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Tödliche RadunfälleTechnik allein reicht nicht

Kommentar von Stefan Alberti

Der stete Ruf nach dem Abbiegeassistenten verdeckt, dass es keine absolute Sicherheit im Verkehr gibt. Deshalb: bitte auch mehr Vorsicht!

Außenkamera am Bus oder LKW: der Abbiegeassistent Foto: dpa

W ieder eine tote Radfahrerin in dieser Woche, und wieder im Zusammenhang mit einem rechts abbiegenden Auto. Und wieder ist da sofort die Forderung nach dem Abbiegeassistenten, dem elektronischen Warnsystem. Und weil der Bus, um den es dieses mal ging, sogar so ein System gehabt haben soll, soll es eben ein noch ausgeklügelteres sein. Und dann gibt es keine Unfälle mehr?

Allein so zu denken, ist der falsche Weg. Es gaukelt vor, mit mehr Technik jeden Abbiegeunfall ausschließen zu können. Das geht aber nicht. Abbiegeassistenten mögen manchen Unfall vermeiden helfen. Aber es gibt eben Situationen, da hilft das nicht, genauso wenig wie abgepollerte Radstreifen, die protected bike lanes – an irgendeiner Stelle müssen die ja offen sein. Es ist der nachvollziehbare, aber irreführende Wunsch nach absoluter Sicherheit in einem Bereich, der aus Gründen immer gefährlicher wird, die nicht technischer, sondern komplexer gesellschaftlicher Natur sind.

Wie so oft ist auch im Straßenverkehr ein gelegentlicher Perspektivwechsel hilfreich – in diesem Fall vom Fahrradsattel hinter die Windschutzscheibe. Kommt beim Schreiber dieser Zeilen nicht oft vor, passiert aber gelegentlich. Und bei diesen Fahrten gibt es immer mal wieder den Gedanken: Den hättest du jetzt fast nicht gesehen – trotz großer Aufmerksamkeit, weil eben selbst Vielradler. Am leeren, schlecht einsehbaren Radweg vorbei gefahren, an der Kreuzung aufs Abbiegen wartend, nach rechts blinkend – und plötzlich wie aus dem Nichts zieht rechts geradeaus schnell ein Fahrrad vorbei. Ohne nochmaligen langen Schulterblick … gar nicht auszudenken, da hätte auch kein Assistent elektronischer Natur geholfen.

Am Autosteuer sitzen zudem immer mehr ältere Menschen, deren Reaktionsfähigkeit zwangsläufig abnimmt. Und eben auch immer mehr Ego-Shooter. Langsamer werden, wenn ein Hindernis auftaucht? Nein, voll auf die Hupe und Tempo beibehalten. Blinker setzen, Schulterblick – wieso das denn? Das schließt aber gelegentlich auch Radfahrer ein. Man kann natürlich volle Kanne – die Autos fahren ja auch 50 und leider oft mehr! – auf eine unübersichtliche Kreuzung zubrettern und unaufmerksame, im letzten Moment bremsende Autofahrer mit einem „Wie viele sollen denn noch sterben?“ anschnauzen (wie es der Schreiber im Radsattel auch schon getan hat).

Auch im Straßen­verkehr ist ein Perspektivwechsel manchmal hilfreich

Man kann sich aber auch fragen, ob Risiko und Zeitgewinn dabei in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Und keine Frage ist es eigentlich, ob es fair gegenüber Autofahrern ist, im Dunkeln im schwarzen Hoody ohne Licht oder Leuchtweste und vielleicht noch mit Kopfhörer unterwegs zu sein.

Das soll nun nicht heißen, dass (wir) Radfahrer im Sinne von „Der Klügere gibt nach“ dauerhaft zurückstecken, die eigene Vorfahrt abtreten, die Straße rücksichtslosen Autofahrern überlassen sollen, aus purer Resignation. Nein, natürlich sind übersichtlichere Radwege, Radspuren, bike lanes usw. wichtige Dinge, die einiges an Anspannung rausnehmen. Aber wenn eben Rücksichtslosigkeit und Brutalität allerorten wächst – siehe die Attacken auf Feuerwehrleute und Polizisten – dann hilft es in letzter Konsequenz nicht, auf elektronische Systeme zu ­hoffen, sondern nur, immer nochmal selbst genau zu gucken, ob das Auto neben einem nun tatsächlich geradeaus fährt – oder nicht doch abbiegt.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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12 Kommentare

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  • Das Problem ist die wachsende Mobilität, die nicht immer gut begründet ist. Wir müssen endlich akzeptieren, dass technische Fortbewegungsmittel nicht von der Natur vorgesehen sind. Wer sich weniger mit vier- oder zweirädrigen Verkehrsmitteln bewegt, reduziert das Unfallrisiko für sich und andere. Am Ende steht die Vision einer sich zu Fuß bewegenden Gesellschaft.

  • "der aus Gründen immer gefährlicher wird, die nicht technischer, sondern komplexer gesellschaftlicher Natur sind."

