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Geflüchtete auf LesbosAlle. Alle. Alle.

Wenn darüber debattiert wird, ob Deutschland Geflüchtete aus Lesbos holen kann, geht es immer um Kinder, Kranke, Schwangere. Es sollte um alle gehen.

Menschen fliehen am 9. September aus dem brennenden Lager in Moria Foto: Alkis Konstantinidis/Reuters

A lle Menschen, die in griechischen Lagern festgehalten und gefoltert werden, müssen unverzüglich und ohne menschenfeindliche Symbolpolitik in Sicherheit gebracht werden. Ich gehe an dieser Stelle auf die hässlichen politischen Agenden der griechischen Regierung, der Bundesregierung und der EU ein. In den vergangenen Tagen habe ich nämlich eine viel mächtigere Dynamik beobachtet, die selbst die wenigen anständigen Entscheider*innen der europäischen Politik beeinflusst.

Im gesamten politischen Spektrum wird mittlerweile betont: Wir müssen ein paar Flüchtlinge aufnehmen, vor allem aber unbegleitete Kinder und Jugendliche, Familien, ein paar Schwangere, bisschen chronisch Kranke, vielleicht noch drei oder vier Senior*innen aus Moria evakuieren. Im Umkehrschluss bedeutet diese Katastrophenbewältigung der Trippelschritte aber auch: Alle anderen sollen im Elend verrecken. Aber: Auch gesunde, kräftige Männer zwischen 18 und 49 Jahren haben ein Anrecht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und Würde. Deswegen ist das erste Wort dieser Kolumne: Alle.

In Deutschland herrscht spätestens seit 2015 eine bedrückende Verlegenheit, wenn über die Grundrechte von Geflüchteten gesprochen wird. Man muss sich quasi entschuldigen, wenn man verlangt, dass Menschen nicht in überfüllten Lagern verbrennen oder an Krankheiten sterben, dass sie in Coronazeiten nicht auf engstem Raum zusammengepfercht vor sich hin vegetieren oder gezwungen werden, Abwasser zu trinken. Wie in Moria geschehen.

Im gesamten politischen Spektrum verweisen viele auf „die europäischen Werte“. Im Studium habe ich gelernt, dass es eine Verfassung und Verfassungswirklichkeit gibt. Meistens wurde in den Uni-Seminaren über den sogenannten „Globalen Süden“ in diesem Zusammenhang gesprochen.

Allerdings kann dies auch auf Europa heute angewendet werden. In diesem Sinne würde ich gerne eine kommentierte Neuauflage des Vertrags von Lissabon pitchen, in der die Intentionen der Gründermütter und -väter und politische Praxis von heute deutlich werden. Hier ein Auszug aus Artikel 2 [samt Kommentar]:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde [aber nur für EU-Staatsangehörige, Netto-Zahler*innen in den EU-Haushalt bekommen doppelte Würde], Freiheit [generell nur für Träger*innen von hässlichen Europa-Kapuzenpullis], Demokratie [Nazis in den Parlamenten sind willkommen], Gleichheit [es sei denn Geflüchtete bekommen dasselbe wie wir], Rechtsstaatlichkeit [gilt nicht für die faktische Abschaffung des Asylrechts; zum Beispiel in Ungarn] und die Wahrung der Menschenrechte [Späßchen! hahaha!] einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören [es sind ausschließlich Deutsche in Belgien gemeint].

Vielleicht wird Ihnen jetzt klar, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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19 Kommentare

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  • Die Grundrechte werden nur staatlich eingegliedert somit hat man es schwer als Nicht-EU Angehöriger sich auf einer Position zurechtzufinden wo "man" auch ansatzweise überhaupt an vorübergehende Staatsangehörigkeit denken kann..., aber das macht die Sache nicht einfacher.., speziell wenn man an die katastrophalen Bedingungen denkt.

    Die meisten Länder sind darauf nicht vorbereitet..., die Lösung zu finden ist oft als Ideal zu vergleichen. Nicht jeder ist vorbereitet.., also gehen die Entscheidungen kurzfristig, was damit zu vergleichen ist dass man im Not schnell zu einer Entscheidung kommen muss. Auch ob alle gerettet werden oder nur bestimmte Personen, das wird erstmal flüchtig betrachtet.



    Hoffen wir, dass was besseres kommt.

  • Es sollte um alle gehen.



    Das denke ich auch.

  • Die laute und emotionale Debatte über Lesbos - ein Teil von Europa, zivilisiert, kein Krieg, keine Seuchen, keine Folter, keine Naturkatastrophen ... ist irgendwie befremdlich. 12.000 Menschen werden dort nicht sterben sondern lediglich auf ihre Weiterreise nach Deutschland drängen. Die Situation ist letztlich ähnlich dem „Dschungel“ bei Calais, nur mit Mittelmeerklima und mit etwas besser organisiertem Protest.

