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China und die DDRDer nicht so ferne Osten

Aktuelle Fotos aus China erinnern in vielem an Bilder aus der untergegangenen DDR. Das erklärt auch die mediale Reaktion auf den Coronavirus.

Auch die DDR bevorzugte Gruppenfotos: Thälmann-Pioniere 1976 Foto: Archiv Klaus Fischer/Sorge

D ie erste ostdeutsche Frau, die ich kennengelernt habe, war Gabi. Gabi und ich arbeiteten im Souvenirgeschäft eines Berliner S-Bahnhofs, uns trennten 50 Jahre Altersunterschied, uns einte der schlechte Stundenlohn von weniger als sechs Euro. Gabi und ich rauchten nicht, deshalb standen wir auch nie zusammen in der Kälte, um über Dinge zu sprechen.

Dafür befüllten wir Schublade um Schublade mit bunten Mauerstückchen, den meisten lag ein Echtheitszertifikat bei, das den Steinen bescheinigte von (irgend)einer in Berlin gebauten und zerschlagenen Mauer zu stammen – echte Berliner Mauerstücke also.

Ich bin ein paar Monate nach dem Mauerfall und ein paar Monate vor der deutschen Wiedervereinigung geboren. Eingeklemmt zwischen zwei gesellschaftspolitischen Großereignissen, über die ich später in einer niedersächsischen Schule so gut wie nichts lernte.

Eingeklemmt zwischen zwei Daten, denen für mich null emotionale Erinnerung anhaftet, mit denen ich aber dieses Jahr ein Jubiläum teile. Das vereinigte Deutschland und ich werden 30 und ich frage mich, was wir gemeinsam haben. Vielleicht ein Identitätsproblem? Vielleicht, dass wir überhaupt nicht einig sind?

Massenweise Menschenmassen

Früher begegneten mir manchmal Menschen, die mich „Kind der Wiedervereinigung“ nannten, und ich dachte, sie meinten die Vereinigung meiner Eltern. Manche meinten das wirklich, aber dann ging es nicht um Ostdeutschland, sondern um einen ferneren Osten.

Sowieso hieß West und Ost für mich immer Deutschland und China, dazwischen lag nichts außer ein Langstreckenflug mit Tomatensaft und Wolkenbergen. Was ich über die DDR erfuhr, erzählte man mir meist vom noch ferneren Osten aus. Bilder von früher, die nie die gleichen waren, aber sich doch ähneln: stolze Kinder mit roten Halstüchern, Menschen, die mit Essensmarken Schlange stehen, Fabrikarbeiter:innen in schlichten Uniformen. Oft Kollektive, häufiger Gruppen als Porträts.

Bei Chinabildern ist das noch heute so: Menschenmassen in U-Bahnen, Menschenmassen in Hochhausschluchten, Menschenmassen an Werkbänken. Kaum ein Gesicht, kaum ein Name, 1,4 Milliarden sind die maximale Mehrzahl. Wozu das führt, zeigt die Berichterstattung über das Coronavirus. Anstelle von Solidarität und Mitgefühl gewinnt viel zu oft das Geschäft mit der Angst. Ich träume, der Spiegel hätte mit dem Bild einer Krankenschwester aus Wuhan aufgemacht, mit erschöpften Augen, dem Versuch eines zuversichtlichen Lächelns, mit tiefen Abdrücken vom pausenlosen Tragen der Atemschutzmaske auf Wangen und Nasenrücken. Ich träume.

Die Welt besteht aus Einzelteilen, alle mit Echtheitszertifikat. Viel Schutt in Schubladen, jede:r nimmt ein bisschen, niemand nimmt alles, das wäre zu viel zu tragen. Deutschland ist uneinig, Osten ist Plural, ich auch. Was wohl Gabi dazu sagen würde?

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
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4 Kommentare

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  • Liebe Frau Hierse.

    Die Bild hatte am 30.01.10 dieses Video ( „Diese Bilder aus Wuhan sorgen für Gänsehaut“)



    auf youtube veröffentlicht:

    www.youtube.com/watch?v=60fhp-ZB9jw

    954.158 Aufrufe im deutschsprachigen Raum.



    Das von Ihnen verlinkte Video („Wuhan residents chant ‘Keep it up, Wuhan’ out of their windows to boost morale“) englisch, also mit deutlich höherer Reichweite hat 1.248.602 Aufrufe.

    Die Morgenpost hatte am 30.01.20 diesen Artikel veröffentlicht:

    www.morgenpost.de/...gen-Isolation.html

    Ebenso am 30.01.20 die Westfälische Rundschau:

    www.wr.de/panorama...n-id228285763.html

    Am 29.01.10 Watson aus der Schweiz:

    www.watson.ch/inte...geisterstadt-wuhan

    Könnten Sie denn bitte noch den Taz-Artikel über die singenden Menschen in Wuhan verlinken?



    Den muss es doch sicher gegeben haben, ich finde ihn aber nicht.



    Vielen Dank für Ihre Hilfe.

  • Ostdeutschland und China eint auch, dass sie von westdeutschen Liberalen als Projektionsfläche mißbraucht werden, um mit reichlich angestaubtem Antibolschewismus das eigene dysfunktionale System hübschzuhassen.

    • @El-ahrairah:

      das gibt einen like. Hübschzuhassen noch einen obendrauf

  • Die Berichterstattung ist doch überwiegend sachlich und dass nun teilweise eine gewisse Empathielosigkeit in Berichterstattungen vorherrscht, ist wohl nicht nur bei China und dem Coronavirus so, sondern auch beispielsweise bei der Berichterstattung über Syrien oder der momentanen Heuschreckenplage in Afrika. Und dass unser Bild von China von Massenbildern bestimmt wird, liegt wohl auch an der Geschichte, Mao und die Massenbewegung. Und das Bild, welches die heutige kommunistische Einheitspartei in China vermittelt gilt doch noch heute, individuelle Rechte zählen nichts, sondern nur das Kollektiv, heute angefangen beim perfiden Social Scoring und den immer noch eklatanten vorhandenen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Tibetern. Auch hier besteht eine gewisse Gleichgültigkeit und mangelnde Empathie in der Berichterstattung!