IHK gegen den Mietendeckel: PR-Kampagne gedeckelt
Auch die IHK wollte gegen den Mietendeckel mobilisieren. Doch schon der Entwurf wurde ein PR-Desaster. Und an einen Erfolg glaubte die IHK auch nicht.
Die hippen Werber:innen der Agentur Scholz & Friends hatten für einen wohl internen Pitch, wie man in dieser Sphäre Vorschläge nennt, nämlich kurzerhand Bilder von Berliner Start-ups und Unternehmer:innen geklaut, um so bei den Entscheider:innen der Industrie- und Handelskammer (IHK) mit einer schmucken State-of-the-art-Präsentation zu glänzen.
Zu sehen waren auf einzelnen Folien unter anderem die in sozialen Medien viel gescholtenen Gründer von Einhorn Kondome sowie die Betreiber:innen des offenbar bei Werber:innen angesagten Brauhaus-Biergartens Brlo Brwhouse am Gleisdreieck. Abgebildet waren die erfolgreichen Jungunternehmer:innen jeweils neben dem geplanten Leitspruch der Kampagne: „Berlin bleibt frei – wenn wir Unternehmern nicht die Unternehmenslust nehmen“ oder „wenn der Sozialismus im Museum bleibt“. Auch eine Betreiberin eines Fahrradladens in Friedrichshain stand ungefragt Modell.
Wäre die Präsentation intern geblieben, hätte die IHK wohl auch kein Problem gehabt. Richtig blöd war allerdings, dass sie frei zum Download auf der eigenen Website stand. Findige Menschen auf Twitter – wie etwa Fabio Reinhardt, selbst als Unternehmer Mitglied bei der IHK – veröffentlichten die streng auf den Terminkalender für den Mietendeckel und das Enteignungs-Volksbegehren zugeschnittene PR-Kampagne nebst den Bildern der Entrepreneure aus dem Berlin-Mitte-Kosmos und dem Kostenplan in Höhe von 500.000 Euro. Der taz liegt die Präsentation ebenfalls vor.
Testimonial wider Willen
Die Aufregung war vorprogrammiert: Denn laut dem Entwurf sprachen sich auch die aktuellen Lieblingsfeinde der linken Blase – die Kondomhersteller Einhorn, Mitinitiator:innen des viel kritisierten Petitions-Events im Berliner Olympiastadion – gegen eines der größten Mobilisierungsthemen der Linken aus: die Regulierung von Wohnraum.
Die Firma widersprach allerdings umgehend: Markus Wörner von Einhorn Kondome sagte am Dienstag zur taz: „Ich war da heute Morgen ähnlich überrascht wie alle anderen.“ Die Firma unterstütze weder diese Kampagne noch ihr Anliegen. „Wir sind nicht Teil davon, und wenn wir gefragt worden wären, hätten wir nicht mitgemacht.“
Beim Brauhaus Brlo war man ähnlich überrascht: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von ‚Berlin bleibt frei‘“, heißt es auf Nachfrage. Zum Mietendeckel wollten sich beide Unternehmen nicht äußern.
Regulierung Mit dem sogenannten Mietendeckel will der rot-rot-grüne Berliner Senat den teuer und knapp werdenden Wohnraum regulieren. Die Mieten sollen fünf Jahre lang eingefroren, Wuchermieten gesenkt werden können.
Streit FDP und CDU haben bereits Klagen angekündigt. Juristische Gutachten zum Deckel fielen stark unterschiedlich aus. Strittig ist, ob Berlin als Land überhaupt Wohnraum regulieren darf, und wenn ja, inwieweit. Nach Verabschiedung des Gesetzes könnten Verfassungsgerichte Klarheit bringen – das kann allerdings Jahre dauern.
Zeitplan Am heutigen Mittwoch beginnt die Diskussion in den Fachausschüssen des Abgeordnetenhauses. Am 30. Januar soll das Gesetz verabschiedet werden. (gjo)
Umgehend folgten viele kleinlaute Entschuldigungen der IHK: „Die abgebildeten Personen waren nur beispielhaft platziert und wurden daher nicht um Zustimmung gebeten. Die Veröffentlichung war unser Fehler, und dafür entschuldigen wir uns vielmals.“ Die Präsentation habe man umgehend aus dem Netz genommen.
Claudia Engfeld, Sprecherin der IHK, sagte der taz: „Diese Bilder hätten niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen.“ Wie es denn dazu gekommen sei? Nun ja: Die Mitglieder hätten im Juni 2019 beschlossen, eine Kampagne gegen Mietendeckel und Enteignungen zu machen. Man habe mehrere Agenturen eingeladen und dann diese Präsentation in der IHK-Vollversammlung den Mitgliedern gezeigt. Mit den Protokollunterlagen sei sie versehentlich veröffentlicht worden.
Mittlerweile habe die IHK die PR-Kampagne allerdings wieder beerdigt, sagt Engfeld – und zwar komplett. Im Oktober und November sei man im Präsidium zum Ergebnis gekommen, dass die Kosten der Kampagne in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würden. Vergangenen Freitag sei sie schließlich vollends verworfen worden.
Mit dieser Einschätzung hat Engfeld wohl recht: Es wäre nicht die erste eher wirkungslose PR-Kampagne gegen den Mietendeckel gewesen. Es gab bereits das Bündnis „Mut Stadt Wut“, dazu bezahlte Unterschriftensammler*innen der wirtschaftsnahen Initiative „Neue Wege für Berlin“ und eine krude Vermieter-Demo Anfang Dezember, auf der gemeinsam mit Baufirmenchefs auch deren angestellte Handwerker:innen demonstrierten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an