rechtliche Umsetzung einfach Schrott war. In München hat es problemlos funktioniert.

    • @Andi S:

      Naja in München mags mit der Verwaltungsumsetzung vielleicht besser funktioniert haben aber das Ergebnis ist für Radfahrer, Fussgänger und Öpnv Nutzer seit Jahrzehnten mehr als Schrott. Und den Autofahrern ergehts in den stadtweiten Dauerstaus auch nicht besser. Was fehlt sind effiziente Verkehrskonzepte, da müssen wir dann schon auf Städte wie Wien oder Kopenhagen schauern...

  • Das Problem mit der Klage, Malte Kreuzfeldt, ist noch ein Anderes.

    Die Klage beruht auf den §§ 2 (Radverkehr muss auf die Fahrbahn) und 45 (9) (... auch bei erheblichem Risiko).

    Die sog. AfD stellt sich damit in eine Reihe mit Radaktivisten alten Schlages, die sich bei Klagen gegen Benutzungspflichten auf genau diese §§ berufen. Beide Bestimmungen wurden 1997 vom damaligen CDU-Bundesverk.minister und späteren Vorsitzenden des Verbands der deutschen Automobilindustrie Wissmann als sogenannte 'Fahrradnovelle' eingeführt.



    Gegen Benutzungspflichten zu sein, ist a priori nix einzuwenden, doch ist die Aufhebung von Anfang an Mittel gewesen, um Pflege, Instandsetzung bzw. Neubau von Radinfrastruktur zu unterdrücken.

    Hier wusch eine Hand (das Interesse der zwar wenigen, aber lautstarken schnellen, meist männlichen Radler an einem nur auf Fahrbahnen zu erzielenden 'Schnitt') die andere (auf Bundes- oder Lobbyebene die Begrenzung des Radverkehrs zugunsten des Kfz-Verkehr durch Vorenthaltung von angemessener Radinfrastruktur, bzw. die Einsparung von Mitteln auf kommunaler Ebene.)

    Durch die Radentscheide, die in Berlin ihren Ausgang nahmen, stehen seit einigen Jahren nicht mehr allein die Interessen der schnellen männlichen Radler auf der Tagesordnung, sondern die urbane Verkehrswende, die ohne inklusiven Radverkehr ("von 8 - 88"), der auf ausreichend geschützte Infrastruktur angewiesen ist, nicht zu haben ist.

    Kein Zufall, dass die sog. AfD, als ausschließlich männlich geprägte Partei, mit ihrer Klage genau in diese Kerbe schlägt.

    Hermann et Al, 2019, S. 82 ff. Zu §45 (9) StVO :



    "Das wirft die Frage auf, ob die Bestimmung mit den Wertungen des Grundgesetzes zu vereinbaren ist, denn sie gibt dem Interesse an der Fortbewegung ein höheres Gewicht als dem Interesse an der Sicherheit und Gesundheit der Menschen."



    www.umweltbundesam...t-innovation_0.pdf

    • @Vorstadt-Strizzi:

      ich glaube, ganz so einfach laesst sich die problematik nicht erklaeren, und der schwerpunkt ´maennlich´ verfehlt ebenso. wenn man nicht gleich noch anfuehren will, dass fuer alle kriege eben maenner verantwortlich sind.

      verkehr ist wirklich sehr komplex und kompliziert, weil eben jeder mensch verkehrt und dabei dann auch seine individuelle sicht hat. wie will man das alles auf einen nenner bringen?



      die einen pochen auf ihre privilegien und rasten schier aus, wenn auch nur einen deut davon abgewichen werden soll. nur mit hinweis auf status quo - so wars halt schon immer - kommen wir jetzt bei sich immer groesser tuermenden problemen nicht weiter.



      eine loesung ist nur theoretisch moeglich, da - mobilitaetsgesetz schoen und gut - der komplette umbau der infrastruktur einfach viel zu teuer ist. theoretisch gewollt, praktisch nicht in den naechsten 30 jahren realisierbar. aber immerhin haben wir schonmal ein gesetz.

      dass jetzt in berlin sich tatsaechlich mal 3 visionaere menschen der hoeheren verwaltungsebene, dem zufall geschuldet, getroffen und am gleichen strang gezoen haben, nachdem es seit jahrzehnten nur stillstand heisst, ist fuer diejenigen, die nach veraenderung lechzen, das erste zeichen der hoffnung. und auch, wie im artikel erwaehnt, richter nur ihren job machen und sich an gesetze halten, ist dieses urteil trotzdem fatal. denn - wenn man es mal GANZ von vorne aufrollt - der verkehr, so wie er gerade stattfindet, ist tagtaeglich eine verletzung der gleichbehandlung, gleichberechtigung, und der menschenwuerde. es gibt ganze strassenabschnitte, wo radfahrende ausgegrenzt werden. hier heisst es, zum schutz eben jener. will man sie schuetzen durch pop-up radwege, ist dies nicht grund genug. es wird so verfahren, wie es eben immer dem kraftverkehr passt, der schnell, zuegig und fluessig bleiben soll. das ist das oberste gebot, alles andere muss sich hinten anstellen. laut der richter ergo auch die gesundheit und die sicherheit der radfahrenden.

  • Danke, AfD. (Angst für Deutschland) (/ironie)