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Russische Nahostexpertin über Syrien„Putin hat keine Exit-Strategie“

Erdogan und Putin sprechen über den Krieg in Syrien. Beide kämpfen um Einflusszonen, sagt die russische Nahost-Expertin Marianna Belenkaja.

„Es sind Russland und die Türkei, die das Schicksal Syriens entscheiden“: Erdoğan und Putin am Donnerstag in Moskau Foto: Pavel Golovkin/reuters
Interview von Inna Hartwich

taz: Frau Belenkaja, Sie gehen von harten Verhandlungen zwischen Russland und der Türkei aus. Wer profitiert vom heutigen Syrien-Treffen zwischen Putin und Erdoğan in Moskau am meisten?

Marianna Belenkaja: Beide Seiten profitieren. Putin und Erdoğan wissen, dass sie sich einigen und so ihre Beziehungen aufrechterhalten müssen. Jede Seite kämpft hier um Einflussbereiche. Ohneeinander wären Moskau und Ankara wie ein lahmes Pferd. Putin und Erdoğan haben sich bei ihrem Treffen heute nicht mehr als „guter Freund“ angesprochen, wie sie das in der Vergangenheit stets zu tun pflegten. Das Verhältnis hat sich abgekühlt. In Syrien aber brauchen sie einander. Also gehen beide mit Maximalforderungen in ihre Gespräche: Russland will das Ende des Beschusses (durch das türkische Militär), es will den wachsenden Einfluss der USA und Europas auf die Entwicklung des Konflikts verhindern. Die Türkei strebt die Umverteilung von Einflussbereichen in Nordsyrien an, damit die Flüchtlinge hier Platz finden. Dadurch will Erdoğan auch künftig Einfluss auf Assad nehmen.

Und die Syrer?

Das syrische Volk, so unterschiedlich die Gruppen auch sind, kann von den Gesprächen leider kaum etwas erwarten. Die maximale Hoffnung wäre, dass die Waffen schweigen. Aber es sind Russland und die Türkei, die das Schicksal Syriens entscheiden. Ohne Syrien.

Wer ist Schuld an der Eskalation in Idlib?

Sowohl die türkische Seite als auch die russische haben sich nicht an die Abmachungen gehalten, die sie 2018 im Memorandum von Sotschi festgelegt hatten. Zudem war Assad nicht bereit, noch lange zu warten, um auch die Provinz Idlib unter seine Herrschaft zu bringen. Die syrische Armee war hier zu aktiv und hat die sich verschärfende Situation in Kauf genommen.

Im Interview: Marianna Belenkaja

Jahrgang 1977, hat an der Moskauer Staatsuniversität Arabistik studiert. Sie spricht Hebräisch und Arabisch und arbeitet für die russische Zeitung Kommersant. Schwerpunkt: Naher Osten. Ihre Analysen schreibt sie ebenso für den Moskauer Think Tank Carnegie-Zentrum.

Verfolgt der Kreml eine langfristige Strategie in Syrien?

Ich fürchte nein. Wladimir Putin ist nicht dafür bekannt, strategisch vorzugehen. Er ist ein Taktiker. Die Schritte werden quasi beim Laufen gemacht, sie werden ebenso laufend geändert. Das macht Prognosen nicht einfach. Bei Syrien müssen wir uns auf Überraschungen aller Art einstellen. Die Spannbreite für die Einigung der beiden Präsidenten – und es wird zu einer Einigung kommen, wie es immer wieder zu einer Einigung gekommen war – liegt zwischen der Minimalforderung nach einer Waffenruhe bis zur Maximalforderung nach neuen Grenzen von Einflusszonen. Eine Exit-Strategie hat der Kreml nicht. Daran denkt er nicht einmal.

Wäre ein Kompromiss zwischen Putin und Erdoğan von langanhaltender Wirkung?

Die Einigung wird wohl auch dieses Mal ein reiner Zeitgewinn sein und ein anfälliger Kompromiss. Einigen müssen sie sich, das geht gar nicht anders. Weder Russland noch die Türkei will das Gesicht verlieren. Niemand macht einen Rückzieher, denn wohin sollte ein Rückzieher in dieser Region auch führen? In der Syrienfrage sitzen alle in einer Falle: die Russen genauso wie die Türken, aber auch die USA und Europa. Also arbeitet auch jeder mit dem, was er vorfindet.

Was heißt das für die Zukunft Syriens?

Der größte Schlag für die Russen wäre ein Ausstieg der Türken aus dem Astana-Format, das Moskau, Ankara und Teheran als Plattform für Verhandlungen über die Zukunft Syriens nutzen. Auch eine Annäherung der Türkei mit den USA und mit Europa sähe der Kreml nicht gern. Russland will als Ordnungsmacht wahrgenommen werden. Moskau hat in den vergangenen Jahren gelernt, allen anderen seine Bedingungen zu diktieren und will auch weiterhin beweisen, dass seine Manövrierpolitik auch in Syrien weiterhin funktioniert. Die Türken rücken derweil auch nur schwer von ihrer Position ab. Idlib ist eine harte Prüfung für alle. Und die Syrer wünschen sich, dass das alles einfach vorbei ist. Seit Jahren.

