Tesla und die Megafabrik und Corona: Ein bisschen mehr Glamour im Idyll
Arne Christiani, Bürgermeister von Grünheide, rollt Tesla den roten Teppich aus. Für die einen ist der Autohersteller ein Fluch. Für andere ein Segen.
D ie Tage, in denen die Straßen und Plätze von Grünheide Ende Februar ein Kampfplatz wurden, sind ganz und gar vorbei. Bürgermeister Arne Christiani, geboren 1959, ist trotzdem in Aufruhr. Das Handy klingelt, das Telefon klingelt. „Hast du was? Kommst du vorbei?“, ruft er in das eine Gerät. Zwei Minuten später, mit Blick aus dem Fenster: „Die Rentner schleppen das Toilettenpapier.“ Und: „Wir brauchen einen Besetzungsplan für den Hortbereich!“
Das Coronavirus hat auch Grünheide erreicht, erst am Wochenende gab es angeblich einen ersten Verdachtsfall, am heutigen Dienstag, den 17. März, haben wie kurz zuvor in Berlin die Kindergärten und Schulen zum letzten Mal auf, die Restaurants dürfen nur bis 18 Uhr öffnen, die meisten Läden werden auch bald dichtmachen müssen.
Es fühlt sich also ein wenig antizyklisch an, die Menschen ausgerechnet jetzt danach zu fragen, wie die Ankunft des amerikanischen Elektroauto-Herstellers Tesla, die inzwischen vollzogene Rodung des Waldes – bis auf vier Bäume voller Fledermäuse – und alles, was folgen wird, ihr Dorf verändern wird. Einerseits.
Andererseits ist es jetzt gerade deshalb ein guter Moment, nach den Hoffnungen und Wünschen der Grünheider zu forschen. Die Wogen schlagen woanders hoch, es ist ein wenig Abstand entstanden, fast allen Fragen nach Wasserverbrauch, Glattnattern oder Zauneidechsen geht ein „Als ob es gerade nichts Wichtigeres gäbe!“ voran.
„Der Virus lenkt schön ab“
Niemand interessiert sich mehr dafür, ob die Demos im Winter eher von Ortsansässigen oder von Weitgereisten dominiert wurden. Oder woher die Rechten kamen, die ebenfalls mitliefen. Oder, mit den Worten Arne Christianis: „Der Virus lenkt schön ab.“
Der Bürgermeister ist ein Mann, der es mag, wenn was los ist, das war sicher schon vor der Nachricht im letzten November so. Als aber bekannt wurde, dass Tesla, die Firma aus dem Silicon Valley, die nicht nur Autos baut, sondern Statussymbole der neuen karbonfreien Zeit kommt, soll selbst Christiani eine Weile kopfgestanden haben, so hört man überall in Grünheide.
Rund 20 Jahre lang lag das Industriegebiet im Süden der Gemeinde brach. Nun will Tesla schon im nächsten Jahr den Bau seiner Luxuskarossen mit der brillanten Software aufnehmen. Bis zu 500.000 Fahrzeuge jährlich sollen hier eines Tages vom Band rollen, bis zu 10.000 Arbeitsplätze entstehen – vorausgesetzt, der Coronavirus macht dem keinen Strich durch die Rechnung.
Heute wirkt Christiani nicht mehr aufgeregt. Eher so, als hätten im Tesla-Wald nicht die Harvester die Bäume ausgerissen und zerlegt, sondern er selbst, höchstpersönlich. Und als könnte er, der selbst als Sohn eines Försters im Wald groß geworden ist, auch noch so manchen anderen Baum beiseiteräumen, der dem Projekt im Weg steht. Ohne Punkt und Komma spricht er vom Wirtschaftswald, der sowieso geerntet worden wäre wie ein Weizenfeld. Vom Wasser, das Tesla brauchen wird, aber nicht aus dem Naturschutzgebiet kommen muss.
Über Sätze wie diese denkt Christiani keine Sekunde mehr nach: „Wer A sagt, muss auch T sagen, T wie Tesla“, zum Beispiel. Oder auch: „Tesla ist die Zukunft.“
Was sagen die Grünheider heute?
