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Crowdfunding für BürgerversammlungLinke in Shitstorm-Modus

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Nach dem erfolgreichen Crowdfunding erfährt das Petitions-Event im Olympiastadion vor allem Spott. Die Kritik ist überheblich und unsolidarisch.

Schlimmer Ort: Wie können die nur!? Foto: dpa

W eihnachten ist für viele die Zeit, sich von ihrer hässlichen Seite zu zeigen, rechthaberisch, überheblich, unnachgiebig. Auch linke und progressive Kreise haben die Gelegenheit dieses Jahr nicht ungenutzt verstreichen lassen. Hatte man die Tiraden des Nazi-Onkels beim Weihnachtsessen noch mit einem Kloß im Hals ignoriert, hieß es spätestens beim Blick auf Twitter: Feuer frei!

Der Anlass: Das Crowdfunding des Berliner Ablegers von Fridays for Future und des Kondomherstellers Einhorn für eine BürgerInnen-Versammlung im Berliner Olympiastadion hatte am Heiligabend Erfolg. 1,8 Millionen Euro waren auf den letzten Drücker zusammengekommen, damit im Juni 2020 bis zu 90.000 Menschen parallel über Petitionen abstimmen können.

Die Reaktionen darauf waren vernichtend: Das Ende der Demokratie sei nah, verkauft an ein Hipster-Start-up, missbraucht für ein Event vor Nazikulisse. Ein Festival privilegierter Weißer, die Geld verschwenden und Teilhabe vorgaukeln. Der Nazi-Onkel wird sich gefreut haben über die Vehemenz, mit der Linke das Projekt bekämpfen. Ohne Zwischentöne, ohne den Versuch – auch berechtigte –, Kritik solidarisch zu formulieren, ohne die Idee, sich selbst mit sinnvollen, ja radikalen Petitionen einzubringen. Als gäbe es nichts Schlimmeres, als konkrete Forderungen für mehr Klimaschutz und Demokratie unter großer Aufmerksamkeit zu verhandeln.

Eben erst hat Fridays for Future die Dauerdemos eingestellt, weil sich politisch doch nichts bewegt; auch andere Aktionsformen sind ausgelatscht. Das Petitionsfestival eröffnet dagegen die Möglichkeit, weiterhin öffentlich über mehr als AfD-Themen zu sprechen. Die bislang 25.000 SpenderInnen wollen sich einbringen; für Linke könnte das eine Chance sein. Viele haben mehr gezahlt, damit auch Menschen ohne Geld teilhaben können. Und trotz der reißerischen Kommunikation der OrganisatorInnen werden sie wissen, dass Petitionen politische Arbeit nicht ersetzen. Ein Schaden ist weder für die Demokratie noch für soziale Bewegungen zu erwarten. Anders als durch fehlende (kritische) Solidarität.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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19 Kommentare

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  • Grauenhafter Kommentar, der mit allerlei Falschbehauptungen aufwartet.

    Ich habe weder einen Nazi-Onkel (selbst mein Opa war während des Krieges 7 Jahre alt) noch hat dieses Event etwas mit "Demokratie" zu tun.

    Wenn Turbokapitalisten die Klimabewegung vereinnahmen und zum "Mach mal Platz" zwingen, ist keine Solidarität angebracht, sondern heftiger Protest.

    Herr Peter scheint kein bisschen die Tragweite zu begreifen, wie mit solchen Events Protest ausgebremst und vereinnahmt werden soll.

    So wie Autokraten heute die Selbstironie als Waffe gegen Kritiker verwenden und diese letzte Möglichkeit des Widerstand stumpf machen, so ist der Kapitalismus gerade dabei, den Protest zu verwenden und diese Waffe dabei stumpf zu machen.

    Der Kapitalismus erfindet sich immer wieder neu. Wer dieses Event verharmlost, dem unterstelle ich grenzenlose Naivität.

  • Wir streicheln den Kapitalismus zu Tode - Wenn wir erst mal Plenen eingerichtet haben zu jedem Teilaspekt und alles durchdiskutieren, wird sich der Kapitalismus aus Einsicht in die Notwendigkeit ergeben und es werden Genossenschaften geboren aus der Asche des Vormaligen. And so on.



    Wir perpetuieren durch permanente Petitionierung die Prekariesierung des Proletariats hin zur progressiven Prolongation der Partizipation!

  • Die paar Extralinken sind doch nur neidisch.

  • Die Betreiber dieses Events sind einfach selbst völlig überheblich. Jegliche Kritik wird Schlicht ignoriert. Ebenso die Vorschläge um daraus eine tatsächlich politisch nützliche Veranstaltung zu machen. Es ist ein schönes Demokratietheater der Prenzelberger das allerhöchstens dazu dient den Leuten Illusionen in den Status Quo zu machen. Politik und Lobby freuen sich über die Steilvorlage. Realitätsfremd. Protzig. Dekadent. Zynisch gegenüber denen die unter der aktuellen Situation leiden. Aber die sind in der Paywall und Eventdemokratie ja ohnehin ausgesperrt

    • @Oskar:

      Absolut richtig. Linke Gruppen kündigen schon Blockaden an.

      Ich war immer mit FFF Berlin auf der Straße. Aber wenn Luisa Neubauer (von FFF Berlin und zugleich FFF Deutschlands prominentestes Gesicht) dort auftreten wird, dann werde ich das Olympiastadion auf der Seite der Linken mit Sitzblockaden versperren.

      Das ganze Ding ist eine Absprache zwischen dem Einhorn-Gründer Philip Siefer und Luisa Neubauer. Der hatte sich bei ihr schon im Mai 2019 eingeschleimt. Philip Siefer ist das verkannte Genie in diesem Streich. Er weiß, wie man den Kapitalismus neu erfindet und sieht dabei so harmlos und nett aus wie ein Weltverbesserer-Hipster.

