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Der Stall als architektonische Aufgabe Schweine im Schwimmbad

Wie kann das gehen, „Architektur für Schweine“? In Berlin sind nun Entwürfe zu sehen, die auf die Perspektive der Tiere einzugehen versuchen.

Katharina Münch erhielt für die „Schweine Villa“ den ersten Preis Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Natürlich, kein Schwein hätte wohl selbst einen der sieben prämierten Entwürfe des Ideen­wettbewerbs „Vom Stall zur Theke. Tierwohl bis zum Ende gedacht“ der Technischen Universitäten Braunschweig, Darmstadt und München sowie der Uni Stuttgart abgeliefert. Denn das finale Ziel ist ja schon im Titel markiert: Die Fleischtheke, ob im Massenbetrieb im Supermarkt oder individueller und stallnäher im Hofladen. Die Umwandlung von Schweinefleisch in Menschennahrung ist weiterhin der Handlungsrahmen.

Die Projekte lenken die Aufmerk-samkeit auch auf die landwirt-schaftlichen Familienbetriebe

Innerhalb dieses Rahmens kommen die insgesamt 49 Studierenden aber doch zu interessanten und über die konventionelle Stallhaltung hinausgehenden Entwürfen. Xiarong Yu von der TU Darmstadt etwa konzipierte „ihren“ Schweinen einen Swimmingpool, in dem sie baden, schwimmen, sich säubern und einfach herumtollen können. Zudem trennt sie Bereiche für ganz junge und ältere Schweine, kreiert also eine Art Schweinekindergarten.

Die Trennung von verschiedenen Funktionen wie Liegen, Fressen und Aktivität und die damit verbundenen größeren Auslaufbereiche zeichnen auch andere Entwürfe aus. Mengye Feng und Guisong Zhang von der TU Braunschweig setzen drei begrünte Schrägdächer über Stallanlagen, Schlachthaus und Hofladen. Auf denen können nicht nur die Schweine grasen, sondern auch besuchende Menschen ihnen dabei zugucken.

Wechselnde Äcker zum Weiden

In mehreren Entwürfen fällt auch die elegante Integration von Schweinehaltung in die umgebende Landschaft und Landwirtschaft auf. Verena Klotzner und Sophia Richwien von der TU München etwa entwickelten einen zweigeschossigen „Schweinestadl“ mit Fress- und Aktivitätsbereich unten und Liegebereich oben, der in eine Vierfelderwirtschaft eingefügt ist. Der „Schweinestadl“ befindet sich am Schnittpunkt von vier Ackerflächen. Und je nach Fruchtfolge ist je eine vom Stadl aus zugängliche Ackerfläche der Weidegrund für die Tiere.

Christoph Ammer und Matthias Delueg, ebenfalls TU München, integrieren den Schweinemastbetrieb gar in eine Permakulturanlage mit Waldflächen, Pflanzstreifen und Obstbäumen. Die Schweine selbst können sich in mobile Unterstände zurückziehen, die auf den Weideflächen platziert werden.

Architektur für Schweine

Aedes Architekturforum, Christinenstr. 18–19, Di.–Fr. 11–18.30, So.–Mo. 13–17 Uhr, bis 5. März. Die prämierten Entwürfe werden auch auf dem YouTube-Kanal des KTBL vorgestellt

Ein noch ausgefeilteres Mobilitätskonzept – ausgefeilt aber eher aus Menschensicht – präsentierten die mit dem 2. Preis geehrten Jakob Köppel und Benedikt Stoib von der TU München. Die Liegekisten, die in einem Multifunktionsstall mit angeschlossener Weidefläche den Ruhe- und Liegebereich für die Schweine konstituieren, können auch gleich als Transportkisten für den Weg zum Schlachthof genutzt werden. Abgewandelt aufs menschliche Dasein bedeutete dies: Das Bett wird Sarg. Interessant ist an diesem Entwurf vor allem aber die Integration von Hofladen und Wirtshaus in den Dorfkern – eine Maßnahme zur Wiederbelebung ländlicher Gebiete.

Transparenz im Mastbetrieb

Noch stärker an menschlichen Bedürfnissen ausgerichtet ist der mit dem 3. Preis gewertete Entwurf von Jessica Vetter und Pepe Fritz (Uni Stuttgart). Die in S-Form angelegte Stallanlage ist von einem mit Lamellen abgetrennten, also halb durchsehbaren Gang umgeben. Ihn entlanglaufend können Besucher Einblicke in den kompletten Mastbetrieb erhalten: höchste Transparenz also.

Die „Schweine Villa“ von Katharina Münch (TU Darmstadt und 1. Preisträgerin) vereinigt viele der Ansätze der anderen Entwürfe. Sie teilt den Stall in sieben sogenannte Landschaftsinseln mit Weideflächen, Gemüsebeeten, Obstbaumrainen und jeweils drei kleineren zweistöckigen Ställen, ebenden „Schweine Villen“, auf. Das verspricht weitgehend ungebundenes Landleben für Schweine – bis dann der Schlachter in die „Villa“ kommt.

