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Ex-Landrat von Hameln wieder im FokusDer Shitstorm ist immer schon da

Erneut am Pranger sieht sich Tjark Bartels, der Ex-Landrat von Hameln-Pyrmont. Er will seinen Burn-out als Dienstunfall werten lassen.

Hat den Druck der Sozialen Medien nicht ausgehalten: Tjark Bartels Foto: Alexander Körner/dpa

Hameln taz | Es ist wie in der Geschichte von Hase und Igel: Man rennt und rennt, aber der Shitstorm ist immer schon da. Hassmails und Drohungen kumulieren und potenzieren sich in einer Endlosspirale. So in etwa fühlt sich derzeit Tjark Bartels (SPD), Ex-Landrat des Kreises Hameln-Pyr­mont, der am 28. Oktober nach 13 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand ging. Ein shitstormbedingter Burn-out, das er jetzt als Dienstunfall geltend machen will, hat den 51-Jährigen dienstunfähig gemacht.

Und das, weil er die Verantwortung für Fehler seines Jugendamts übernommen hatte. Dessen MitarbeiterInnen hatten trotz aktenkundiger Hinweise auf einen des Missbrauchs Verdächtigen im nahen Lügde mehrere Kinder dorthin in Pflege gegeben.

Dass eine Jugendamtsmitarbeiterin zudem versucht haben soll, jene Aktenvermerke zu löschen, machte die Sache nicht besser. Auch nicht die Aussageverweigerung von Jugendamtsbeschäftigten vor dem Lügde-Ausschuss in Düsseldorf.

Folgerichtig also, dass Bartels als Amtsleiter die politische Verantwortung übernahm. „Wir haben nicht gesehen, was wir hätten sehen müssen“, sagte er später in einem Video.

Nicht mit Shitstorm gerechnet

Dass dies als Schuldeingeständnis gewertet und einen Shitstorm samt Morddrohungen lostreten würde: Damit hatte er nicht gerechnet. „Als Politiker sind wir Beschimpfungen in den sozialen Medien zwar gewöhnt“, sagte der ehemalige Landrat in dem Video, in dem er seinen Rückzug erklärte. Aber im Fall Lügde sei seine Grenze überschritten worden und habe einen schweren Burn-out erzeugt. Er habe seinen Dienstherrn, das niedersächsische Innenministerium, informiert, das die Dienstunfähigkeit feststellte und ihn in den Ruhestand versetzte.

„Das war, anders als in vielen Medien dargestellt, weder ein Rücktritt noch eine freie Entscheidung“, sagte er der taz am Mittwoch. „Ich habe mir die Krankheit nicht ausgesucht.“

Und weil das so ist, hat er beantragt, das Burn-out als Dienstunfall einzustufen. Das könnte dazu führen, dass er etwas höhere Rentenbezüge bekommt, aber um große Summen geht es Insidern zufolge nicht. Ein Dienstunfall ist laut Beamtenversorgungsrecht eigentlich als „plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis“ definiert.

Das ist passiert, und deshalb hat die Niedersächsische Versorgungskasse Bartels’ Antrag stattgegeben und eine entsprechende Empfehlung an den Kreistag gesandt. Der entscheidet am 7. Juli, ob er diesem Votum folgt oder ein weiteres Gutachten in Auftrag gibt. Das könnte knapp werden, weil SPD, Grüne und Linke über eine hauchdünne Mehrheit verfügen. Die FDP soll allerdings Zustimmung signalisiert haben. Die CDU aber wohl nicht.

Vertrauliches ausgeplaudert

Doch wie dem auch sei: Eigentlich – und hier beginnt die neuerliche mediale Hatz auf Tjark Bartels – ist all das vertraulich und geht die Öffentlichkeit nichts an. „Besoldungsfragen sind landesgesetzlich geregelt. Es ist nicht Gegenstand politischer Erörterung eines kommunalen Parlamentes, ob es die Regelungen angemessen, zu hoch oder zu niedrig findet“, schreibt er in einer Pressemitteilung.

Zudem seien Personalfragen vertraulich. „Die Weitergabe von Inhalten aus nichtöffentlichen Vorlagen oder Beratungen durch Mitglieder des Kreistages ist nicht nur eine Ordnungswidrigkeit sondern strafbar.“ Strafverschärfend sei zudem die Weitergabe „mit dem Ziel, damit jemandem Schaden zuzufügen“.

Angesichts dessen werde die „sich stets wiederholende Betroffenheit und Empörung nach Cyber-Mobbing-Attacken und anderen Angriffen auf Personen des öffentlichen Lebens“ unglaubwürdig.

Der Hamelner SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Grosch springt ihm bei: „Wer ein Problem mit Pensionsregelungen hat, soll das anhand der Strukturen diskutieren, aber es nicht an einer bestimmten Person festmachen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

Überdies lenke diese Debatte, die im NDR zu Diskussionen mit dem Beamtenbund sowie zu Umfragen in Hamelns Fußgängerzone führte, vom eigentlichen Problem ab: dem seit Jahren wachsenden Druck auf Kommunalpolitiker auch in den sozialen Medien, die auch seriöse Medien als Teil der öffentlichen Meinung rezipierten. „Dabei ist das nur ein Zerrbild“, sagt Bartels.

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