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Hausarzt über Corona und LehrerInnen„Keine Gefälligkeitsatteste“

Es geht zurück an die Schulen. Wolfgang Kreischer vom Hausärzteverband Berlin und Brandenburg erklärt, wann LehrerInnen zur „Risikogruppe“ zählen.

„Die Risikoabschätzung ist immer individuell.“ Lehrerin in einer Hamburger Schule Foto: Christian Charisius/dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Herr Kreischer, Lehrerinnen und Lehrer, die Angst vor den Folgen einer Ansteckung mit dem Coronavirus haben und deswegen nicht in den Präsenzunterricht gehen wollen, müssen ab sofort ein ärztliches Attest bringen, das bescheinigt, dass sie zu einer Risikogruppe gehören. Wie beurteilt ein Hausarzt das?

Wolfgang Kreischer: Ich hatte zwei solcher Fälle, wo wir dann bestätigt haben, dass es sich um Risikopatienten handelt. Das Ganze ist keine Krankschreibung, keine Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit, sondern eine Bescheinigung in Form eines sogenannten Dreizeilers, dass man zu einer Risikogruppe gehört.

Nach welchen Kriterien beurteilen Sie das? Nach der Liste des Robert-Koch-Instituts mit relevanten Vorerkrankungen?

Die Risikoabschätzung ist immer individuell und richtet sich nach der Schwere der Krankheit. Das muss man aus der Gesamtschau des Patienten beurteilen. Wenn ich einen Asthmatiker hätte, der Ende 50 und gut eingestellt ist, dem würde ich ein solches Attest nicht geben. Aber wenn ich einen Asthmatiker hätte, auch wenn er jünger ist, bei dem wir dauernd die Medikamente anpassen müssen, der immer wieder Infekte hat, dem würde ich ein solches Attest ausstellen. Das kann ein Hausarzt machen, weil er den Patienten am besten kennt.

Im Interview: Wolfgang Kreischer

69, ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Vorsitzender des Hausärzte­verbandes Berlin und Brandenburg e. V. (BDA).

Auf der Liste des Robert-Koch-Instituts stehen auch ­Diabetiker. Von Diabetes sind in Deutschland 7 Millionen Menschen betroffen.

Die Liste des Robert-Koch-Instituts ist eine hilfreiche Unterstützung, aber nach 35 Jahren hausärztlicher Tätigkeit kann ich auch allein entscheiden. Diabe­tiker, die gut eingestellt sind, gehören grundsätzlich nicht zur Risikogruppe. Nur ein Diabetiker mit Begleit­erkrankung oder extrem schwer einstellbarem Diabetes gehört für mich zur Risikogruppe.

Coronasorgen an der Schule

In Berlin und anderen Bundesländern müssen LehrerInnen ab sofort ein ärztliches Attest vorlegen, um nachweisen, dass sie aufgrund von Vorerkrankungen nicht zum Präsenzunterricht verpflichtet werden können. Sie müssen dann aber zumindest Fernunterricht geben.

Zu Beginn der Coronakrise reichte vielerorts eine schlichte Meldung an die Schulbehörde, dass man zur Risikogruppe gehöre. Auch das Alter galt als Grund für eine Freistellung. In Baden-Württemberg etwa hatten sich rund 20 Prozent der LehrerInnen vom Präsenzunterricht freistellen lassen.

Die Liste der „Risikogruppen“ des Robert-Koch-Instituts umfasst unter anderem Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen, Diabetes, Krebs oder geschwächtem Immunsystem. Das RKI spricht sich aber grundsätzlich für eine „personenbezogene“ statt einer generellen Risikoeinschätzung aus. (BD)

Gibt es Krankheiten, bei denen klar ist, dass jemand zur Risikogruppe zählt?

Ich würde sagen, alle möglichen Krebserkrankungen gehören dazu. Auch nach einem Herzinfarkt oder nach einem Schlaganfall gehört man zur Risikogruppe. Nach einem Herzinfarkt ist die Pumpleistung des Herzens schlechter und eine Lungenentzündung sehr gefährlich.

Das Alter allein ist also kein Kriterium?

Nein. Ich kann mir auch eine 28-Jährige vorstellen, die an allergischem Asthma leidet und zu Lungenentzündungen neigt; die ist gefährdet, auch wenn sie jung ist.

In Thüringen zählten zwischenzeitlich auch Lehrer und Lehrerinnen zur Risikogruppe, die über 50 Jahre alt sind und rauchen.

Als die Coronamaßnahmen begannen, rief eine Patientin bei mir an, die meinte, sie gehöre zur Risikogruppe, sie sei 55 Jahre alt und würde rauchen. Da habe ich gesagt: Nein, Sie gehören nicht zur Risikogruppe. Wer raucht, der soll aufhören zu rauchen. Wenn man diese Kriterien gelten lassen würde und dann noch mal eine Pandemie käme, dann könnte ja kaum noch einer arbeiten. Wir Ärzte haben auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Wenn die Leute nicht mehr arbeiten, Unterricht und Hortbetreuung ausfallen, kommen die Kinder zu kurz, die Arbeitgeber geraten in die Bredouille.

Patienten würden sagen, der Arzt hat eine Verantwortung auch für mich. Kann es da nicht zu Konflikten kommen?

Ja, Konflikte kann es schon geben. Aber ich bin nicht bereit, Gefälligkeitsatteste auszustellen. Wenn solche Patienten dann zu anderen Ärzten gehen sollten, dann nehme ich das in Kauf.

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2 Kommentare

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  • Na, aber auch ehrlich ... was haben auch alle so angst ... die Neuinfektionen bei unter 20 Jährigen (also in 1. Näherung bei Schulkindern) hat sich gerade mal von 10% auf 20% verdoppelt.

    Läuft doch super!

    Quelle: RKI twitter.com/rki_up...270661836694831107

    • @Franz Georg:

      1. Näherung bei Schulkindern = unter 20-Jährige ist so grob vereinfacht, dass es nicht mehr taugt.



      Unter 20-Jährige sind die, die wochenlang daheim bei den Eltern bleiben mussten und nun, gegen Ende des Schuljahres oder gleich der ganzen Schullaufbahn, bei anbrechendem Sommer wieder raus und unter Leute gehen.



      Schulkinder, vor allem Grundschulkinder, führen ein völlig anderes und viel kontrollierteres Leben.



      Hinzu kommt, dass ja empirisch einiges dafür spricht, dass die Infektiosität eben gerade bei jüngeren Kindern viel niedriger ist, sich aber bei Jugendlichen angleicht.



      Wenn also vor der Öffnung 0 Kinder und 10 Jugendliche jemanden angesteckt haben, und nun 0 Kinder und 20 Jugenliche jemanden angesteckt haben, hat sich die Rate verdoppelt. Was mit jüngeren Schulkindern nichts zu tun hat.



      Was will ich damit sagen? - Vergessen Sie Ihre erste Näherung.