Besucher können sich nicht nur im Hofladen im Eingangsbereich des großräumigen Areals am Fleisch bedienen, sondern dürfen auch das Obst und Gemüse von den Beeten und Gehölzen selber ernten. Ein Rundum-Natur- und Ernte-Erlebnis also.

Aufmerksamkeit für Familienbetriebe

Geplant wurden die Anlagen für einen Betrieb von 500 Schweinen. Das war eine der Bedingungen der Ausschreibung. Bei dem von der Stiftung LV Münster und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen (KTBL) initiierten Wettbewerb wurde vorab von allen Teilnehmenden auch ein Bauernhof in Münster besucht, um sich Kenntnisse über den Betriebsablauf anzueignen.

Der Wettbewerb ist nicht nur Studierenden-Spielerei. Denn die Projekte lenken die Aufmerksamkeit auch auf die landwirtschaftlichen Familienbetriebe. Deren Zahl sinkt angesichts des Preisdrucks des Großhandels und der Marktmacht der landwirtschaftlichen Großbetriebe immer weiter.

Modernere und stärker auf das Tierwohl sowie größere regionale Verankerung ausgerichtete architektonische Strukturen könnten mittelfristig die Attraktivität solcher Familienbetriebe erhöhen und auch zu einer deutlichen Verbesserung des Tierwohls selbst führen. Laut Mitteilung des Deutschlandfunks gab es bereits die Anfrage eines Ökobauern für die Realisierung des Siegerentwurfs.

Zielkonflikt in Zeiten des Klimawandels bleibt allerdings, dass größere Flächen und freie Lüftung der Ställe höhere Emissionen erwarten lassen. Die Landwirtschaft ist in Deutschland laut Umweltbundesamt zweitgrößter Produzent von Treibhausgas-Emissionen, noch vor den prozessbedingten Emissionen der Industrie.

Ein Großteil der Emissionen geht zwar auf Rinderhaltung zurück – den Methanausstoß beim Wiederkäuen. 19 Prozent der Methangasemissionen im Jahre 2017 gingen aber auch auf das Düngemanagement, unter anderem mit Exkrementen von Schweinen, zurück. Die prognostizierte Klimabilanz der einzelnen Entwürfe gehörte bedauerlicherweise nicht zu den Kriterien des Wettbewerbs.

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2 Kommentare

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  • Neben dem Tiefwohl sollte heute die Infektionsausbreitung zwischen den Tieren eines Hofes mehr beachtet werden, auch die damit verbundene Antibiotikagabe und die Entstehung multiresistenter Keime. Man denke an die Corona-Ausbrüche in der Nerzhaltung und ebenso in menschlichen Gemeinschaftsunterkünften.

    500 Tiere kommen mir da zu viel vor. Bei kleineren Gruppen mit vielleicht 20 Tieren, jeweils im Abstand zueinander plaziert, kann ich mir eher vorstellen, dass Krankheitsausbrüche vermeidbar sind. Die begrenzte Lebensspanne ist dabei von Vorteil.

    Bei der Größe würde dann die Logistik zur entscheidenden Frage, d.h. wie kann man mit minimiertem Aufwand Futter zu den Tieren bringen, Gülle einsammeln, usw., wenn es jeweils so kleine Gruppen sind. Förderbänder oder Rohrleitungssysteme -Systeme mit automatischen Dosierern? Eine feste Spur für Kleinfahrzeuge, die jeweils an den daran aufgereihten Ställen vorbei verläuft und Lieferungen bringt, ohne dabei Keime mitzunehmen?

    Welche Rolle spielt der Landwirt bei der Weitergabe von Krankheiten in seinen Tierbeständen von einer Gruppe zur nächsten (vgl. die Rolle der Frauenärzte beim Kindbettfieber)?

  • "Die Liegekisten, die in einem Multifunktionsstall mit angeschlossener Weidefläche den Ruhe- und Liegebereich für die Schweine konstituieren, können auch gleich als Transportkisten für den Weg zum Schlachthof genutzt werden. Abgewandelt aufs menschliche Dasein bedeutete dies: Das Bett wird Sarg." Nö. Der Sarg des Schweins bleibt die Kühltheke, Menschen werden hierzulande nicht im RTW, Taxi oder womit auch immer man an seinen Sterbeort kam beerdigt.



    Das Schwein in einem vertrauten Rückzugsort den letzten lebenden Weg antreten zu lassen, dürfte durchaus beruhigender als Zusammenpferchen im handelsüblichen Viehtransporter sein. Noch nicht ganz beim Ficken erschießen, aber näher dran.