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Neues Versammlungsgesetz in BerlinNur ein mittelgroßer Wurf

Rot-Rot-Grün hat ein neues Versammlungsgesetz vorgestellt. Es sieht Deeskalation und Lockerungen vor. Für Kritiker ist es dennoch nur halbherzig.

Darf bald auch in der Mall of Berlin stattfinden: Demo gegen schlechte Arbeitsbedinungen Foto: imago

Berlin taz | Ein bisschen Liberalisierung, aber auch dezidierte Einschränkungen insbesondere für Demos mit volksverhetzendem Charakter sieht das neue Versammlungsgesetz für Berlin vor. Das geht aus dem Entwurf hervor, den die rot-rot-grüne Koalitionär:innen am Mittwoch im Abgeordnetenhaus vorgestellt haben und das den Namen Versammlungsfreiheitsgesetz trägt. Nach Fachgesprächen und Änderungsanträgen könnte das Gesetz noch leicht verändert werden und dürfte nach Beschluss im Parlament im Herbst in Kraft treten.

Der Entwurf schreibt unter anderem Lockerungen beim Vermummungsverbot vor und lässt auch Versammlungen auf öffentlich zugänglichem Privatgelände zu. Zudem sollen Gegendemos in Hör- und Sichtweite grundsätzlich ermöglicht werden. Das Gesetz bleibt aber hinter den im Koalitionsvertrag von 2016 geweckten Erwartungen zurück. Dies kritisiert etwa der Republikanische Anwälteverein. Dort hatte man sich mehr Erleichterungen für Proteste und Entkriminalisierung gewünscht.

Demgegenüber war Innensenator Andreas Geisel (SPD), flankiert von Innen- und Rechtspolitikern von Rot-Rot-Grün, allerdings sichtlich zufrieden mit dem Entwurf. Zugrundeliegendes Prinzip sei „im Zweifel für die Freiheit“, sagte er. Mit Blick auf den Rechtsruck betonte er, dass es beim neuen Entwurf neben einer Reform für mehr Demonstrationsfreiheit auch darum gegangen sei, Anfeindungen von menschenfeindlichen Positionen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit standzuhalten.

„Unsere freie Gesellschaft kann einiges aushalten, muss aber nicht alles hinnehmen“, sage Geisel. Und so sehen einige Restriktionen vor, dass es Rechte künftig schwerer haben werden, an bestimmten historischen belasteten Daten wie der Reichspogromnacht am 9. November und insbesondere an 23 Orten in Berlin zu demonstrieren: so etwa am Holocaust-Mahnmal, an jüdischen Friedhöfen und zahlreichen Gedenkstätten (Seite 17 des Entwurfs).

„Guter Kompromiss“

Beim Vermummungsverbot gibt es zwar keine Entkriminalisierung, aber immerhin eine Lockerung. So soll die Polizei das Verbot künftig erst durchsetzen, wenn es im Vorfeld oder während der Demo auch eine polizeiliche Anordnung gab, dass Vermummung zu unterlassen sei. Die solle demnach ergehen, wenn es aus einer Demo heraus zu Straftaten käme oder mit diesen zu rechnen sei. Ausdrücklich nicht verboten ist es hingegen laut Entwurf, zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Sonnenbrillen und Schals mitzuführen. Sebastian Schlüsselburg von der Linken sagte: „Wir würden gerne gänzlich auf das Verbot verzichten, aber das ist immerhin ein guter Kompromiss.“

Interessant ist auch eine Lockerung für Versammlungen auf Privatgelände. Diese sind nach dem Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011 nun auch in Berlin ausdrücklich zulässig. Damals klagten Aktivist:innen erfolgreich dafür, dass sie auf dem Frankfurter Flughafen gegen Abschiebungen demonstrieren dürfen.

Die Polizei schützt nicht, sondern begreift Demos als Gefahr

Lukas Theune, RAV

Es ist also künftig vorstellbar, dass man direkt in der Mall of Berlin gegen die schlechten Arbeitsbedingungen beim Bau des Konsumtempels demonstrieren darf – obwohl es Privatgelände ist. Der Ort des Protestes muss für die Öffentlichkeit zugänglich sein und inhaltlich mit dem Grund für den Protest verknüpft sein.