Aber wie ist die Stimmung da draußen, was sagen die Grünheider heute, da der Streit um den verschwundenen Wald einer anderen Sorge gewichen ist?
Die Häuser um den Marktplatz herum sind erst Mitte der 1990er gebaut worden, sozialer Wohnungsbau, aber eigentlich wirkt hier eher selten ein Passant sozial schwach oder gar abgehängt. Direkt gegenüber vom Rathaus, am Eingang von Edeka, scheint die warme Sonne auf Stiegen voller Osterglocken und Hyazinthen. Es ist noch vor Mittag, aber da sind nicht nur Leute mit Toilettenpapier.
Der Ort Grünheide (Mark) ist eine Gemeinde im Landkreis Oder-Spree südöstlich von Berlin. Sie hat 8.645 Einwohner und neben Grünheide fünf weitere Ortsteile. Der Begriff „Grüne Heyde“ wurde zum ersten Mal von Kurfürst Joachim II. verwendet – und zwar 1543 in einer Einladung an seinen Bruder zur Jagd. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Grünheide dank Personenschifffahrt zum gefragten Naherholungsgebiet der Berliner.
Die Tesla Gigafactory Berlin soll bereits 2021 die Produktion aufnehmen – eigentlich. Dann sollen dort 300.000 Autos gebaut werden und 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Die Investitionen sollen bis zu 4 Milliarden Euro betragen. Zunächst soll in Grünheide der Typ Y entstehen. Dieses Elektro-SUV soll das erfolgreichste Auto der Marke werden: Seine leistungsstärkste Version hat eine Reichweite von maximal 505 Kilometern und kostet 58.620 Euro. (taz)
Eine Frau um die vierzig mit Tulpen unterm Arm sagt im Vorübergehen, sie habe nichts gegen Tesla, nur den Bürgermeister könne sie nicht leiden. Für den sei Tesla doch nur ein Prestigeprojekt. Und dabei wohne er nicht mal hier, sondern im Spreewald.
Ein Mann um die siebzig, der vor 50 Jahren aus Dresden kam und sich als Bernhard Piesche vorstellt und in einem Häuschen am See lebt, freut sich auf den frischen Wind, der jetzt bald in Grünheide wehen könnte. „Es muss nur richtig durchdacht werden“, sagt er. Dem stimmt ein Mann um die fünfzig zu, eine Frau um die dreißig mit kleinem Kind an der Hand ebenso.
An Juli Zehs Dorfroman „Unterleuten“ denken
Erst am Ende der kleinen Umfrage mischt sich eine Frau ins Gespräch, die etwas kritischere Töne anschlägt. Elke N., wie sie heißen will, ist 66 Jahre alt und lebt ebenfalls seit Langem hier, auch direkt am See. Doch ihr Vorwurf richtet sich weniger gegen Tesla selbst als gegen den wenig kommunikativen Politikstil vor Ort. In letzter Zeit musste sie vermehrt an Juli Zehs Dorfroman „Unterleuten“ denken. Da ging es nicht um einen Autohersteller, sondern um einen Windpark, der eine kleine Gemeinschaft in Brandenburg zerrüttet.
Christine de Bailly sitzt nur wenige Meter neben dem Eingang zu Edeka, in ihrem Netz-Werk-Laden, also da, wo Tesla seit Wochen zur Bürgerberatung lädt. De Bailly und ihr Mann haben 2015 angefangen, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, die nach Grünheide kamen; bis heute helfen sie drei jungen Leuten aus Syrien und Afghanistan, die hier oder in der Nähe Arbeit und eine Wohnung gefunden haben. Für sie haben die beiden 2017 den Netz-Werk-Laden gegründet, aber inzwischen ist der Laden einer der wenigen Orte im Dorf, wo sich alle treffen, einmal im Monat gibt es Kino, einmal pro Woche ein „Plauderfrühstück“. De Bailly, 1956 geboren, ist eine sympathische, weltoffene Frau, die ihrem Gegenüber gern in die Augen sieht. „Die Menschen hier sind freundlich wie die Sonne, aber als die Flüchtlinge kamen, gab es kräftige Vorbehalte“, sagt sie.