    Das halte ich für Humbug. Die Gründe sind ein auf den Automobilismus gerichtetes Verkehrssystem. Oder meint das Komplexe, Gesellschaftliche das bloße Auftauchen von Fahrrädern im Straßenvekehr?

  • Wenn es so gefährlich ist, dann sind 50 km/h wohl einfach zu schnell. Generell Tempo 30 in der Stadt und nur nach Prüfung und Antrag etc. ob's sicher ist 50.



    Ich sitze täglich im Sattel und arbeitsbedingt ab und zu in der stinkenden Kiste und kann nur sagen der stärkere muss auf die schwächeren Rücksicht nehmen, ohne wenn und aber.

  • Ein Kommentar !U N T E R - A L L E R - S A U!



    Unsachlich, inkompetent, von keinerlei Sachkentnis getrübt.



    In der Sache ein wiederliches Victim-Blaming.



    Rechtsabbiege-Unfälle, um die es hier geht, unterscheiden sich ganz erheblich von allen anderen Unfall-Arten.



    Da sind zunächst mal die Opfer: Während der Frauenanteil bei Verkehrsunfällen überall sonst deutlich niedriger ist, als der von Männern, ist es bei den Rechtsabbiege-Unfällen, und praktisch /nur/ bei diesen Unfällen genau anders: Die allermeisten Unfallopfer sind weiblich.



    Und damit ganz offensichtlich eben nicht jene fiktiven Radler, des Kommentar-Narrativs.



    In praktisch allen Fällen haben die betroffenen RadlerInnen dabei -eindeutig- die Vorfahrt.



    Wer solche Unfälle umfänglich und sachlich analysiert, stellt schnell fest, dass die Zusammenhänge bei diesen Unfällen recht komplex sind und es auf jeden Fall genau umgekehrt ist, als der Autor hier in seinem narrativ darlegt:



    Die RadlerInnen werden Opfer, WEIL sie besonders umsichtig fahren.



    Und weil mit der kriminellen Radwegführung: RadlerInnen die geradeausfahren /rechts/ neben LKW / Bussen die /rechts/ abbiegen in eine Falle GEZWUNGEN werden, die für sie tödlich enden kann.

    • @Wagenbär:

      Sorry. Sehe ich gar nicht so.

      Als absoluter Nicht-Autofahrer (habe keinen Führerschein) und Vielradfahrer: ich sehe es als meine Verantwortung, für die anderen VerkehrsteilnemehrInnen sichbar und berechenbar zu agieren (und als Lebenserhaltung, im Zweifelsfall eben nachzugeben).

      Klar kann viel für "uns" verbessert werden, und das sollte es auch.

      Auch aus ganz anderen Gründen sollte es (in der Stadt zuerst) viel weniger Autos geben.

      Kleine Bemerkung am Rande: ich bin auch in anderen Ländern unterwegs gewesen, und der Einfluss der Fahrschulen auf das Fahrverhalten der AutofahrerInnen ist frappant. Da könnte in DE sicher einiges verbessert werden.

      • @tomás zerolo:

        "für die anderen VerkehrsteilnemehrInnen sichbar und berechenbar zu agieren"



        ------------------------



        Genau /das/ haben die typischen Opfer von rechts-abbiegenden LKW gemacht.



        Sie /haben/ sich typscherweise genau an die Verkehrsregeln gehalten. .



        Der Autor versucht hier in seinem Kommentar den Anschein des genauen Gegenteils zu erwecken.



        (Ich vermute, weil er sich überhaupt nicht intensiv mit dem Thema seines Kommentares befasst hat.).



        Wenn der / die Radlerin neben dem LKW bemerkt, dass er /NICHT/ anhält, sondern mit seiner Maschine immer weiter um die Kurve zieht, obwohl der / die RadlerIn daneben ist, ist die tödliche Falle schon zugeschnappt, und es gibt kein Entrinnen mehr.



        Dann ist es für jeden sog. "Verzicht auf die Vorfahrt" zu spät.

        • @Wagenbär:

          Selbstergänzung:



          "Dann ist es für jeden sog. "Verzicht auf die Vorfahrt" zu spät."



          ---------------------------------------------------



          WENN die RadlerIn aber, grundsätzlich bei jedem LKW, der in iherer Richtung in der Nähe fährt grundsätzlich stehenbleibt, dann fährt sie gerade /NICHT/ klar und berechnbar, weil sie sich /anders/ verhält, als es die Straßenverkehrsordnung vorsieht.



          UNd wie soll sich der LKW-Kutscher (es sind meistens Männer) verhalten?



          Ist er defensiv und verhält sich Gesetzeskonform, dann /DARF/ er nicht einfach vor der RadlerIn um die Kurve fahren, sie hat ja Vorfahrt!

    • @Wagenbär:

      Statt weißen Fahrrädern sollten unsrere Fahrradaktivistenden Grabsteine spendieren mit der Inschrift



      SI/E/R HATTE VORFAHRT.

