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Auseinandersetzung unter KollegenG20-Polizist angeklagt

In Hamburg steht ein Polizist wegen Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung im Amt vor Gericht. Der Geschädigte ist ein Kollege.

Polizist*innen vor der Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg am 24. Juni 2017 Foto: dpa

Hamburg taz | Fast zweieinhalb Jahre nach dem G20-Gipfel beschäftigen die Vorkommnisse in Hamburg noch immer die Gerichte. Am Mittwoch begann der erste Prozess gegen einen Polizeibeamten in diesem Zusammenhang. Allerdings steht der Beamte nicht wegen eines Übergriffs auf eine*n Demonstrant*in vor Gericht. Es geht stattdessen um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Polizisten, bei der einer der beiden leicht am Finger verletzt wurde.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Polizisten Klaus M. aus Minden Nötigung und fahrlässige Körperverletzung im Amt vor. In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2017 war M. in der Gefangenensammelstelle (Gesa) Neuland im Einsatz. Dort traf er im Hofbereich auf einen Kollegen der Hamburger Polizei. Dieser trug sichtbar am Oberschenkel eine Flasche Pfefferspray, etwa so groß wie ein kleiner Feuerlöscher.

Laut der Anklageschrift soll M. den Hamburger Polizisten „kraftvoll“ mit dem linken Arm am Oberkörper gegen ein Fahrzeug gedrückt und mit der rechten Hand so kräftig am Holster der Sprayflasche gezogen haben, dass es aufging und er die Flasche nehmen konnte. Der Hamburger Polizist soll dabei eine schmerzhafte Bänderdehnung am kleinen Finger erlitten haben.

Eigentlich hätte der Fall schon erledigt sein können. Denn in einem vereinfachten Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen M. erlassen. Das Gericht stimmte diesem zu. Demnach sollte M. eine Verwarnung mit Strafvorbehalt erhalten. Hätte er sich in den folgenden zwei Jahren etwas zu Schulden kommen lassen, hätte er 4.000 Euro zahlen müssen.

Waffenfreie Zone in der Gesa

M. legte jedoch Einspruch dagegen ein. Deshalb kam es nun zum Prozess gegen ihn. Die Tat streitet er nicht ab. Er fühlt sich aber trotzdem zu Unrecht beschuldigt, wie am ersten Prozesstag mehrfach deutlich wurde.

Alle Polizist*innen, die in der Gesa eingesetzt waren, trugen zivile Kleidung und gelbe Westen, um als Polizist*innen erkannt werden zu können. Gegenüber M. sei gesagt worden: Wer eine gelbe Weste trägt, darf keine Waffen tragen. Der Hamburger Polizist habe eben eine gelbe Weste und auch Pfefferspray, also eine Waffe, getragen.

M. habe ihn auch gesehen, wie er mit dem Pfefferspray in Bereiche ging, die als waffenfreie Zone galten und durch Schilder als solche markiert waren. Außerdem habe der Hamburger Kollege die Sprayflasche vor einem Container der Gesa abgenommen und einer Kollegin gezeigt.

Herr M. ist Polizeibeamter, ein Profi für Sicherheit. Ich glaube nicht, dass es ein Missverständnis war

Polizist aus Hamburg, der sich beim G20-Gipfel verletzte

Der Mindener Polizist berichtet vor Gericht, er habe den Hamburger angesprochen und ihm gesagt, er wolle ihn mit dem Pfefferspray nicht mehr sehen. Außerdem habe er seinem Vorgesetzten davon berichtet. Als er den Hamburger Polizisten eine halbe Stunde später wiedergesehen habe und der immer noch das Pfefferspray trug, habe er es ihm abgenommen.

Er habe gedacht, sein Vorgesetzter habe den Mann nicht gefunden, um die Sache zu klären. Als der Vorgesetzte ihm später gesagt habe, er müsste sich entschuldigen, habe er abgelehnt. Er könne sich nicht dafür entschuldigen, seinen Auftrag erfüllt zu haben, habe er geantwortet.