De Bailly ist studierte Sozialwissenschaftlerin, hat als Journalistin, Redakteurin und Coach gearbeitet, die hugenottischen Wurzeln ihrer Familie erforscht, einen Hamburger Journalisten geheiratet und nach Brandenburg geholt. Sie liebt dieses Grünheide auch, weil hier schon immer Professoren neben Kneipiers, Handwerker neben Ingenieuren gelebt haben. „Es wäre schade, wenn hier plötzlich wie wild Villen gebaut würden und die Reichen die Seen abriegeln würden“, sagt sie.
Trotzdem freut sie sich auf Tesla, auf neue Leute und neue Impulse, ein wenig mehr Glamour, vielleicht mal ein schönes Café oder eine gute Kneipe, wie es derzeit keine gibt im Dorf. Grünheide ist ein Idyll, das sich zwischen den Werlsee und den Peetzsee schmiegt. Auf dem Weg in die anderen Ortsteile der Gemeinde kann man sieben weitere Seen erkunden, das Löcknitztal, und Wälder ohne Ende. Die Arbeitslosenquote im Landkreis liegt bei 6,7 Prozent, überall im Ort wird gebaut, typisch prosperierender Speckgürtel halt.
22,7 Prozent für die AfD
Und trotzdem wählten bei den Landtagswahlen in Brandenburg 2019 22,7 Prozent der Grünheider die AfD. Was macht es mit diesem Brandenburg, wenn hier plötzlich ein Mann wie Tesla-Chef Elon Musk aufschlägt, der bei deutschen Autoherstellern lang als exzentrischer Anführer einer Bastelbude galt, dessen Erfolgstrip aber inzwischen selbst der biederen deutschen Konkurrenz Angst einjagt?
Was macht es mit einer Region, wenn eine Firma kommt, die jetzt schon in Polen Stellen ausschreibt, die aber gerade in Zeiten des Coronavirus genauso schnell wieder verschwinden könnte, wie sie gekommen ist?
„Ich weiß beim besten Willen nicht, wo hier diese ganzen AfD-Wähler stecken“, sagt Lothar Runge vom Heimatverein Grünheide, der sich wie viele hier ohne Wenn und Aber auf Tesla freut. Bei einer Führung durch die Heimatstube im Robert-Havemann-Klubhaus, der alten Schule des Dorfs, erinnert sich der 78-Jährige an die Zeit Anfang der 1990er, als die Gemeinde – wie viele in Brandenburg – stark schrumpfte. Plötzlich gab es nur noch um die 4.000 Einwohner, heute sind es mehr als 8.000.
Der Glanz, den Grünheide vor den Kriegen und auch zu DDR-Zeiten hatte, ist trotzdem verschwunden, sagt Runge. Für ihn ist seine Heimat nur noch eine charmante „Schnarchstadt“, wie er sagt.
Zu DDR-Zeiten war mehr los als heute
Lothar Runge weiß viel über die Zeit zu berichten, als noch die Berliner Ausflugsdampfer in Grünheide anlegten, als hier reiche Fabrikanten aus Berlin ihre Sommerhäuser bauten. “Bei schönem Wetter kamen täglich sechs- bis achttausend Menschen über den Wasserweg“, weiß er. Zwischen den Kriegen gab es 31 Gaststätten im Ort, heute sind es noch höchstens zehn Restaurants. Selbst zu DDR-Zeiten war viel mehr los als heute, es kamen Camper wie Tagesausflügler, sogar eine Milchbar gab es und eine Kulturhalle.
„Hier war dauernd Tanz“, erinnert sich auch Dorit Schmidt. „Beim Tanz habe ich meinen Mann kennengelernt. Da war ich 14 und sofort verliebt.“
Frau Schmidt ist heute 81 Jahre alt, trägt eine feine pinkfarbene Jacke, violettes Haar, rosa Lippenstift und große Perlenohrringe. Ihre Eltern, erzählt sie, haben die Drogerie nebenan gegründet, die sie dann mit ihrem Mann übernahm und 35 Jahre lang betrieb. Nun sitzt sie im Fenster der Bäckerei ihrer Tochter, wo es außerdem so viele Bioprodukte gibt wie in einem Bioladen in Prenzlauer Berg.
