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Neuer Grundeinkommensversuch startetWeniger arbeiten, mehr Geld

120 Bürger:innen erhalten 1.200 Euro im Monat zusätzlich zum Einkommen. Ein Experiment soll zeigen, wie das Grundeinkommen das Leben verändert.

Macht es faul? Kreativ? Oder was? Foto: dpa

Berlin taz | 1.200 Euro Lebensunterhalt pro Monat, geschenkt für drei Jahre. Das sind die paradiesisch anmutenden Fakten beim Pilotprojekt Grundeinkommen, das an diesem Montag begann. Alle Erwachsenen mit erstem Wohnsitz in Deutschland können sich bewerben – allerdings werden nur 120 Ausgewählte in den Genuss des Geldes kommen. Mit dem Experiment wollen Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen herausfinden, ob und wie Bundesbürger:innen sich verhalten, wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen.

Zu dieser Frage gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Untersuchungen, unter anderem in Finnland, aber noch nicht in Deutschland. Der Verein Mein Grundeinkommen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und die Uni Köln haben sich nun zusammengetan. Mit empirischer Forschung wollen sie die Basis legen, um die individuellen, soziologischen und ökonomischen Wirkungen der utopisch klingenden Sozialleistung zu analysieren.

Die Debatte beschäftigt die Politik hierzulande seit der Einführung von Hartz IV Mitte der 2000er Jahre. Die Befürworter:innen des bedingungslosen Grundeinkommens betrachten ihr Konzept als Alternative zum existierenden Sozialstaat. Heutige Sozialtransfers decken nur einen kargen Mindestbedarf, sind in der Regel an harte Bedingungen geknüpft, viele Betroffene fühlen sich von den Jobcentern geknechtet, weil sie gedrängt werden, schnell wieder Jobs anzunehmen. Ein Grundeinkommen würde dagegen an alle bedingungslos ausgezahlt – und mit selbst erwirtschafteten Einkünften verrechnet.

Wie aber verhalten sich die Leute dann? Arbeiten sie weniger, beschäftigen sie sich ganze Tage mit ihren Smartphones? „Werden sie faul?“, wie Soziologe Jürgen Schupp vom DIW fragt. Vielleicht aber löst die garantierte soziale Absicherung auch neue Kreativität aus, ermöglicht andere Berufswege, etwa den Start in eine Selbstständigkeit, die vorher nicht möglich war.

Schlechte Entscheidungen unter Stress

Susann Fiedler vom Max-Planck-Institut weiß, dass Menschen dazu neigen, unter Stress schlechte Entscheidungen zu treffen. Wenn das Grundeinkommen den ökonomischen und sozialen Druck verringert, könnte es „Entscheidungsfreiheit“ zurückbringen, so Fiedler.

Andere mögliche Effekte: Die Leute werden gesünder, die gesellschaftlichen Krankheitskosten sinken. Die Beschäftigten haben mehr Zeit, sich fortzubilden, die soziale Ungleichheit könnte abnehmen. Michael Bohmeyer vom Verein Mein Grundeinkommen erwägt sogar, dass populistische Strömungen an Zulauf verlieren, wenn die Bürger:innen sozial besser abgesichert seien.

Für die Teilnahme kann man sich seit Montag bewerben. Bis 13.30 Uhr am ersten Tag gingen bereits rund 100.000 Bewerbungen auf der Webseite ein. Das Verfahren schließt, wenn sich eine Million Leute gemeldet haben. Zum ersten Mal ausgezahlt werden die 1.200 Euro im Frühjahr 2021 – sogar zusätzlich zum Verdienst, den die Teilnehmer:innen selbst erwirtschaften.

Versteuern müssen sie das Geld nach Angaben der Organisator:innen nicht, weil es sich rechtlich um Schenkungen unterhalb der Grenzwerte handele. Wer allerdings Hartz IV oder andere Sozialtransfers bezieht, sollte damit rechnen, dass das Grundeinkommen mit diesen verrechnet wird. Das muss jedoch keinen Nachteil bedeuten: 1.200 Euro monatlich dürften meist mehr sein als die Hartz IV-Überweisung.

Abbild der Sozialstruktur

Der Staat zahlt nichts für die Grundeinkommen. Das Geld stammt aus Spenden von rund 140.000 Privatpersonen, die Institute finanzieren ihre Arbeit selbst. Die Wissenschaftler:innen trauen sich zu, die 120 Glücklichen so auszuwählen, dass die Sozialstruktur der deutschen Gesellschaft etwa abgebildet ist.

Die Teilnehmer:innen müssen regelmäßig Auskunft geben, wie sich ihr Leben entwickelt. Parallel wird eine Vergleichsgruppe mit 1.380 Teilnehmer:innen zusammengestellt, die das Grundeinkommen nicht erhalten. Aus dem Vergleich wollen die Expert:innen dann ableiten, welche Wirkungen 1.200 Euro auslösen.

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13 Kommentare

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  • taz: "120 Bürger:innen erhalten 1.200 Euro im Monat zusätzlich zum Einkommen. Ein Experiment soll zeigen, wie das Grundeinkommen das Leben verändert. [...] Arbeiten sie weniger, beschäftigen sie sich ganze Tage mit ihren Smartphones? „Werden sie faul?“, wie Soziologe Jürgen Schupp vom DIW fragt. [...] Die Teilnehmer:innen müssen regelmäßig Auskunft geben, wie sich ihr Leben entwickelt."