      Rechtsüberholen darf man nur unter besonderer Vorsicht. Und wenn das nicht funktioniert, weil unsere Radfahrer zu blind sind geradeaus zu schauen, zu faul zu bremsen, zu blöd auf den eigenen Kopf aufzupassen, dann wird es Zeit die Vorschrift zu ändern.

      • @Werner S:

        Éin typischer Satz der entweder bewusst boshaft oder in ignoranter Unkentnis Victim-Blaming betreibt.



        Bei jenen rechts-Abbiege-Unfällen werden die meisten Opfer durch die Radwegbenutzungspflicht und durch die Radverkehrs-führung über den Radweg neben den potentiell rechts-abbiegenden LKW / Bus gezwungen oder getrickst.



        Die typischen Opfer sind Personen, die sich sehr defensiv und regelkonform verhalten.



        An vielen Ampeln wird die RadlerIn übrigens auch direkt nach vorne, neben den LKW / Bus gwzwungen, weil es Fahrrad-Grün nur nach Drücken eines Knopfes am Ampel-Mast gibt.



        An vielen Kreuzungen müssen LKW und Busse auch zunächst mit einem leichten Bogen nach links, also in die Gegenrichtung "ausholen", damit auch das Heck des Fahrzeuges in der sog. "Schleppkurve" sicher um die Kurve kommt.



        Dieses "Ausholen" in den Gegenverekehr hinein, wird ebenfals von vielen Opfern dahingehend falsch interpretiert, dass der LKW gar nicht nach rechts abbiegen will.



        Auch das hat NICHTS mit dem wiederwärtigen Unwort "Vorfahrt erzwingen" zu tun.

    • @Wagenbär:

      Haben sie auch Quellen zu ihren Daten?

      Meine Beobachtung als "fast täglich Radfahrer" und "ca. 1 malwöchentlich Autofahrer" decken sich sehr mit der Aussage des Artikelschreibers. Blinkende Autos werden ohne mit der Wimper zu zucken rechts überholt, Rotlichter ignoriert, durch Menschenmengen gefahren. Einen so grossen Egoismus im Stadtverkehr erlebe ich von keinem anderen Verkehrsteilnehmertyp wie von den Fahrrädern.

      Und das sage ich als befürworter von Autofreien Innenstädten, vom Ausbau der Radwege und der Höherbesteuerung des Motorisierten Individualverkehrs.

      • @hawü:

        Es gibt dazu dutzende von Untersuchungen.



        Die kann jedermensch selber "ergoogeln" oder ebend die wiederwärtigen Parolen der Outo-Lobby nachblubbern.



        Wie von mir oben erwähnt wiederlegen alleine die Statistiken über die typischen Opfer jenen Kampf-Parolen.

  • Der Aufruf an alle Straßenverkehsteilnehmer aufmerksamer und vor allem rücksichtsvoller zu agieren ist richtig und würde sicher helfen viele Unfälle zu vermeiden, das gilt für LKW Fahrer, Taxifahrer, PKW Fahrer, Radfahrer und Fußgänger. Allerdings kommt mit mehr Stärke auch mehr Verantwortung: je schneller und schwerer das Fahrzeug umso größer der Schaden den man anrichten kann und darum sollte man auch umso rücksichtsvoller sein anstatt den eigenen Vorteil gegenüber den Schwächeren auch noch auszunutzen. Daher kommt dem LKW Fahrer und dem PKW Fahrer eben doch eine besondere Verantwortung zu, was Fahrradfahrer und Fußgänger nicht davon befreit, sich an die Regeln zu halten und durch aufmerksames Bewegen auch ihren Anteil beizutragen.



    Leider kommt es aber viel zu oft vor, dass PKW Fahrer noch schnell vorm Radfahrer rechts abbiegen oder ihm einfach mal die Vorfahrt nehmen oder mit dem Mobiltelefon hantieren und auf nichts und niemand achten. Das dies nicht viel öfter zu (tödlichen) Unfällen führt, liegt m.E. daran das jeder Fahrradfahrer dem etwas an seinem Leben liegt seine Umgebung permanent scannt und davon ausgeht das sich andere nicht an die Regeln halten (das betrifft explizit auch andere Radfahrer). Alles scannen hat aber seine Grenzen und immer wieder erlebt man auch eine Dreistigkeit mit der man schlicht nicht gerechnet hat. Am schlimmsten sind aber die Zeitgenossen, die ihr Fehlverhalten nicht einsehen und einen bedrohen wenn man ihnen ein Schimpfwort hinterher ruft. Daher sind Verhaltensänderungen der Verkehrsteilnehmer hin zu einem respektvollen und rücksichtsvollen Umgang miteinander der beste Weg, um Unfälle zu vermeiden.



    Technische Hilfen haben aber bei den Fahrzeugen bei denen der Fahrer aufgrund der Größe und Dimensionen des Fahrzeugs sein Umfeld ohne technische Hilfen nicht vollständig überblicken kann durchaus ihre Berechtigung. Dies gilt insbesondere für LKW und Busse für die daher berechtigterweise technische Hilfen gefordert werden.