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Karlsruhe urteilt zur SuizidhilfeViel radikaler als erwartet

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Urteil schafft ein Recht auf einen milden Suizid mit Begleitung. Für die braucht es jetzt Mindeststandards.

Wir haben alle ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, hat das BVG entschieden Foto: imago

S o nicht. Das ist die klare Botschaft aus Karlsruhe. Das Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung ist verfassungswidrig. Es verstößt gegen ein neu definiertes „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Dieses Recht schütze auch, sich beim Sterben helfen zu lassen, so die Richter.

Dabei wären rechtlich auch andere Lösungen für die Richter denkbar gewesen. Denn auch die Befürworter des Gesetzes argumentierten mit dem Schutz der Selbstbestimmung am Lebensende. Sie befürchteten, dass alte Menschen vorschnell und letztlich unfreiwillig aus dem Leben scheiden, weil sie niemandem zur Last fallen wollen. Der assistierte Suizid dürfe deshalb nicht zu einer normalen Dienstleistung werden.

Hilfe durch Telefonseelsorge

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Karlsruhe ist dieser Argumentation aber zu Recht nicht gefolgt. Denn wenn man sie ernst nähme, würde sie jede Selbstbestimmung am Lebensende verhindern. Dann wäre nicht nur der assistierte Suizid zu gefährlich, sondern auch das – bisher nicht umstrittene – Recht auf Abbruch einer lebensverlängernden ärztlichen Behandlung. Die Konstellation ist schließlich ganz ähnlich.

Doch Karlsruhe hat nicht nur die Interessen von Todkranken im Blick, sondern geht weit darüber hinaus. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist als Akt autonomer Selbstbestimmung nicht auf das sichtbare Lebensende begrenzt. Insofern ist das Karlsruher Urteil weit radikaler als erwartet.

Da nach Angaben von Experten rund 90 Prozent der Suizidversuche Folge psychischer Erkrankungen sind, sollte der Bundestag schnell handeln

Auch Menschen, die noch gesund sind und daher durchaus von einer Brücke springen könnten, haben ein Recht, sich beim Suizid helfen zu lassen. Nebenbei haben die Richter damit ein Recht auf einen milden medikamentösen Suizid mit professioneller Begleitung geschaffen.

Überraschend ist auch, dass diese Begleitung nicht in erster Linie von Ärzten geleistet werden soll, sondern von den umstrittenen Sterbehilfe-Vereinen. Die Richter fürchten, dass es viel zu wenig Ärzte gäbe, die hierzu bereit wären. Wollen Ärzte am Lebensende weiter die zentrale Rolle spielen? Dann müssen die von vielen Ärztekammern ausgesprochenen Verbote des ärztlich assistierten Suizids schnell zurückgenommen werden.

Auf jeden Fall sollte der Bundestag bald ein neues Gesetz beschließen, um Mindeststandards für Suizidhilfe-Vereine festzulegen. Es muss sichergestellt werden, dass vom Recht auf selbstbestimmtes Sterben nur Menschen Gebrauch machen können, die frei verantwortlich entscheiden können. Da nach Angaben von Experten rund 90 Prozent der Suizidversuche Folge psychischer Erkrankungen sind, sollte der Bundestag schnell handeln.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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16 Kommentare

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  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Mindeststandard für milden Suizid? Kann es nicht auch ein bisschen kommoder gehen? Nach meiner Beobachtung war Sterben noch nie einfach und immer mit Angst und Bangen vor dem Unbekannten besetzt. Niemand ist freudig aus der Welt gegangen. Es scheinen hier sehr romantische Vorstellungen vom Sterbeprozess im Umlauf zu sein. Pille, Infusion und dann Erlösung. Zuerst kommt das Erstickungsgefühl, dann nach Atem ringen und dann ? Ok , man kann ja ein Muskelrelaxans noch zugeben wenn man das nicht mitansehen will, dann blubbert der Sterbende noch. Von wegen ruhig die Augen schließen und ruhig einschlafen, nein die Augen aufgerissen als ob man es nicht glauben kann. Keine Ahnung woher die Experten das Wissen über den so sanften Tod haben. Natürlich gibt es eine Medikationen, die es für den Beobachter erträglicher machen den Sterbeprozess in hellem Licht erscheinen zu lassen. Den Gestorbenen hat noch keiner befragt.

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Warten wir es ab. Die C-Parteien und die Kirchen werden sehr schnell zum " Gegenangriff " starten. Aber Kompliment nach Karlsruhe so detailliert hätte ich das Urteil nicht erwartet.

  • "Da nach Angaben von Experten rund 90 Prozent der Suizidversuche Folge psychischer Erkrankungen sind, ..."



    Gibt es dazu wirklich fundierte Untersuchungen ? In den Niederlanden z.B. ist die Sterbehilfe auch bei psychisch Kranken erlaubt. Sie machen gerade mal 1% der Tötungen auf Verlangen oder assistierten Suizide aus (www.aerztezeitung....-wird-286814.html).