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15 Kommentare

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  • Reife Leistung für eine "Nahost-Expertin" bei Erdogans Motivation kein Wort über die Verdrängung der syrischen Kurden zu verlieren. "damit die Flüchtlinge hier Platz finden", wird nämlich erst einmal ethnisch gesäubert.

    • @jhwh:

      In Ihrem Kommentar (und im Artikel) steht auch nichts zu den fast 1 Mio. Flüchtlingen die Assad und Putin vertrieben haben.



      Beide Seiten säubern das Gebiet. Bei einer Seite scheint es Sie nicht weiter zu stören.

      • @Horst Horstmann:

        Sie sind bei einem anderen Thema.



        Mich "stört" daß hier durch Weglassen von Informationen der Narrativ gepflegt wird, die Türkei sei in Syrien einmarschiert, um Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Erklärtes Ziel Erdogans war jedoch die Schaffung einer "Sicherheitszone" gegen die PKK/YPG. Die Ansiedlung von Kriegsflüchtlingen und Dschihadsöldnern mit ihren Familien in ehemals kurdisch bewohnten Gebieten ist dabei nur Mittel zum Zweck.

  • MARIANNA BELENKAJA

    'Ihre Analysen schreibt sie ebenso für den Moskauer Think Tank Carnegie-Zentrum'

    Danke für die Info, dann kann man/frau das besser einordnen.

    • @Oops:

      ... sozusagen mit Robert Kagan und Victoria Nuland auf einer Lohnliste ;)

      • @jhwh:

        Wenn ich weiß, für wen Du schreibst, interessiert mich nicht mehr, was Du schreibst.

        So bleibt man gemütlich in seiner Blase und bestätigt sich von morgens bis abends.

        • @Jim Hawkins:

          Beides ist wichtig. Inhalt und Brötchengeber. Und natürlich ist es am wichtigsten, selber zu denken.

          Bei Leuten, die Putin bezahlt, nutzen Sie diese Information doch auch zur Einordnung.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            In dem Fall hat wohl die taz bezahlt. Da gibt es doch tatsächlich Leute, die in gegensätzlichen Medien publizieren.

            Da muss ja was faul sein.

            • @Jim Hawkins:

              Der Brötchengeber von Frau Belenkaja ist nicht die TAZ. Ob sie für das Interview ein Honorar erhalten hat, kann evtl. Frau Hartwich sagen.

              Vielleicht mal ein Beispiel für die Qualität der Aussagen.

              „Putin hat keine Exit-Strategie“

              Putin hat tatsächlich keine. Er will nämlich bleiben. In den letzten Jahren hat er sich von Assad Verträge unterschreiben lassen, die Syrien für lange Zeit in einen festen russischen Stützpunkt verwandeln sollen. Aus dem kleinen Anleger in Tartus soll z.B. ein großer Flottenstützpunkt werden. Wozu also eine "Exit-Strategie"?

              Ich habe den Eindruck, Frau Belenkaja bekommt die Nachrichten im eigenen Land nicht mit.

        • @Jim Hawkins:

          "... für wen Du schreibst..."



          Uiuiui, gerade in den Club der VTler eingetreten ?

          • @jhwh:

            Har, mögliches Mißverständnis meinerseits und "Sorry" für diesen Fall. Wenn Sie nicht andeuten wollten, daß ich (!) für irgendjemanden schreibe (und mein Bankkonto bestätigt das leider), dann ist meine Antwort: Aber selbstverständlich setze ich mich auch inhaltlich mit Frau Belenkajas Antworten auseinander (s.o.). Trotzdem ist es immer hilfreich zu wissen, von wem ein "Experte" bezahlt wird.

            • @jhwh:

              Ja, tut mir leid, ich kann es mir nicht leisten, dass jemand für mich schreibt.

              Aber im Ernst, was genau ist das Schlimme an diesem Think Tank?

              en.wikipedia.org/w...egie_Moscow_Center

              Dass es in Moskau ist? Es gibt auch eines in Brüssel, eines in Beirut und eines in Peking.

              Wenn man googelt, findet man nichts Fieses.

              • @Jim Hawkins:

                Das Carnegie Moscow Center ist ein Ableger des Carnegie Endowment for International Peace (CEIP). Dies ist einer der größten US Think Tanks, der häufig die Ansichten neokonservativer Kriegstreiber unterstützte. Einer der übelsten von ihnen (u.a. mitverantwortlich für den Irak-Krieg) ist der Politikberater Robert Kagan, der bis 2010 "Senior Associate" des CEIP war.

              • @Jim Hawkins:

                "Dass es in Moskau ist?"

                Die Zentrale ist nicht in Moskau, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks...

          • @jhwh:

            Was sind denn VTler?