Ausländische Medien in China: Im Ton vergriffen
Drei Journalisten des „Wall Street Journal“ müssen China verlassen. Dabei haben sie mit den Vorwürfen gegen die Zeitung nichts zu tun.
G renzwertig war die Überschrift, zutiefst beleidigend und für viele auch rassistisch: Wenn das Wall Street Journal einen Gastkommentar über China und seinen Umgang mit dem Coronavirus als „Der wahre kranke Mann in Asien“ betitelt, dann muss sich die Zeitung zu Recht heftige Kritik gefallen lassen. Dass nun drei Kollegen, die jenen Kommentar gar nicht verfasst haben, als Sündenböcke hergenommen werden und ihre Pressekarte verlieren – was heißt, dass sie das Land verlassen müssen –, lässt sich jedoch durch keine noch so untergriffige Formulierung rechtfertigen.
Treffen können hätte es beispielhaft jeden der Kolleginnen und Kollegen in Peking. Dass der Spiegel für sein kürzlich erschienenes Titelblatt „Made in China“ keine Konsequenzen zu tragen hatte, hängt nicht zuletzt auch mit der politischen Großwetterlage zusammen: Deutsche Medien können – im Gegensatz zu Kollegen aus den USA – auf ein Grundvertrauen zählen, da es um die deutsch-chinesische Beziehung zumindest wirtschaftlich gut bestellt ist.
Eklats gilt es allein aus geschäftlichen Gründen zu vermeiden. Dennoch: Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen genießen internationale Korrespondenten – insbesondere im Vergleich zu den lokalen Kollegen – immer noch relative Narrenfreiheit. Der Beweis dafür lässt sich bei der täglichen Zeitungslektüre erbringen: In fast jedem größeren Medium muss die chinesische Regierung heftige Kritik einstecken, die zuweilen auch übers Ziel hinausschießt. Oder sie muss sich zumindest ein vereinfachtes Bild gefallen lassen, das sich auf die Themenkreise Menschenrechtsverbrechen und Überwachungsstaat beschränkt.
Oftmals haben wir Korrespondenten nicht mehr zu befürchten als ein „klärendes Gespräch“ beim Außenministerium. Das sollte unsere Zunft aushalten können und nicht bei jeder Unannehmlichkeit laut aufschreien. Dann nämlich verschwimmt in der inflationär verwendeten Empörung das Gespür für wirkliche Einschüchterungsversuche autoritärer Regierungen. Genau ein solcher ist jedoch mit der Abschiebung der drei Kollegen passiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier