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Nähe weltweit begrenzt

Unsicherheit und Sehnsucht begegnen uns derzeit häufiger. Für manche gilt dies in besonderem Maße. Denn es gibt zwar Lockerungen der Reisebeschränkungen, aber eben nicht für alle

Laura Meyer und Navid Moshgbar

Eigentlich wollte Renée Diederich Anfang Juni ihre Familie in Deutschland besuchen, daraus wurde aber nichts. Die 21-Jährige kam als Au-Pair nach Sydney, verliebte sich und lebt nun seit fast zwei Jahren in Australien. Ihre Familie hat sie seitdem nur ein einziges Mal besuchen können. Sie wollte gemeinsam mit ihrem Partner zur Hochzeit ihrer Schwester nach Deutschland reisen. Doch die Flüge wurden wegen Corona storniert, auch ihr australischer Partner hätte wahrscheinlich nicht einreisen dürfen. Für alle Nicht-EU-Bürger*innen, wenige Ausnahmen ausgenommen, galt ein Einreisestopp in die Europäische Union.

Der angehende Lehrer Michael Harrington ist zwar bei seiner Familie in Deutschland, doch sein Freund lebt etwa 9.000 Kilometer entfernt – in Mexiko. Im April wollte der 31-Jährige seinen Partner nach über einem Jahr endlich wiedersehen. Auch seine Flüge wurden annulliert.

Kennengelernt hat sich das Paar vor mehr als viereinhalb Jahren über eine Dating-Plattform im Internet. „Ich fand sein Lächeln so schön. Da hab ich ihn angeschrieben“, erzählt Harrington am Telefon. Sein Date Andrés besuchte damals eine Freundin in Dortmund. Doch nach nur drei Monaten kam die räumliche Trennung: Es blieb Liebe über den Atlantik hinweg. „Dass es eine Fernbeziehung werden würde, wussten wir schon damals“, sagt Harrington. Zu Beginn der Pandemie hat er sich wenig Sorgen um seinen Freund gemacht – als das Virus auch Mexiko erreichte, riet er Andrés, sich mit Schutzmasken auszustatten.

Ähnliche Sorgen macht sich Renée Diederich. „Für mich wäre es ein Muss, wenn meiner Oma etwas passiert, dass ich nach Deutschland komme.“ Ihr Mantra ist deshalb: „Ich kann nur hoffen, dass nichts passiert.“

Dies hoffen auch Menschen in Deutschland, die ihre Familie im Ausland haben, diese aber derzeit aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht besuchen können. Bosnien und Herzegowina beispielsweise erlaubt die Einreise derzeit nur – mit wenigen Ausnahmen – den eigenen Staatsbürger*innen. Wer Angehörige im Land hat, aber die Staatsbürgerschaft abgeben musste oder nicht besitzt, darf also nicht einreisen.

Auch in anderen Nicht-EU-Ländern, wie beispielsweise Russland, gibt es ähnliche Regelungen. Dazu kommen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für mehr als 150 Länder, darunter die Türkei, Russland und Bosnien und Herzegowina. Außerdem können bei der Rückreise je nach Bundesland und Risikoeinstufung durch das Robert-Koch-Institut Quarantäneregelungen greifen.

Wann Diederich ihre Familie in Saarbrücken das nächste Mal besuchen kann, weiß sie noch nicht. Flüge für Dezember sind wegen Weihnachten und Corona zu teuer, selbst wenn sie dann wieder möglich sein sollten. „Das schlimmste Gefühl ist, dass man im Ungewissen ist.“ Auch Michael Harrington weiß nicht, wann er seinen Freund wieder umarmen kann. Als Mexikaner darf er derzeit nicht in die EU einreisen, und Michael kann nicht nach Mexiko fliegen.

Für die Beschränkungen haben beide Verständnis. Enttäuscht sind sie trotzdem. Was Harrington als Erstes machen würde, wenn er Andrés endlich wiedersieht? „Ihn küssen“, sagt er nur.

Für Harrington wie Diederich überwiegen Sehnsucht und Sorge. Eins stimmt Diederich positiv: Die Hochzeitsfeier ihrer Schwester wurde um ein Jahr verschoben. Dann können hoffentlich auch sie und ihr Freund dabei sein.

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