„Wir haben in Berlin 5.000 Demonstrationen pro Jahr – nur eine große Handvoll davon sind gewalttätig“, sagte Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen. Deswegen gehe man im neuen Gesetz von grundsätzlich friedlichen Versammlungen aus und setze in der Bundeshauptstadt weiter auf Deeskalation: „Seit 2007 hatten wir in Berlin keinen Wasserwerfer-Einsatz – anders als in Hamburg, wo es gefühlt alle zwei Wochen einen gibt.“ Auch stellte Lux in Aussicht, dass künftig Demorouten veröffentlicht würden.

Eingriffsrechte der Polizei problematisch

Das Versprechen von R2G, antifaschistischen Protest zu erleichtern, löst der Entwurf allerdings nur teilweise ein: Eine versprochene Entkriminalisierung blieb aus. Anwalt Lukas Theune, Mitglied im Republikanischen Anwälteverein, sagt: „Natürlich ist es ein Fortschritt, wenn nicht jede Vermummung strafbar ist. Aber das bleibt hinter der Ankündigung zurück. Man hätte etwa sagen können, dass es nur eine Ordnungswidrigkeit ist, und von einer Strafverfolgung absehen können. Absurd ist das natürlich insbesondere in der Coronasituation.“

Insgesamt gebe es gute liberale Ansätze, sagt Theune, „aber der große Wurf ist es nicht geworden. Das ist schon enttäuschend.“ Der Entwurf sei sehr vorsichtig, teilweise verwirrend und unübersichtlich formuliert. „Man merkt, das viel um den Text gefeilscht wurde. „Die SPD hat wohl gesagt, wir kommen euch beim Versammlungsgesetz entgegen, wenn wir dafür das Polizeigesetz verschärfen dürfen.“ Das befindet sich derzeit ebenso wie das Abstimmungsgesetz noch in der Verhandlung von R2G.

Besonders kritikwürdig empfindet Theune Eingriffsrechte der Polizei: „Das ist alles wirklich schade: Die Anmeldung läuft immer noch über die Polizei. Die Polizei aber schützt und unterstützt Versammlungen meist nicht, sondern begreift diese grundsätzlich als Gefahr.“ Der RAV hätte sich eine eigenständige Versammlungsbehörde gewünscht. Dass die Versammlungsbehörde laut Entwurf zumindest nicht mehr beim Staatsschutz angesiedelt ist, sondern bei der Polizeipräsidentin, lässt er nicht gelten: „Das ist nur einen halbgarer Kompromiss: Es bleibt bei der Polizei.“

Wenigstens ein bisschen Lob hat aber auch Theune übrig: „Gut ist, dass das neue Gesetz nicht mehr vorsieht, Kundgebungen wegen der öffentlichen Ordnung zu beschränken.“ Wenn man wie bisher diese Formulierung zugrunde legt, sei es einfach, Demos einzuschränken. „Jetzt gilt nur noch die öffentliche Sicherheit als Bezugspunkt – darunter fallen so grundlegende Dinge wie die körperliche Gesundheit. Eine Demo, die nervt, darf nicht mehr eingeschränkt werden.“

Für Theune und Akti­vis­t:in­nen dürften allerdings die Magenschmerzen überwiegen. „Das Bundesverfassungsgericht besteht immer darauf, dass Versammlungen polizeifest sein müssen“, sagte Theune. Das sei mit dem Gesetz von R2G aber nicht gegeben: „Die Polizei kann Teilnehmer einer Versammlung ausschließen – das ist aber nicht Sache der Polizei, sondern des Versammlungsleiters.“ Ebenso sei kritikwürdig, dass die Auflösung oder das Verbot einer Versammlung möglich sei, wenn diese „geeignet ist, gewaltbereit und dadurch einschüchternd zu wirken“, wie es im Entwurf heißt.

Die Gewerkschaft der Polizei fasste die Novelle so zusammen: „Der Entwurf ist eine gute Arbeitsgrundlage, die bereits viele Sachen klärt, bei einigen herrscht aber noch Gesprächsbedarf.“

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