Schon diese erste Erklärung des angeklagten Polizisten sorgt für Unmut bei der Richterin und der Staatsanwältin. Denn dass der Vorgesetzte möglicherweise ein relevanter Zeuge sein könnte, ist beiden neu. „Warum erfahre ich das erst jetzt?“, fragt die Richterin. Ihre Kritik richtet sich an den Verteidiger. Mehrfach habe dieser eine Stellungnahme seines Mandanten angekündigt, aber es sei nichts gekommen. Außerdem habe sie wiederholt versucht, ihn zu erreichen, aber er habe nicht zurückgerufen.

M. wiederum kritisiert die Ermittlungen gegen ihn. „Ich habe mich nicht wohl gefühlt, wie ich die Akten gelesen habe“, sagt er. Er sei selbst Aktenführer und es sei nicht tief genug ermittelt worden. „Vielleicht hätten Sie sich mal äußern sollen, wir können das nicht erträumen“, sagt dazu die Staatsanwältin. Sie weist zudem darauf hin, dass M. dem Hamburger das Spray in einem Bereich abgenommen habe, in dem es kein Waffenverbot gab.

Auch der geschädigte Hamburger Polizist sagt zum Prozessauftakt vor Gericht aus. Dass er die waffenfreie Zone mit dem Spray betreten hat, streitet er ab. Seinem Kollegen M., der ihm gegenüber verbal aggressiv gewesen sei, habe er im ersten Gespräch gesagt, dass er das Spray tragen dürfe. „Ich fand das auch ein bisschen unprofessionell alles“, sagt er. Kein anderer Kollege habe ihn auf das Pfefferspray angesprochen.

„Für mich stellt sich das als Missverständnis dar“, folgert M.s Verteidiger. Er betont immer wieder, es habe offenbar ungenaue Anweisungen seitens der Vorgesetzten gegeben, wer nun wo Waffen und gelbe Westen tragen dürfe und wer nicht. Für den Hamburger Polizisten ist das kein Argument: „Herr M. ist ein Polizeibeamter, ein Profi für Sicherheit“, entgegnete er. „Ich glaube, das war kein Missverständnis.“ Weil sich M. zu keinem Zeitpunkt entschuldigt habe, glaube dieser offenbar, richtig gehandelt zu haben.

M.s Verteidiger fragt, ob der Hamburger Interesse an einem klärenden Gespräch habe. „Das kommt zwei Jahre nach der Tat sehr spät“, entgegnet der Beamte. Er habe das Gefühl, das Angebot komme jetzt, wo es schlecht für M. laufe.

Polizist berichtet von uneinsichtigem Kollegen

Bei der Staatsanwältin sorgt das Vorgehen des Verteidigers immer wieder für Unmut, sie wirft ihm vor, „Rauchbomben“ zu werfen. Die Richterin nennt seine Vorhalte gegen die Ermittler*innen „teilweise pro­blematisch“.

Ein weiterer Polizist, der die Szene beobachtete und beim Leiter der Gesa gemeldet hatte, sagt aus, dass M. sich vor Ort wenig einsichtig gezeigt habe. Selbst als der Gesa-Leiter ihm gesagt habe, dass der Hamburger Polizist das Spray rechtmäßig trug, sei M. sein eigenes Verhalten nicht unangenehm gewesen.

Bisher sind zwei weitere Prozesstage angesetzt, weitere Zeugen sollen noch aussagen. Auch der bisher unbekannte Vorgesetzte des Angeklagten soll vorgeladen werden.

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10 Kommentare

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  • "'Vielleicht hätten Sie sich mal äußern sollen, wir können das nicht erträumen', sagt dazu die Staatsanwältin."

    Die Dame scheint eine eigenartige Auffassung zum Schweigerecht des Betroffenen zu haben.

  • taz: "Allerdings steht der Beamte nicht wegen eines Übergriffs auf eine*n Demonstrant*in vor Gericht. Es geht stattdessen um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Polizisten, bei der einer der beiden leicht am Finger verletzt wurde."

    Um was sollte es auch sonst gehen? Erst vor Kurzem hat sich die Polizei in Hamburg beim Klimastreik auch wieder mit "Ruhm" bekleckert, als sie Minderjährigen bei der Räumung von Sitzblockaden den Kopf verdreht und die Finger umknickt haben (siehe den folgenden taz Artikel).

    **Hamburgs Polizei wird für ihr hartes Vorgehen bei der Räumung von Sitzblockaden beim Klimastreik kritisiert. Die Behörden verteidigen den Einsatz.** taz.de/Polizeieins...lockaden/!5624980/

    Die Hamburger Polizei, dein 'Freund und Helfer'. Die können anscheinend nur noch Falschparker aufschreiben und kleinen 16-jährigen Mädchen, die gegen den Klimawandel protestieren, die Finger umdrehen. Wenn man sich das Video auf Twitter anschaut, dann wird einem echt übel. Das sind also die Polizisten, die uns Bürger eigentlich schützen sollten. Wird das für die Hamburger Polizei Konsequenzen haben, dass sie gegen minderjährige DemonstrantInnen hart vorgegangen ist? Wohl kaum! Wenn die 'Damen und Herren Polizeibeamte' aber selbst verletzt werden, und dann auch noch von einem anderen Polizisten, dann ist das Geschrei auf einmal sehr groß.

  • "Kein anderer Kollege habe ihn auf das Pfefferspray angesprochen."

    DAS ist das wahre Problem!

  • „Herr M. ist ein Polizeibeamter, ein Profi für Sicherheit“

    Klar doch! Gerade die Polizei im Mindener Land ist ja für ihre Professionalität berüchtigt. 2012 wurde in Minden das Fluchtfahrzeug eines Mannes, der seine 13-jährige Tochter erschossen hatte, während eine Polizeistreife vor dem Haus für ihre Sicherheit sorgte, aufgefunden und sichergestellt. Erst der spätere Käufer dieses Autos fand dann im Fußraum die Tatwaffe, nach der überall lange vergeblich gesucht worden war.

    www.sg-mittelweser...7002685-21550.html

    • 0G
      08069 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      Grundsätzlich muss ich Ihnen Recht geben, im Hinblick auf die Professionalität.



      Das mit der Waffe im Auto ging aber seinerzeit auf das Konto der Nienburger Polizei, also im angrenzenden Niedersächsischen Landkreis, wo sich auch die Tat ereignet hatte.

      Was ich hier wie so oft vermisse, ist eine neutrale Sichtweise. Was die beiden Spezialisten im Sachverhalt da ausgefochten haben, zeigt ja ziemlich deutlich, mit wieviel Verstand offenbar beide zu Werke gingen.



      Mit Professionalität hat das nichts zu tun. Es ist albern, albern wie das Gezänk unter Grundschülern.

      • @08069 (Profil gelöscht):

        Jein! Das Fluchtfahrzeug wurde damals doch von der Mindener Polizei in der Mindener Altstadt ca. 30 km von Stolzenau entfernt aufgefunden und sichergestellt, bevor es an die Nienburger Behörden überstellt wurde. Das tut sich im Ergebnis unterm Strich doch alles nichts.

        • @Rainer B.:

          Ermittlungen gab es anscheinend tatsächlich nur gegen die Erkennungsdienst-Spezialisten der Nienburger Polizei. Wenn mich meine Erinnerung nicht sehr täuscht, war aber auch die Mindener Polizei damals arg in die öffentlichen Kritik geraten, die die Waffe ja schon bei einer ersten Sichtprüfung nicht bemerkt hatte.

          www.weser-kurier.d...-_arid,392916.html

  • Ach was, der erste und einzige angeklagte Polizist und es ist - oh Wunder - gerade der, der seinen Kollegen anscheinend etwas zu sehr auf die Finger geguckt hat.

    Nur nochmal zur Erinnerung an die Zustände in der Gefangenensammelstelle:

    "Dummerweise verwechselte die Polizei aufgrund eines Übertragungsfehlers des Kennzeichens den Bus und hielt seine bunt gekleideten InsassInnen – neben Falken auch Mitglieder der Grünen Jugend, der DGB-Jugend und der Alevitischen Jugend, darunter auch mehrere Minderjährige – für gefährliche gewaltbereite Autonome.

    Die Folge: Der Falken-Bus wurde noch auf der Autobahn abgefangen. Ohne Angaben von Gründen wurden die jugendlichen DemonstrantInnen in die GeSa gebracht. Dort wurden sie einzeln abgeführt, meistens im festen Griff von jeweils zwei Beamten. Mehrere mussten Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Einige mussten sich dafür splitternackt ausziehen, andere bis auf die Unterhose. Bei den Toilettengängen mussten bei allen die Türen offen bleiben. Die Kontaktaufnahme zu einem Anwalt wurde ihnen verweigert. „Sie können ja später klagen“, beschied ein Polizist dem konsternierten Paul Erzkamp.



    Gut vier Stunden dauerte der unfreiwillige Aufenthalt. Dann bemerkte die Polizei – wohl auf Intervention führender Hamburger SPD- und Grünen-PolitikerInnen – ihren peinlichen Irrtum. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft."



    taz.de/Nachwirkung...-Gipfels/!5438369/

    • @Tobsen:

      " Wie war denn die Situation in der Gefangenensammelstelle?

      Wir waren zwar nur in den Sprechräumen, haben aber Berichte von unseren Mandant*innen gehört. Von Nacktdurchsuchungen haben uns ganz viele berichtet. Außerdem davon, dass sie nicht schlafen konnten, weil immer das Licht an war; dass in halbstündigen Abständen gegen die Tür gepoltert wurde oder jemand rein kam mit der Begründung einer sogenannten Lebendkontrolle.

      Das klingt nach Schikane.

      Könnte man so sagen. Teilweise haben wir auch beobachtet und uns wurde berichtet, dass Leute sehr hart angefasst wurden und mit schmerzhaften Polizeigriffen geführt wurden. Teilweise haben Beamte sie auch beschimpft oder sich über sie lustig gemacht.

      Gab es denn genug zu Essen?

      Viele haben berichtet, dass die Versorgung mit Essen unzureichend war, dass sie nur sehr wenig bekommen haben, nur auf Nachfrage und nur in sehr großen zeitlichen Abständen. Eigentlich sind diese Zellen auch nicht dafür geeignet, dass die Gewahrsamnahme so viele Stunden dauert. In den Zellen gab es nicht mal ein Bett. Man konnte nicht richtig schlafen."



      taz.de/Anwaeltin-H...20-Knast/!5425027/

      • @Tobsen:

        "Wie würden Sie die Bedingungen in der Gesa beschreiben?

        Man musste nach allem fragen, man bekam nichts einfach so. Ich habe die ersten 14 Stunden nichts außer Wasser und zwei oder drei Knäckebrote bekommen. Auch meinen Anwalt konnte ich erst gegen Mittag sehen, obwohl die ganze Zeit auch Juristen des anwaltlichen Notdienstes vor Ort waren, die aber nicht zu den Gefangenen gelassen wurden.

        Waren Sie die ganze Zeit in einer Zelle?

        Ich war kurz alleine in einer Sammelzelle. Die Gesa, die ja für 400 Leute ausgelegt war, war nur etwa zur Hälfte gefüllt. In der Zelle habe ich es nicht ausgehalten. Die Situation war emotional total heftig für mich. Ich war erschöpft, habe nicht geschlafen und wollte einfach nicht alleine sein. Dann haben sie mich irgendwann auf Bitten hin mit einem Italiener in eine Zelle gelassen. Der Mann wusste überhaupt nicht, was mit ihm geschieht. Ich habe ihm dann vieles erklärt. Die Beamten haben großteils kein Englisch gesprochen. Deshalb lag er stundenlang ohne Decke auf dem Boden und hatte nichts zu essen bekommen."



        taz.de/Behandlung-...-bei-G20/!5426782/