Gegen Mittag geht hier trotz Corona ununterbrochen die Ladentür, Schmidt kennt viele der Menschen, die hier einkaufen. Ihr Blick geht auf die Straße. Wenn die Fahrschule gegenüber nicht wäre, könnte sie auf einen der beiden Seen blicken, zwischen denen der Ortsteil Grünheide liegt, auf die Gründerzeitvillen, den Badestrand gegenüber. „Früher war da ein Laden am anderen“, erinnert sie sich.
Tesla ist auch eine Hoffnung
Für Dorit Schmidt war Grünheide die Welt. Aber Grünheide hat auch an Weltläufigkeit verloren. Und darum ist für sie dieser amerikanische Autohersteller nur zum Teil eine Art seltsames Ufo, das demnächst hier landen könnte. Für sie ist Tesla auch eine Hoffnung.
Und wie sehen es die Jungen in Grünheide, die vielleicht nicht mehr lang da sind, weil sie hier weder eine Ausbildung machen noch studieren können?
Auf dem Weg zum Löcknitzcampus sind zwei junge Männer unterwegs in die Mittagspause, Männer, wie man sie auch vor einem Bioladen in Prenzlauer Berg oder Neukölln aufgabeln könnte: Der eine trägt ein Stüssy-Shirt, der andere dunkle Jeans und teure Turnschuhe. Da sie in der Verwaltung arbeiten, wie sie sagen, wollen sie ihren Namen nicht verraten – dabei ist es nicht sehr heikel, was sie so äußern. Klar wäre es schön, wenn Tesla für mehr Busse und für bessere Straßen sorgen würde.
Und der Rave-Keller, den Elon Musk kürzlich recht medienwirksam den Grünheidern unter seiner Fabrik versprochen hat? Die beiden zucken mit den Schultern.
Die Idee mit dem Rave-Keller
„Zum Feiern fahren wir lieber nach Berlin“, lachen sie. Das sehen Maurice Heilmann und Felix Jahnke ganz anders. Auch sie müssen über die Idee mit dem Rave-Keller lachen, aber ihre Augen blitzen dabei. Maurice Heilmann ist 18 Jahre alt und Schüler, Felix Jahnke ist 19 Jahre alt, macht gerade seinen Bundesfreiwilligendienst im Jugendclub und will Erzieher werden.
Bei einem Plausch unter einem Baum auf dem Löcknitzcampus, wo heute zum letzten Mal vor der Coronapause Kita, Grundschule, Oberschule und Gymnasium offen hatten, erzählen sie voller Elan von ihrem Engagement im Jugendbeirat der Gemeinde, berichten davon, wie sich die Dorfjugend hier selbst was aufbaut: Eine Skaterbahn, ein Bolzplatz, eine Schutzhütte vor einem Jugendclub, wo man auch bei Regen in Ruhe auf den Sozialarbeiter warten kann. Sie wissen noch nicht, ob sie in Grünheide bleiben können. Ob sie wollen.
Arne Christiani, Bürgermeister von Grünheide
Unter den Jungen in Grünheide gibt es nicht mehr viele, die die Politikverdrossenheit der Eltern nachplappern, von wegen „die da oben“ oder „hört ja doch keiner zu“, sagen Heilmann und Jahnke. Überhaupt seien es unter den Jugendlichen eher nicht die Rechten gewesen, sondern die Grünen, die gegen Tesla auf die Straße gingen. Aber sie waren nicht in der Mehrzahl. Den meisten, sagen sie, hat die Sache mit dem Wald zwar wehgetan. Sie wollen trotzdem unbedingt, dass Tesla kommt.
Selbst jetzt, da Tesla die Produktion wegen des Coronavirus auch in Kalifornien ruhen lassen muss und in die Rezession rutschen könnte. Selbst jetzt, da der letzte geplante Erörterungstermin verschoben ist und Tesla seine Mitarbeiter aus Brandenburg abgezogen hat: Tesla muss einfach kommen.
Für Jungs wie Maurice Heilmann und Felix Jahnke könnte Tesla alles ändern. Für sie wäre Tesla Aufbruch pur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen