Rassismus in Hanau und an EU-Genzen : Schon wieder vergessen

In Hanau wurden aus rassistischen Motiven neun Menschen erschossen. Und die AfD jubelt, wenn Menschen an EU-Grenzen wie Vieh behandelt werden.

Menschens stehen trauernd beisammen.

Die rassistischen Morde in Hanau und die robuste EU-Außengrenze gehören zusammen Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

BERLIN taz | Wisst ihr noch? Vor nicht mal zwei Wochen? Der ein oder andere mag sich nicht mehr erinnern. Ist ja auch viel passiert seitdem. Es gab eine Pressekonferenz des Innenministers und sogar ein paar Schweigeminuten. Es gab ein Grippevirus und einen Milliardär, der unflätige Beleidigungen in Fußballstadien gegen sich mit dem Nationalsozialismus verglich. Da kann man so was schon mal vergessen.

Zur Erinnerung: Vor ungefähr zwei Wochen wurden in Hanau 10 Menschen erschossen. Wisst ihr noch? Der Beweggrund für die mörderische Tat war Rassismus und eine diffuse Angst vor einer angeblichen „Umvolkung“.

Ähnliche bis deckungsgleiche Meinungen findet man deutschlandweit in den Parlamenten. Die Abgeordneten der AfD sind in vielen Bundesländern die legitimen Vertreter eines Volks, das zu großen Teilen seine Verantwortung vergessen hat. Seine moralische und seine historische.

Auch heute weigert sich Alexander Gauland immer noch, im Zusammenhang mit Hanau von „Terror“ zu sprechen. Der Publizist und Blogger Nasir Ahmad hat deshalb mal nachgezählt, wie oft die AfD auf ihrer Website im muslimischen oder linken Kontext von Terror sprach: Seit 2015 ganze 156-mal. Islamistische Anschläge gab es in diesem Zeitraum zwei. Wisst ihr noch wie viele rechte Anschläge es waren?

Verdrängungsmechanismus

Ich frage so oft nach, weil der typisch deutsche Verdrängungsmechanismus, gerade wieder hoch im Kurs steht. Tragödie, Aufschrei, Mitgefühl und dann weiter machen wie zuvor. Oder sogar schlimmer. Mölln, Solingen, NSU, Halle, Hanau usw. usf. Wisst ihr noch? Nein, wisst ihr nicht. Denn wenn ihr es wüsstet und die Lehren daraus zieht, dann würdet ihr nicht zulassen, was aktuell wieder in diesem Land und an den EU-Außengrenzen passiert. Ihr würdet nicht zulassen, dass Hilfesuchende als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Ach was, nicht mal das. Sie werden behandelt als seien sie Vieh. Und ihr würdet nicht zulassen, dass Populisten wie AfD-Bundessprecher Meuthen (Wisst ihr noch? Das ist der „Gemäßigte“) öffentlich sagen dürfen: „Griechenland und Bulgarien müssen von uns volle finanzielle und logistische Unterstützung für den erforderlichen robusten Außengrenzenschutz erhalten.“

Wie dieser robuste Grenzschutz in den Augen der AfD aussieht, demonstrieren organisierte griechische Neonazis und aufgeputschte Einwohner aktuell auf der Insel Lesbos. Dort werden nicht nur JournalistInnen und MitarbeiterInnen von Hilfsorganisation angegriffen, sondern es wird aktiv verhindert, dass Menschen von überfüllten und vom Kentern bedrohten Schiffen an Land kommen. Für Meuthen & Co sind diese Verbrecher, die die Häfen blockieren, die letzte Bastion Europas. Wo sind wir angelangt, wenn man sich als Phrasendrescher fühlt bei den Worten: Da ertrinken Menschen direkt vor euren Augen!

Im Fall Lesbos ist das mehr als nur eine Metapher. Die Menschen ertrinken tatsächlich vor den Augen der aggressiven Bürger und Schlägertrupps. Am Montagmorgen kam ein Kleinkind in den Fluten ums Leben. Flüchtlingslager werden mit Tränengas beschossen, es gibt auch Berichte über den Gebrauch scharfer Schusswaffen auf Seiten der griechischen Behörden. Meuthen sagt auf Syrien und seine Flüchtlinge bezogen: „Das ist nicht unser Krieg!“ Doch, ist es! Es ist unser Krieg, weil wir viel zu lange untätig waren.

Es ist unser Krieg, weil es das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit gibt. Wisst ihr das noch? Oder habt ihr es vergessen, zwischen all den Talkshows und Coverstorys in denen hochgestochen darüber debattiert wird, ob man auf Geflüchtete schießt, ob man Faschismus mit Toleranz begegnen soll oder ob man die, die jetzt ankommen, einfach ersaufen lässt. Habt ihr etwa vergessen, dass Worte zu Taten werden?

Meutens Rhetorik und das schüren von Ängsten vor Massen von Wilden, die in unser schönes Deutschland kommen, ist der gleiche Sprech von der „Umvolkung“, der auch Breivik und den Mörder von Christchurch antrieb. Solche Worte sind der erste Schritt auf dem Weg nach Hanau. Und Hanau ist bereits einer von viel zu vielen Schritten auf dem Weg in ein Zeitalter, das deutsche Politiker gerne als „dunkles Kapitel“ umschreiben. Wisst ihr noch?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.