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Friedensbewegung damals und heuteDas Standpunkt-Problem

Der Protest vor der Waffenfirma Rheinmetall mit Musik, Tanz und Parolen wirkte rührend unzeitgemäß. Aber die Aktivist*innen haben recht.

Protestaktion der Gruppe „Lebenslaute“ vor dem Sitz des Waffenkonzerns Rheinmetall in Unterlüß Foto: dpa

A ls ich die Bilder von der Aktion der Aktionsgruppe „Lebenslaute“ vor der Firma Rheinmetall in Unterlüß vor Kurzem im Fernsehen sah, war ich gerührt. Menschen spielten klassische Musik, lächelten, tanzten, einige trugen Westen, auf denen stand: Frieden schaffen, ohne Waffen! Das gibt’s noch, dachte ich. Und fragte mich, warum ich gerührt war.

Damals war es einfach nicht so kompliziert wie jetzt, dachte ich, man war gegen Atomkraft, man war gegen Waffen. Und jetzt ist man gegen Menschen, die Unsinn erzählen, aber zum Beispiel auch gegen Waffenexporte sind. Alles ist so konfus und zerbröselt, und wer kümmert sich eigentlich noch um die Waffen oder auch die Atomkraft? Waffen sind ja immer noch Waffen und erfüllen immer noch denselben Zweck. Ist das jetzt kein größeres Problem mehr, oder ist es jetzt als Protestthema einfach nicht mehr modern?

Und dann stoße ich recherchierend auf verschiedene Gruppierungen von Menschen, die sich immer noch gegen die Produktion von Waffen engagieren und natürlich auch gegen Atomkraft. Die mal hier demonstrieren und dort mal vor dem Werkstor stehen wie diese Musiker, die eine widerspenstige und altmodische und sehr schöne Art von politischer Aktion zelebrieren, seit 1986 übrigens schon.

Rheinmetall, das kann man sehr schnell herausfinden, baut zum Beispiel Panzer. Ich komme aus der DDR, und da hatten wir so was im Schulhort zum Spielen. Wir hatten auch Soldaten, die bei uns alle nur für den Frieden da waren, versteht sich. Im Hort hatten wir nur NVA-Soldaten, die mussten dann gegen die Indianer und die Cowboys kämpfen, die die Kinder vereinzelt in ihren Hosentaschen einschleusten, aus den Westpaketen.

Wir sollten alle immer noch und wieder vor diesen Toren stehen und uns empören
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist am 18. August bei Rowohlt Berlin erschienen.

Unsere Armee jedenfalls war etwas Notwendiges, weil die kleine DDR sich gegen die großen Westmächte verteidigen musste. So lernten wir es, so lernten es auch die bundesrepublikanischen Kinder, nur andersherum. Es gab ein paar verträumte Linke und Hippies, die sich das alles ganz ohne Waffen und Armee vorstellten in ihrem bekifften Pazifismus. Als dann aber der Kalte Krieg immer bedrohlicher wurde, die Angst immer größer, da zweifelten dann doch immer mehr Menschen am Konzept: Frieden durch Aufrüstung. Eine breitere Friedensbewegung formierte sich.

Und jetzt sind wir irgendwo, in einer Zeit, in der es alles so zerfasert ist, dass einem der Kopf schwirrt bei dem Versuch, eine gute Position zu finden, die wirklich gerecht ist. Sich die Informationen zu beschaffen, die einem zu einen moralisch festen Standpunkt verhelfen. Wie soll die Welt idealerweise aussehen, in der wir leben wollen? Können wir ohne Waffen leben, und was würde passieren, wenn wir, zum Beispiel, unsere Armee abschafften? Würden wir rasch irgendwo angegliedert werden, holländisch werden, zum Beispiel, oder würden uns andere Länder auf dem friedlichen Weg folgen? Wäre dies der Anfang einer großen friedlichen Welt?

Tja, das sind so meine albernen, kleinen Gedanken. Und weil das alles vielleicht sehr kompliziert und auch ziemlich blöd ist, bemüht sich die demokratische Regierung, einige Dinge wenigstens ein klein wenig zu regulieren. Zum Beispiel sollen Waffen, wenn sie denn gebaut werden sollen, nicht in Konfliktgebiete, „Krisenherde“ oder an „unrechtmäßig Krieg führende Länder“ geliefert werden, wo sie aber naturgemäß am gierigsten erwartet werden. Eine Firma, die Waffen herstellt, soll also per Gesetz dazu verpflichtet sein, ein bisschen anständig die Waffen zu verkaufen.

Im Falle der Firma Rheinmetall kann man dann darauf stoßen, dass es damit Schwierigkeiten gibt, und das liegt vielleicht auch daran, dass da grundsätzliche Interessen oder Prinzipien über Kreuz liegen. Und das führt mich wieder zu meiner Rührung. Diese großartigen Musiker*innen: Sie haben recht. Wir sollten alle immer noch und wieder vor diesen Toren stehen und uns empören, auch wenn die Welt komplex ist, manches bleibt falsch. Aber warum sind wir also, zumindest in dieser Hinsicht, heute so schlaff?

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1 Kommentar

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  • „Wir“ sind nicht „schlaff“. („Wir“ gehen schließlich jede Woche joggen, ins Fitness-Studio, zum Yoga, bouldern, schwimmen oder was auch immer und trinken mindestens drei Liter Leitungswasser jeden Tag.) „Wir“ sind schlicht überfordert.

    „Wir“ haben gelernt, uns hinter den „richtigen“ Leuten zu versammeln und ihnen den Rücken freizuhalten. So, wie eine gute Ehefrau dem erfolgreichen Mann den Rücken freigehalten hat, als wir noch jung und dumm gewesen sind und unsere Eltern, Großeltern und andere Autoritäten das Maß der Dinge waren. Damals war das alles sehr viel einfacher, denn wer Bestimmer war, der hatte immer recht. Und zwar von vorn bis hinten.

    Heute wird viel weniger geglaubt und viel mehr nach Konsequenzen gefragt. Wenn ein Bestimmer sagt: „Jetzt bitte links herum“, dann macht man nicht gleich auf dem Absatz kehrt. Man schaut erst mal, was links so alles kommt. Man hat ja schließlich schon so einiges gehört davon, was linksgehen für Folgen haben kann. Will man die überhaupt verantworten? Und was, wenn man sich rechtsrum dreht? Wär‘ das nicht ähnlich, nur in grün, schwarz oder braun?

    Wer will denn schon Gewissensbisse kriegen, wenn so ein Waffenbauer rechts abbiegt und seine Panzer anderswo herstellen lässt? Wer zahlt dann für die Leute, die nichts mehr verdienen? Und wer wird dann noch Mindeststandards kontrollieren? Ist Deutschland nicht DER Musterschüler, wenn es um das Einhalten von Regeln geht?

    Tja, alles nicht mehr ganz so leicht, wenn man den Mut hat, sich des eigenen Verstandes zu bedienen - und nicht genug Übung damit. Da bleibt man ja womöglich lieber gleich im Bett. Zumindest, wenn man nicht zum Yoga muss, zum Fitnesstraining oder an die Kletterwand. Schlaff ausschaun will man schließlich trotzdem nicht, auch wenn man sich uns Rückgrat rum so fühlt, nachdem nicht mehr so recht Verlass ist auf die Vormünder, die einem notfalls einen Stock ins Kreuz gezimmert haben.

    Übrigens: In meiner Ost-Kindheit gab es Indianer. Sogar ganz ohne Paket.