  • " Es muss sichergestellt werden, dass vom Recht auf selbstbestimmtes Sterben nur Menschen Gebrauch machen können, die frei verantwortlich entscheiden können. Da nach Angaben von Experten rund 90 Prozent der Suizidversuche Folge psychischer Erkrankungen sind, sollte der Bundestag schnell handeln."

    Psychische Krankheit ist nicht gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit. Auch Menschen mit schwerer therapieresistenter Depression haben ein Recht auf Selbstbestimmung und sollten daher nicht grundsätzlich von Sterbehilfe ausgeschlossen werden. Denn weder sind die Heilungsaussichten bei einer psyhischen Krankheit grundsätzlich besser noch ist der Leidensdruck grundsätzlich weniger schlimm als bei einer körperlichen Krankheit.

    • @Thomas Friedrich:

      Danke! Vielen Dank!

  • Das scheint mir erklärungsbedürftig, für BVG ist Verbot geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung verfassungswidrig, habe ich verstanden, aber so generell klingt es, salopp formuliert, so als ob es darum ginge, der Gewerbefreiheit bei dem Geschäftsmodell assistierter Sterbehilfe deregulierend juristisch eine Bresche zu schlagen, ohne Deutungen, Handreichungen darauf zu verschwenden, wie Amtshaftung im Sinne einer Fürsorgepflicht gegenüber Bewohnern*nnen Deutschlands zu organisieren sei, Hilfesuchende vor körperlich-seelischem Schaden und Pein zu schützen, assistierte Sterbehilfe als gesellschaftliche Aufgabe in hoheitlichen Rang zu heben, oder dereguliert einfach im ungünstigsten aber vorstellbaren Fall geschäftlichem Sausebraus im In- und Ausland zu überlassen?

  • Ich finde das Urteil überraschend und sehr gut, aber Mindeststandards notwendig.



    Ich würde es z.B. nicht begrüßen, dass jede(r) 18ige, der Liebeskummer hat, sich spontan beim Selbstmord helfen lassen darf.



    Um die Aufgabe, durch Regelung Missbrauch so weit es geht auszuschließen, beneide ich den Gestzgeber nicht. Parallel dazu muss aber die Situation in der Altenpflege und Palliativmedizin deutlich verbessert werden!

    • @flipmar:

      "Ich würde es z.B. nicht begrüßen, dass jede(r) 18ige, der Liebeskummer hat, sich spontan beim Selbstmord helfen lassen darf"



      Nach der Logik dürfte eine 18jährige Frau auch nicht "spontan" abtreiben. Das Motiv mag jeweils moralisch fragwürdig erscheinen - juristisch ist das aber keine Kategorie.



      Es ist kein Zufall, dass der 217er Knebelparagraf bis heute direkt neben seinen Zwillingen 218 & 219 stand.

      • @Linksman:

        Bei den Einschraenkungen der Abtreibung geht es um fremdes Leben (des Ungeborenen), bei Sterbehilfe um das "eigene".

        Andererseits soll im Fall eines Schwangerschaftsabbruch eine vorherige Weiterentwicklung des Foetus ja gerade germieden werden.

    • @flipmar:

      Jemandem beim Selbstmord helfen darf man jetzt auch schon nur nicht "geschäftsmäßig."

    • @flipmar:

      Fragen sie doch mal bei ausländischen Vereinen zur Sterbehilfe nach, wie vielen 18-jährigen mit Liebeskummer bei ihnen geholfen wurde, und in welcher Weise.

  • Das Urteil hat mich schockiert und der taz-Autor führt gut aus, warum es viel zu weit geht. Die Argumentation "niemandem zur Last fallen zu wollen" kann so viel zu schnell eine ungeahnte Eigendynamik nehmen, ja sogar von Interessen anderer manipuliert werden. Auch besteht die Gefahr, dass sich völlig gesunde Menschen in den Strudel so einer Argumentation ziehen lassen.

    • @Winnetaz:

      Den Grund der Verfassungsklage hast du entweder nicht mitbekommen oder ausgeblendet. Ein an einer unheilbaren Lungenkrankheit leidender Mann hat geklagt, weil er einen Ausstieg vor einem langsamen und qualvollen Erstickungstod haben will. Und dass ihm dies bislang von irgendwelchen Aposteln und Heuchlern verwehrt wurde, die ihn lieber verrecken sehen wollten, dabei nicht einmal Palliativ- und Hospiz-Einrichtungen im gleichen Zug verstärkt haben, ist einfach zum Kotzen.

      • @Hampelstielz:

        Alles aus christlischer Nächstenliebe.

        *Hüstel*

        Nur lebende Patienten sind auch zahlende Patienten.

        • @Sven Günther:

          Was meinst du mit Alles? Es macht manchmal Sinn, mehr als zwei Sätze zu bilden. Beugt Mißverständnisse vor.

  • RS
    Ria Sauter

    Sehr gutes Urteil. Endlich!



    Hoffe sehr, es wird politisch nicht aufgeweicht.