    Der kleine Bürger muss also zuerst nachweisen, dass er sich nicht faul in die Hängematte legt, sondern etwas "sinnvolles" mit seinem Leben anfängt. Merkwürdigerweise muss der reiche Deutsche sich aber nicht dafür rechtfertigen, wenn er sich von den "ersparten" 11 Prozent Spitzensteuersatz (seit Schröder muss er ja nur noch 42%, anstatt den vorigen 53% Spitzensteuersatz zahlen) den neuesten Mercedes kauft und in seiner Villa "faul rumhängt".

    Der kleine Bürger kann dafür aber stolz den Art. 1 Abs. 1 GG zitieren - *Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.*

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn gleichzeitig Millionen Hartz IV Bezieher in Deutschland mit § 10 SGB II in Niedriglohnjobs gezwungen werden können?

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn 52.000 Menschen - laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe - bei uns in Deutschland schon obdachlos auf der Straße sitzen?

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn jeden Monat 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an eine der 947 Tafeln anstehen müssen, um nicht zu hungern?

    Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn arme Rentner Pfandflaschen aus dem Mülleimer sammeln müssen, während der ehemalige VW-Manager Martin Winterkorn 93.000 Euro Rente im Monat bekommt?

    Das alles könnte man mit einem BGE beseitigen, alleine schon um Millionen arme Menschen in Deutschland ihre Würde zurückzugeben.

  • BGE funktioniert nur, wenn es ein relativ kleiner Teil der Bürger bekommt. Wenn alle es bekommen sollten, fragt sich, wer den Müll wegbringt, früh aufsteht um Brötchen zu backen und anderen notwendigen, aber extrem unbeliebten Berufen nachgeht. Ich nämlich nicht.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    "1.200 Euro monatlich dürften meist mehr sein als die Hartz IV-Überweisung."

    Denkt man, aber wenn man dann Wohnung, und Krankenkasse abzieht, dürfte es auf das gleiche rauskommen.

    • @02854 (Profil gelöscht):

      ... für drei Jahre? Nur 1.200 monatlich zusätzlich. mehr nicht. Es bietet null Perspektive und Sicherheit für die Zeit danach.

      Man kann sich null darauf einstellen. Es bedeutet nicht weniger Arbeit und man kann auch nicht seinen Job sausen lassen für neue Wege.

      Allenfalls isses eine Anschubfinanzierung für die Selbstständigkeit. Aber auch sowas gab es ja schon mal seitens der AfA.

      Mir sind die aktuellen Vorstöße zur Arbeitszeitreduzierung wichtiger. Ich will definitiv weniger arbeiten.

  • Was erwartet ihr von einer "Studie", wo einem 1.200 Ocken geschenkt werden?

  • @Hawkins & A.J.



    Ihnen ist schon klar, dass Sie beide das Gegenteil von dem annehmen , was dieses Projekt eigentlich beweisen soll: Das man sich das Geld anderer nicht nur einfach abgreift und auf der faulen Haut liegt. :-)

    • @Rudolf Fissner:

      Was sie da wieder hinein interpretieren. Ich habe mich über den Begriff der Faulheit als Instrument der Ausbeutung und Unterdrückung geäußert und nicht behauptet das die Leute faul sind.

    • @Rudolf Fissner:

      Bei so einem Experiment muss es aber auch Ausnahmen geben.

      Mir gefällt das eh nicht, dem wohnt ein protestantischer Arbeitsethos inne.

  • das die menschen die es bekommen profitieren streitet ja keiner ab wie wäre ein versuch du bekommst 1200 geschenkt aber jeder euro den du zusätzlich verdienst wird mit 75% versteuert wie fleißig wird dann noch gearbeitet ?

  • Bei den meisten Berichten über das bedingungslose Grundeinkommen wird großen Wert darauf gelegt, dass der Bezug dieser Gabe die Leute nicht faul machen würde.

    Was daran gut sein soll, das weiß ich jetzt auch nicht. Faul ist anscheinend schlecht und ackern ist gut.

    • @Jim Hawkins:

      Faulheit ist Sünde. Damals für den Klerus und den Adel, heute für das Kapital. Wem nicht permanent finanziell der Arsch brennt oder in Angst davor lebt, lässt sich nicht so gut ausbeuten.

      • @Andreas J:

        "O Faulheit, erbarme du dich des unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter aller Künste und der edlen Tugenden, sei du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit."

        Paul Lafargue

        Ich weiß nicht mehr, bei welchem Wahlkampf der SPD das war, der Slogan lautete jedenfalls:

        "Arbeit, Arbeit, Arbeit"

  • Ich wünsche mir auch ein Experiment zum BGE - so ein kleiner und kurzer Versuch gerade mal über drei Jahre ist aber nicht das, was mir vorschwebt.

    Viel zu wenig Teilnehmer, viel zu kurzer Zeitraum. Es ist doch gerade interessant zu sehen, wie sich Menschen entwickeln, wenn sie lebenslang so ein Grundeinkommen erhalten. Und erst nach 10 Jahren oder so kann man genauer feststellen, welche Entscheidungen und Wege die Menschen getroffen haben und wie sich das vom Rest der Bevölkerung unterscheidet.

    Diese Mini-Experiment sind nett, der Erkenntnisgewinn hält sich meiner Meinung nach in Grenzen. Von den großen gesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen und die Arbeitswelt, Zuwanderung, Preise betreffenden Auswirkungen eines BGE mal ganz abgesehen. Dazu wird dieser Versuch keine Aussage machen können.