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Anwältin über häusliche Gewalt„Vorhandene Gesetze reichen aus“

Die Berliner Strafrechtsanwältin Christina Clemm vertritt vor Gericht Frauen, die häusliche Gewalt erleben. Jetzt hat sie dazu ein Buch geschrieben.

Rote Schuhe als Zeichen für ermordete Frauen in Mexiko Foto: Fernando Llano/dpa
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

taz: Frau Clemm, wenn man Ihr gerade erschienenes Buch „Akteneinsicht“ über Fälle von häuslicher und Partnerschaftsgewalt liest, könnte man am Rechtsstaat zweifeln.

Christina Clemm: Das Phänomen der geschlechtsspezifischen Gewalt braucht bessere Bearbeitung, mehr Wissen und mehr Aufmerksamkeit.

Bei Femiziden wird Heimtücke bei der Tat oft verneint, weil das Opfer mit der Gewalt, die es vorher schon erlebt hatte, wieder mit Gewalt rechnen muss. Ist das nicht fragwürdig?

Ja, aber auch wenn kein niedriger Beweggrund angenommen wird, weil es verständlich sein soll, dass ein Mann seine Frau aus Eifersucht oder aus Verzweiflung über die zerstörte Zukunftsperspektive tötet.

Das ist ein zutiefst patriarchaler Ansatz: Die Frau gehört mir, sie ist mein Eigentum.

Hier offenbart sich ein gesellschaftlicher Machtanspruch des Mannes über die Frau, besonders über die Ehefrau. Ich halte es für dringend erforderlich, Morde an Frauen als solche zu benennen, eben als Femizide und nicht als Familien- oder Eifersuchtsdramen.

Brauchen wir einen neuen Straftatbestand Femizid?

Ich denke nicht, dass wir den benötigen, die vorhandenen Gesetze reichen aus. Aber die Rechtsprechung muss ihre Frauenfeindlichkeit ablegen.

Seit Jahren debattieren wir über sexuelle Gewalt, der Filmmogul Harvey Weinstein ist gerade wegen Vergewaltigung verurteilt worden, der Film „Bombshell“ legt sexuelle Übergriffe im US-amerikanischen Fernsehen offen. Trotzdem wird Frauen oft nicht geglaubt, wenn sie Übergriffe anzeigen. Warum?

Der Mythos „der lügenden Frau“ hält sich hartnäckig. Dies hat mehr mit Machtverhältnissen als mit der Realität zu tun. Es gibt keine belastbaren Zahlen dafür, dass Frauen bei sexualisierter Gewalt übermäßig falsch anzeigen. Warum auch? Frauen ziehen in der Regel keine Vorteile daraus, wenn sie anzeigen. In Deutschland bekommen sie weder ein hohes Schmerzensgeld noch klettern sie die Karriereleiter hinauf noch bekommen sie die Kinder zugesprochen. Ganz im Gegenteil, sie werden häufig als Opfer stigmatisiert und mit Argwohn betrachtet, selbst bei einer Verurteilung des Täters. Wenn eine Frau ihren Ehemann angezeigt hat, kann das ökonomisch sogar eine Katastrophe für sie sein, weil etwa der Unterhalt wegfällt.

Zeigen deswegen viele Frauen Gewaltübergriffe erst gar nicht an?

Betroffene wollen häufig nicht, dass der Täter ins Gefängnis kommt oder eine Geldstrafe zahlen muss. Oft erstatten sie auch nicht selbst Anzeige, sondern andere. Sie wollen meist vorrangig, dass die Gewalt aufhört und der Täter sie in Ruhe lässt, dass er sie vergisst. Schwerer ist das für Frauen, die mit dem Täter Kinder haben. Sie wünschen sich meist eine Einigung: Er soll nicht mehr schlecht über die Frau reden und gut zu den Kindern sein. Und viele zeigen nicht an, weil sie keinen Zugang zum Recht haben – häufig mehrfach diskriminierte Menschen wie etwa Transpersonen, Frauen mit Beeinträchtigungen, Geflüchtete, marginalisierte Frauen.

Im Interview: Christina Clemm

52, ist seit 1996 Rechtsanwältin in Berlin und Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht.

Bei Gewaltkonflikten von Paaren mit Kindern steht das Umgangsrecht über dem Gewaltschutz. Warum ist das nicht schon lange geändert?

In der Rechtsprechung hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es stets dem Kindeswohl entspräche, Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben. Aber ich bezweifle, dass ein gewalttätiger Vater dem Kindeswohl entspricht, selbst wenn sich die Gewalt „nur“ gegen die Mutter richtet. Auch das Miterleben von Gewalt wirkt für Kinder traumatisierend, ebenso die Angst um die Mutter.

Strafprozesse wegen sexueller und Partnerschaftsgewalt sind für Betroffene meist schwer durchzustehen. Deshalb debattieren Opferschutzorganisationen und An­wält*innen schon länger darüber, ob es nicht andere Wege gäbe, den Tätern beizukommen.

Wir haben derzeit keine anderen erprobten gesellschaftlichen Maßnahmen im Sinne einer Restorative Justice.

Also einer Form der Konflikttransformation durch ein Wiedergutmachungsverfahren?

Ja, aber es bleibt trotzdem die Frage: Hilft Strafe? Wie wirkt sie? Ich selbst bin da auch skeptisch und fordere keine immer härteren Gesetze und immer höhere Strafen. Was helfen könnte, ist mehr Wissen um die Gefahr, schnellere Verfahren und schnellere Konsequenzen.

Das Buch

Christina Clemm: „Akteneinsicht“, Verlag Antje Kunstmann, München, 2020. 208 Seiten, 20,00 Euro

Was heißt das konkret?

Grundsätzlich muss es mehr Täterarbeit und besseren Schutz, mehr Beratung und echte Perspektiven für gewaltbetroffene Frauen geben. Vor allem aber eine stärkere gesellschaftliche Debatte: Wir dulden keine geschlechtsspezifische Gewalt.

Geschlechtsspezifische Gewalt gibt es ja auch in anderen Lebensbereichen.

Ja, auch bei politischen Auseinandersetzungen oder etwa bei Polizeigewalt. Auch darum geht es ja in meinem Buch. Geschlechtsspezifische Gewalt und Misogynie sind immer auch fester Bestandteil rechtsextremer Ideologien und patriarchaler Strukturen, die die Gewalt fördern. In den Geschichten, die ich in meinem Buch erzähle, möchte ich aber auch den Blick auf die Betroffenen lenken – auf ihre Verletzungen. Und auf die doch ganz unterschiedlichen Wege, die sie nach schweren Straftaten gehen.

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