    Welche Sorglosigkeit haben eigentlich Deutsche und ihre Politische Elite, wenn man sich daran abarbeitet? Haben wir keine anderen Probleme? Können wir nicht mehr echte Not von den Wünschen der Einwanderer nach Wohlstand und Glück unterscheiden?

    Nachdem 2015 die emotionalen Bilder von Zäunen auf dem Balkan unsere Herzen und Hirne beeinflussten, folgt nun die Wiederholung. Ein verbranntes Flüchtlingslager als Substrat für eine überflüssige Debatte im Angesicht der realen Probleme in Deutschland.

    Warum man bereits ein böser Mensch sein soll, wenn man die Flüchtlinge in Griechenland gut versorgt sieht, sobald die Unterkünfte wieder aufgebaut, muss Mann mir erstmal ohne Schaum vor dem Mund erklären.

    Die Deutsche Hybris hat nicht nur braune oder schwarze sondern auch grüne und rote Kleider.

    • @TazTiz:

      Keine echten Probleme nennen sie das? Das errichten von Lagern zum Zweck, Menschenrechte auszusetzen, nennen sie ein unechtes Problem? Dass Menschen in ihrem ach so zivilisierten Europa per buchstäblichem Aushungern in Lager gezwungen werden, das wäre ihnen irgendwie zu moralisch, sich davon jucken zu lassen? Stichwort "die sterben ja nicht": von Griechenland werden pushbacks durchgeführt, bei denen Menschen auf manövrierunfähigen Gummiinseln ohne Handys ausgesetzt werden und darauf spekuliert wird, dass sie in türkische Gewässer driften. Ja, Leute die schon griechische Inseln erreicht haben. Klar wird inkauf genommen, dass die sterben. Not our problem, weil ja nicht in Europa oder was? Menschenrechte, deren, meine, ihre Menschenrechte, gelten nur wenn sie universell gelten, sonst sind die für die Tonne (für alle). Sie sägen mit ihrer Position am eigenen Ast auch wenn sie sich vll sehr rational dabei fühlen.

      • @Lurkus:

        Die Empörung und Diskussion wurde durch ein abgebranntes Lager hervorgerufen. Nicht mehr und nicht weniger. Menschenrechte sind universell. Deswegen ist die Würde aller (!) Menschen unantastbar.

        • @TazTiz:

          Ja und deren Würde lassen sie doch hinten runter fallen wenn sie sagen, diese konkreten Menschen seien doch in Griechenland gut versorgt. Vielleicht sind sie ja einfach nur schlecht informiert, kann passieren.

          roarmag.org/essays...olitcs-moria-camp/

  • Moment, war da nich was mit fehlenden Wohnungen, Kitaplätzen, Arbeitslosen....? Wo ist denn dieser Platz den Berlin angeblich hat?? Scheinbar sind ja alle mit allem überversorgt...

  • RS
    Ria Sauter

    Ich lese immer Deutschland ist ein reiches Land. Das erstaunt mich doch sehr. Leben diese Kommentatoren in Reichtum?Sind sie höhere Beamte mit guten Einkommen und Pension an denen alles rosarot vorbeizieht?



    Wer sind dann die Menschen mit 2 oder 3 Jobs?Wer sind die Rentner/innen, die kaum von ihrer Rente leben können und Flaschen sammeln und zur Tafel.müssen?



    Gibt es das alles nicht, die Kinder, die in Armut leben ohne Essen in Kindergarten und Schule gehen?



    Sind das alles Schauspieler und die Berichterstattung darüber gefakt?



    Macht mich mal schlau, wo der Reichtum sich versteckt, für die breite Masse wohlgemerkt.

    • @Ria Sauter:

      Glaube was sie da beschreiben ist soziale Ungleichheit. Ist schon in Deutschland fies, stimmt. Jetzt mal kurz überlegen, wie fies soziale Ungleichheit _global_ ist.. Sollte man sich vll nicht ins eigene Knie schießen und nur sein eigenes kuchenstück im Blick haben weil um da ran zu kommen müssen wir viele sein.

      • RS
        Ria Sauter
        @Lurkus:

        Sie nennen das hier fies?



        [...]



        Sie wollen die ganze Welt retten. Das ist beeindruckend.



        Der Weg etwas zu verändern beginnt immer vor der eigenen oder gemieteten Haustür!

        Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte unterlassen Sie Unterstellungen und bleiben Sie konstruktiv. Die Moderation

        • RS
          Ria Sauter
          @Ria Sauter:

          Eigenartig, dass Sie mir Unterstellungen nachsagen. Ich habe lediglich auf die Armut in D hingewiesen.

  • Holt alle. Millionen Kindern weltweit geht es noch schlechter, holt auch die. Ein so reiches Land wie Deutschland sollte seinen Reichtum teilen und auch wir Bürger können helfen.



    Jeder holt zwei Kinder und und übernimmt alle Kosten bis zur Volljährigkeit, dann wären die Staatskassen noch gefüllt für andere Ausgaben.

  • Ausschliesslich die griechische Regierung ist für die Zustände auf Lesbos verantwortlich. Diese tut momentan augenscheinlich ihr Bestes, um alle Menschen wieder unter zu bringen.

    Weder die Bundesregierung noch die EU ist im Übrigen zuständig.

    Ja, die Werte auf denen die EU gegründet ist, ist unter anderem die Achtung der Menschenwürde. Garant dieser Werte sind die jeweils zuständigen Länder. Die EU ist schlichtweg kein Staat und hat auch keine Kompetenzen, die Menschenwürde in irgend einer Form durchzusetzen.

  • Danke! Kein Wort zu viel, keine Phrasen, auf den Punkt.

  • In Phoenix Runde zeigt Katharina Barley SPD 16.9 zum Thema Moria, worum es geht, wie zynische Debatte gist, wenn BILD Hauptstadtbüroleiter Ralf Schuler, ihr Ansinnen anprangert, 5000 Geflüchtete mit anerkanntem Asylrecht aus Griechenland in Deutschland aufzunehmen, - allein in Moria sind es über 3000, weit mehr in ganz Griechenland, Italien, Spanien, Malte -, sei das anderen EU Ländern gegenüber unsolidarisch, weil Deutschland mit Alleingang jene moralisch herabsetzt, die wie Ungarn keine Geflüchteten aufnehmen. Das klingt so, als wenn Holocaust Täter, jenen, die Juden vor Deportation in sicheren Tod retten, vorwerfen, dass sei ihnen gegenüber unsolidarisch, weil sie dadurch moralisch herabgesetzt würden, dabei handelten sie doch nur für Führer, Volk, und Vaterland.

    Es war asylberechtigter Geflüchteter, der von Athen zurück nach Moria kehrte, Corona Virus einschleppt, andere ansteckt, weil er in Athen bei 20 % Arbeitslosigkeit weder Arbeit, noch Wohnung fand, die ihn erst zum Bezug von EU Unterstützung für halbes Jahr berechtigt.



    Seit Beginn Corona Pandemie 2020, verweigert Türkei entgegen Abkommen Rücknahme Geflüchteter, so dass in Moria statt 12 000 über 22 000 Geflüchtete waren. EU Vereinbarung 2016 ist, dass Hot Spot Moria Asyl Erstantragslager ist, wer Asylrecht erhält, wird, von anderen EU Staaten ateilig nach Schlüssel übernommen. Diese Vereinbarung wird von EU Ländern seit 2016 gebrochen, Griechenland, Italien, Malta, Spanien werden mit Problem allein gelassen. Wenn Seehofer sich selber lobt, weil er Aufnahme 1553 Asylberechtigter zustimmt, dabei nicht einmal die von ihm durchgesetzte Obergrenze Geflüchteten Aufnahme 200 000 /anno erreicht, ist das an Zynismus nicht zu überbieten, der unsere Zivilgesellschaft, Willkommenskultur, Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen wollen, mit Bundesregierung Unterlassungen in Kollaboration verweist, ist das Fall für Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ist, wenn nicht internationalen Strafgerichtshof Den Haag?

  • web.de/magazine/un...-of-moria-35092002

    Wahnsinn ist das, es ist schlimm!

    ALLE! ALLE! ALLE! Diese Menschen brauchen sofort Hilfe!

  • Wie recht Sie haben.

    Eine grosse Falle in der Politik ist, dass man sich auf ein Kompromiss einlässt. "Naja, immerhin 1500", nach langem Feilschen.

    Dabei sollte uns klar sein, dass die Menschenrechte "der anderen" weiterhin mit Füssen getreten werden. Unsere Füsse.

    Ich lebe schon sehr lange in Deutschland. So lange, dass ich mich als Teil der kollektiven Verantwortung empfinde. Daher zucke ich zusammen, wenn jetzt wieder lagerähnliche Strukturen in der EU entstehen. Wollen wir nicht.

    In diesem Sinne: Alle.

    • @tomás zerolo:

      Lagerähnlich ist gut.

  • Wir sollten Notleidende in den Herkunftslädern abholen. Je Land, je nach Notlage jährich übrprüft. Ob Leute die 10.000 Dollar o.ä. für Fluchthelfer aufbringen können in diese Gruppe fallen muss vorher noch evaluiert werden.