Polizeibeauftragter für Berlin: Visier hoch!
Endlich: Berlin bekommt einen Polizei- und Bürgerbeauftragten. Er soll der unabhängigste im ganzen Land sein, heißt es aus der Koalition.
Der oder die Beauftragte soll AnsprechpartnerIn für BürgerInnen und BeamtInnen sein, die Missstände anzeigen wollen bei der Polizei oder anderen staatlichen, zum Eingriff in Grundrechte befugten Behörden, etwa im Bereich Psychiatrie oder Jugend. „Dieser Polizei- und Bürgerbeauftragte wird bundesweit der unabhängigste sein“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, zur taz.
Anders als der Polizeibeauftragte in Rheinland-Pfalz oder der Bürgerbeauftragte in Baden-Württemberg soll der Berliner Beauftragte auch während laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aktiv werden dürfen, etwa gegen einen Polizisten, der im Verdacht steht, DemonstrantInnen geschlagen zu haben. „Ersuchen an den Senator oder die Polizeipräsidentin, Befragungen von Verdächtigen und Zeugen, Stellung beziehen – all das gehört zu seinen Rechten“, so Lux.
Akteneinsicht während eines laufenden Verfahrens wird er allerdings nur nehmen können, wenn die Behördenleitung zustimmt. Bei einem Strafverfahren wäre das der Justizsenator, bei einem Disziplinarverfahren der Innensenator.
Kein Grußonkel
Der Beauftragte soll unabhängig von der Polizei agieren können und wird daher dem Parlament zugeordnet. Niklas Schrader, Innenpolitiker der Linksfraktion, sagte der taz: „In dieser Kombination aus kompletter Unabhängigkeit und Befugnissen gab es das noch nie.“ Der Polizeibeauftragte solle „kein Grußonkel sein, sondern handfest ermitteln dürfen“.
Eine konkreten Personalvorschlag für den Posten gibt es noch nicht, sagte Lux. Auch über die Ausstattung, etwa die Zahl der MitarbeiterInnen, sei noch nicht gesprochen worden. Im laufenden Haushalt waren von der Koalition bereits 200.000 Euro bereitgestellt worden.
BürgerrechtlerInnen etwa von Amnesty International (pdf) fordern seit Langem die Einrichtung eines Polizeibeauftragten. Der UN-Menschenrechtsrat hat eine unabhängige Kontrolle der Polizeiarbeit in Deutschland mehrfach angemahnt. Immer wieder kommt es auch in Berlin zu Missständen im Polizeiapparat oder Fällen von Polizeigewalt.
So hatten sich im Oktober DemonstrantInnen gegen eine Nazi-Kundgebung in der Rigaer Straße über ein überhartes Vorgehen der PolizistInnen beschwert. Dabei wurde etwa ein Mann mit gebrochenem Bein rücksichtslos festgenommen und über den Boden geschleift. Viele Betroffene sehen von Anzeigen gegen PolizistInnen ab, aus Angst vor einer Gegenanzeige wegen Widerstands.
Langes Gezerre
Obwohl die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016 fest vereinbart ist, ging der Einigung ein langes Tauziehen voraus. Die SPD machte ihre Zustimmung von einer Verschärfung des Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) abhängig. Konkret geht es dabei um Dinge wie die Einführung der elektronischen Fußfessel für Gefährder, den finalen Rettungsschuss für die Polizei, die Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr. Wegen andauernder Terrorgefahr müssten die Befugnisse der Polizei erweitert werden, so die Begründung.
Ein Jahr steckte der Karren fest. Der Vorschlag, den unabhängigen Polizeibeauftragten nun gesondert und vor den anderen Vorhaben durchs Parlament zubringen, kam dem Vernehmen nach von der SPD-Fraktion und Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Aber nicht nur beim Polizeibeauftragten hat sich die Koalition geeinigt. Auch beim Versammlungsgesetz und beim Abstimmungsgesetz, zwei weiteren großen innenpolitischen Baustellen soll es nach taz-Informationen einen Kompromiss geben.
Beim Abstimmungsgesetz geht es unter anderem um die Fristen im Vorfeld von Volksentscheiden, beim Versammlungsgesetz etwa um die Frage der Vermummung bei Demonstrationen. Allerdings drängt Innensenator Geisel laut Koalitionskreisen auch auf einen Kompromiss beim Asog, bei dem die Positionen vor allem von SPD und Linken noch weit auseinander liegen. So lange beim Asog keine Einigung bestehe, werde auf Druck der SPD auch der Kompromiss in den beiden anderen Feldern nicht umgesetzt, heißt es.
Der innenpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann, dementierte das gegenüber der taz: „Es gibt kein Junktim, wir arbeiten die Punkte in der vorgesehenen Reihenfolge ab.“ Das Asog sei als letztes dran. Wie aus Senatskreisen verlautet, erwartet man von den Koalitionspartnern nun aber auch ein gewisses Entgegenkommen.
Dazu sagte der Grüne Lux: „Ich bin vorsichtig optimistisch, im Fall des Asog bald zu einer Einigung zu kommen, die die Bürgerrechte und Sicherheit im Blick hat.“ Auch der Linkenpolitiker Niklas Schrader gab sich in Sachen Einigung optimistisch – „Das gilt auch für das Asog.“
Aktualisierte Fassung: 27.11.19, 17.25 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal