piwik no script img

Der Osten und die MedienlandschaftAm Grill der deutschen Einheit

Wie sieht es mit der Ost-West-Diversität bei (öffentlich-rechtlichen) Medien aus? Könnte besser sein, aber es gibt auch Positives zu berichten.

Ein ganz gewöhnlicher Imbiss in Hamburg Foto: dpa

S o kurz vor dem Geburtstag der friedlichen Revolution wird die Debatte wieder virulent: Über Wessis und Ossis und was uns nach drei Jahrzehnten immer noch trennt. „Wir brauchen beim Grillen keine Schischi-Wessi-Sachen wie Calamaretti, uns reichen Wurst und Brätel“, hatte die Mitbewohnerin eben wieder im Angesicht des von mir angeschleppten Meeresgetiers befunden.

Wobei sich am Grill die Einheit noch ziemlich einfach herstellen lässt. Medial sieht die Sache anders aus: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt spricht ja wiederholt vom „Westfernsehen“ und meint damit die ARD genau so wie das ZDF. Dass bei den Aktuellen in Hamburg (ARD) und Mainz (ZDF) Ostbiografien rar sind und mangels eigener Kenntnis zu viele Geschichten durch die Brille der alten Bundesländer erzählt werden, ist ein alter Hut.

Spätestens wenn jemand wie der oben erwähnte Reiner Haseloff mal wieder den Spruch vom „Westfernsehen“ raushaut, beschäftigen sich auch Senderhierarchien notgedrungen damit. Und dann passiert – eher mal nichts. Vergangene Woche haben also Mitglieder des MDR-Rundfunkrats moniert, das „Morgenmagazin“ habe ideologisch verzerrt aufs Ableben von Sigmund Jähn regiert. Seine Vereinnahmung durchs DDR-Regime habe stärker im Vordergrund gestanden, als seine Leistung als Kosmonaut.

Allerorten wird derzeit über mangelnde Diversität in den Medien diskutiert, wobei der Befund meist „akademisch, weiß, männlich“ lautet. „West“, müsste man ehrlicherweise (zu) oft noch hinzufügen. Hilft eine solche Ost-West-Denke aber noch weiter? Klar ist: Die tatsächliche Lebenswirklichkeit Ost vieler Menschen findet in den Medien nicht statt. Fürs gehobene Klientel gibt es immerhin die „Zeit im Osten“, die zur Verhandlung solcher Fragen einlädt. Das ist mit der Lebenswirklichkeit West aber genau so. Und das „die Medien“ in ihrem Westdrall unisono nur auf der Suche nach Dunkeldeutschland sind, ist als Befund genau so undifferenziert wie manche dafür zu Recht kritisierte Berichterstattung über Neufünfland.

Steffen Grimberg

Medien­profi, bringt regelmäßig Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.

Nun könnte sich nach dem Motto „Zeit heilt alle Wunden“ (nein, nicht ihr in Hamburg!) das Ganze ja auswachsen. Schaut man sich aber die verdienstvollerweise vom medium magazin erhobenen Zahlen von Journalistenschüler*innen bei den einschlägigen Ausbildungsstätten an, folgt Ernüchterung: Die Henri-Nannen-Schule meldet 14 (West) zu 2 (Ost), beim ifp München heißt es 34:2, bei der Kölner Journalistenschule 18:2, an der RTL Journalistenschule goes niemand east. Bei Springer steht es 66:5, bei Burda 23:1 und bei der Evangelischen Journalistenschule 15:1. Von Springer und EJS (beide Berlin) abgesehen sind übrigens alle Schulen – logisch – im Westen.

Wo bleibt das Positive? Hier: Zum Tag der Einheit labt sich die Mitbewohnerin gern an einer Pizza Frutti di mare. Und die Calameretti waren bei unseren (Ost-)Mietzen eh der Hit.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Zitat: „Allerorten wird derzeit über mangelnde Diversität in den Medien diskutiert, wobei der Befund meist ‚akademisch, weiß, männlich’ lautet. ‚West‘, müsste man ehrlicherweise (zu) oft noch hinzufügen. Hilft eine solche Ost-West-Denke aber noch weiter?“

    Aber klar doch! Wenn es ein Problem gibt, gibt es immer auch Leute, denen das Problem weiter hilft. Weiter nach vorn und weiter nach oben, meine ich. Und es gibt Viele, die es vollkommen kalt lässt, das Problem Wäre es anders, wäre das Problem längst schon behoben.

    Die Sache mit dem Ost-West-Ungleichgewicht hilft, wie sollte es anders sein, vor allem denen weiter, die etwas dagegen tun könnten. Zum Beispiel, in dem sie sich auf das Wagnis einlassen, solchen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, die etwas anders „ticken“, anders sozialisiert wurden, andere Prioritäten setzen und andere Regeln befolgen. Dieses Wagnis geht offenbar niemand gern ein. Vor allem niemand, der akademisch, weiß und aus dem Westen ist. War wohl zu mühsam, jemand zu werden, als dass man seine Position (und seine Selbstgewissheiten) gefährdet sehen möchte. Gerade auch im Journalismus. Da, meine ich, wo der Zynismus einfach schon sehr lange dazu gehört zum Handwerkskasten.

  • Ja, es gibt wirklich keine faire gefühlte Gleichberechtigung!



    .



    Es ist nicht aushaltbar, das (waren mal 17 Millionen, dann wurden es sehr viel weniger) Einwohner nicht gleichberechtigt neben den ca 65 Millionen "Rest" stehen & anerkannt werden.



    .



    Als Bürger von NRW (ca 18 Mio. Einwohner), des Bundeslandes, das auch immer übersehen wird, kann ich das nachvollziehen.



    .



    Da "mayorisiert" Bayern (aus dem wir früher(tm) im Pott hunderttausende Wirtschaftsflüchtlinge durch gefüttert haben) die Bundespolitik, bekommt "Ostelbien" über Jahre den "Milliarden Soli" während hier Industrie, Infrastruktur usw verrotten...



    Hamburg & Berlin majorisieren des Meinungs & Medienmarkt, die Stadtstaaten sahnen im Finanzausgleich richtg ab....



    Der einzige Unterschied scheint zu sein, das wir, seit mindestens 150 Jahren im "Pott" die ganzen Ausländer "aushalten" mussten, die "Deuitschland great again!" machten.



    .



    Kein Mensch würdigt die Leistung von "Hermann dem Cherusker", niemand unsere Integrationsleistung der o.a. Gruppen, die so integriert sind, das Hr. Lewandowsky & Fr. Pluskat (1&2 polnische Einwanderungswelle 1871-1900) heute so "deitsch" sind, das sie in Dresden, besser Sachsen & Thüringen kaum auffallen.



    .



    Wir sollten uns zusammentun.....



    (Hat schon bei den alten Germanen gegen die Römer geklappt)



    & gegen die "Systempar..." chrmm, das "Berliner Raumsch.." (verdammt das/die haben wir ja selbst gewählt), also gegen DIE, die uns nicht "teilhaben lassen"... oh, wie war das?



    "Wir sind das Volk!", "Wir sind ein Volk!".... & dann "D-Mark wir kommen!"...



    .



    ...egal, Fakten irritieren nur, auf jeden Fall, wir nicht, die anderen sind Schuld & UNSERE "Rechte" schlimmstenfalls auch im Wortsinn, stärker vertreten.



    .



    Also, in diesem Sinn: Gemeinsam grillen macht stark! Das dabei auch mal die "Hütte (der Demokratie) abbrennen kann" muss man als Kollateralschaden einplanen:-(



    .



    Calamaris für alle, aber nur wenn braune Broiler gleichberechtig & in gleicher Menge da sind!



    .



    Freundschaft Sikasuu