  • Ja die "Linke", zumindest einige von ihr, akzeptieren Engagement nur, wenn es nach ihren eigenen engen Spielregeln läuft - und mindestens antikapitalistisch systemverändernd sein muss.



    Die "Linke" - wer ist das überhaupt, wer definiert, wer dazu gehört und warum sprechen sie sich dauernd gegenseitig ab "links" zu sein?

    • @Hans aus Jena:

      Sie begreifen nicht das Problem. Der "grüne Kapitalismus" ist und bleibt ein umwelt- und menschenzerstörendes System.

      Kapitalismus ist an Wachstum gekoppelt. Wachstum ist an Umweltzerstörung gekoppelt. Profit geht IMMER vor.

      Ich bin gar nicht besonders links und habe bei den FFF-Demos immer mitgemacht. Aber wenn Luisa Neubauer im Stadion auftreten wird, werde ich mit anderen Linken das Stadion blockieren.

      Scheinlösungen sind keine Lösungen, sie sind und bleiben Teil des Problems und verschärfen es!

    • @Hans aus Jena:

      Ich würde mal auf die sogenannte Interventionistische Linke tippen oder eine Kleinstpartei mit einem Sitz im Frankfurter Stadtrat.



      Erstere war letztens so angepisst weil sich XR sich von denen distanzierte wegen der „Fuck Cops“ Geschichte.

  • Ich empfinde diese Veranstaltung auch als sehr merkwürdig. Die Idee war gut – die Umsetzung jedoch zeigt, dass die Veranstalter doch zu sehr Kinder dieser Gesellschaft sind und Schwierigkeiten haben, sich davon frei zu machen. Wie wir alle, natürlich. Kritik ist angebracht – nervöser Shitstorm muss nicht sein.

  • ich schließe mich @flocki1901 an.



    Petitionen sind nicht die adäquate Form der Äußerung absolut bekannter unzweifelhafter Notwendigkeiten.



    Die Crowd sollte mMn auf die Straßen vor die Orte der Macht, diese möglichst blockieren, und nicht sich selbst in eine Arena ghettoisieren.

    • @Sascha Gesang:

      Petitionen sind aber die einzige Form, mit der der Bürger das Parlament zwingen kann, sich minimal mit absolut bekannten unzweifelhaften Notwendigkeiten zu beschäftigen. Mindestens über eine Ablehnung muss dann ein Ausschuss nachdenken.

      • @LeSti:

        Nein. Das geht mit tatsächlichem Protest deutlich besser.

        • @Oskar:

          Man sieht ja täglich wie "gut" das mit dem "Protest" funktioniert.

  • Danke endlich mal eine vernünftige Meinung zu dem Thema. Das gezeter über diejenigen die etwas wollen und auch etwas dafür tun von Leuten die nur wütend vor ihrem computer oder Handy sitzen ist bloß stumpf, faul und heuchlerisch.

    • @Holzi Momo:

      Heuchlerisch und stumpf finde ich Versprechen von Veränderungen in Lichtgeschwindigkeit und „Lösungen für die größte Krise des Planeten für 29.95 Euro“. Was soll sowas denn?



      Das sind falsche Versprechen, Petitionen werden das nicht erreichen. Das Event wird nur Enttäuschung produzieren und es ist wichtig sich davon zu distanzieren. Sich über die Leute Lustig zu machen ist aber natürlich nicht nett.

    • @Holzi Momo:

      Die Hauptkritik bezieht sich auf den Veranstaltungsort (warum machen wir das ganze denn nicht auf dem Tempelhofer Feld oder im Treptower Park), die Veranstaltung durch ein Unternehmen mit Profitinteressen und die Summe. Für 1,8 Millionen ließe sich zum Beispiel ein soziales Wohnprojekt realisieren oder noch ganz andere Dinge. All diese Kritikpunkte gab es und nichts davon ist unsolidarisch

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Ein Schaden ist weder für die Demokratie noch für soziale Bewegungen zu erwarten. Anders als durch fehlende (kritische) Solidarität."

    Und was bedeutet in diesem Fall (kritische) Solidarität?

    "Ich finde die Idee zwar bescheiden, aber das sage ich nicht laut und unterstütze die Sache trotzdem"

    Ich will ja nicht schuld dran sein, wenn die Chose in die Binsen geht. Obwohl mir schwant, dass es darauf hinausläuft.

  • Ich kann diesen Kommentar nicht im Ansatz nachvollziehen, und er ist schon gleich im ersten Satz eigentlich eine bodenlose Frechheit. Es gab von Anfang an berechtigte Kritik und auch konstruktive Vorschläge, z.B. das Abhalten in mehreren Städten auf freien Flächen (Stichwort "Tempelhofer Feld"). Soviel zu "ohne Zwischentöne" und "ohne sich einzubringen". Fakt ist, dass das Ding seitens der Betreiber durchgezogen werden soll und allerhöchstens minimale Kompromisse eingegangen werden und auch eingegangen werden können, weil schon das Grundprinzip grundfalsch ist. Berechtigte Kritik daran wird entweder ignoriert oder - auch seitens der Befürworter - als übertrieben abgetan. Machen wir uns nichts vor: Hier wurde eine Bewegung durch ein Startup instrumentalisiert und populäre Köpfe von #FFF tragen daran die Schuld.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @flocki1901:

      Danke für die Informationen. Wusste ich alles nicht.

      Der Artikel zeichnet sich durch Lobhudelei einerseits und Attacken gegen Kritiker andererseits aus.

      Und wie Sie schreiben, gab es ja konstruktive Kritik.