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Anklage im Bamf-SkandalBremer Bamf-Chefin soll vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft erhebt nun Anklage. Strafbares Verhalten sieht sie bei weniger als ein Prozent der 13.000 positiven Verfahren.

Hier arbeitete Ulrike B. bis zum Aufkommen des vermeintlichen Bamf-Skandals Foto: dpa

BREMEN/BERLIN taz | Im Fall womöglich fehlerhaft entschiedener Asylanträge in der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat die Staatsanwaltschaft offenbar Anklage gegen die ehemalige Behördenleiterin Ulrike B. sowie gegen die Rechtsanwälte Irfan C. und Cahit T. erhoben. C.s Anwalt Henning Sonnenberg bestätigte der taz, das Bremer Landgericht habe vergangene Woche die Zustellung der Anklageschrift angekündigt. Bislang sei allerdings noch nichts eingetroffen.

Wenn darin stehe, was vermutet wird, dann seien die Anklagepunkte „wirklich heikel und ganz klar politisch motiviert“, sagte Sonnenberg der taz. Die Bremer Staatsanwaltschaft wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Zuerst hatte Spiegel Online über die Anklage berichtet.

Im Frühjahr 2018 war die Behörde massiv in die Kritik geraten, weil dort Asylanträge unrechtmäßig positiv entschieden worden sein sollen. Per Pressemitteilung hatte das Bundesinnenministerium (BMI) zudem die verdächtigen Vorgänge als hochkriminell vorverurteilt – rechtswidrig, wie das Bremer Oberverwaltungsgericht im September 2018 festgestellt hat. Die Aussage sei zu unterlassen.

Anfangs war von 1.200 Fällen die Rede, im April diesen Jahres waren es dann nur noch 50. Bamf-Mitarbeitende mit einem Stellenumfang von über 60 Vollzeitstellen waren mehrere Monate lang damit beschäftigt, alle 13.000 positiv beschiedenen Verfahren der Außenstelle seit dem Jahr 2000 zu überprüfen, wie das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine schriftliche Frage der Linken-Abgeordneten Martina Renner erklärte, die der taz vorliegt.

Weniger als ein Prozent der positiven Verfahren

In einigen der überprüften Fälle hat das Bamf Hinweise gefunden, dass Regeln des Asylverfahrens bewusst umgangen wurden. Andere Fehler seien auf eine Zeit zurückzuführen, „in der das Bundesamt angesichts der hohen Zugangszahlen vor einer immensen Herausforderung stand“, hatte das Bamf schon zuvor erklärt.

Bei 304 Akten sei bislang ein Widerruf oder die Rücknahme erfolgt, hieß es am Dienstag auf Nachfrage aus dem BMI. Die Anzahl der widerrufenen Verfahren lasse aber „keine Rückschlüsse auf etwaiges Fehlverhalten zu, da hier ausschließlich geprüft wird, ob ein gewährter Schutzstatus in Deutschland weiterhin aufrechterhalten werden muss“, sagte ein Sprecher der taz.

In etwa einem Drittel dieser Fälle sieht die Staatsanwaltschaft anscheinend ein strafbares Verhalten. Es geht also um weniger als ein Prozent der positiven Verfahren seit dem Jahr 2000. Ulrike B. soll insbesondere Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung sowie Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt vorgeworfen werden. Die Rechtsanwälte Irfan C. und Cahit T. sollen bei der Verleitung zum Asylmissbrauch „gewerbsmäßig“ gehandelt haben. Es gibt aber wohl doch keine Belege dafür, dass Asylverfahren „bandenmäßig“ manipuliert wurden.

Die Ermittlungen dauern an

Sollte die Anklage so aussehen, wie er es aufgrund der Ermittlungsakten vermute, dann sei das ein „Angriff auf die freie Advokatur“, sagte Irfan C.s Anwalt Henning Sonnenberg. Als strafbares Verhalten werde dann gewertet, „dass ein Anwalt seine Arbeit macht, indem er Anträge stellt, die dann vom Bamf völlig zu Recht bewilligt werden“. Es war dabei um die Verhinderung der Abschiebung jesidischer Geflüchteter nach Bulgarien gegangen.

In der Behörde sollen Asylanträge unrechtmäßig positiv entschieden worden sein

Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit „eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“ drohe.

Mit einer solchen Anklage mache sich die Staatsanwaltschaft „zum Testamentsvollstrecker Alexander Dobrindts“, sagte Sonnenberg. Der CSU-Landesgruppenchef hatte im Mai 2018 von einer „aggressiven Antiabschiebeindustrie“ gesprochen. „Dieser angeblichen Antiabschiebeindustrie soll jetzt wohl das Handwerk gelegt werden“, sagte Sonnenberg. Ulrike B.s Anwalt war am Dienstag für die taz nicht zu erreichen. Er hatte die Vorwürfe gegen seine Mandantin in der Vergangenheit aber vehement bestritten.

Als nächstes muss das Landgericht Bremen entscheiden, ob es die Anklage ganz oder in Teilen zulässt. Gegen weitere Verdächtige dauern die Ermittlungen an.

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6 Kommentare

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  • Da sieht man mal wieder, wie massiv schädlich die bayrische Regionalpartei auf Bundesebene wirkt. Schändlich!!! Und niemand ausserhalb von Bayern kann sie abwählen...



    Warum wird nicht endlich der Straftatbestand der Volksverhetzung gegen diese Politiker eingeklagt? Berechtigt wäre das!

  • "Es geht also um weniger als ein Prozent der positiven Verfahren seit dem Jahr 2000."



    Was soll dass heißen? Dass deswegen keine Anklage erfolgen sollte? Bei diesem Maßstab bräuchten wir in den meisten Fällen keine Gerichtsbarkeit mehr.

  • Wenn ein Richter nur einen einzigen Fall bewusst falsch entscheidet, gehört er bestraft und vor allem muss er seinen Job für immer los sein - egal wie seine Motive waren.

    Wenn dieser Frau anfangs 1.000 Fälle vorgeworfen wurden und jetzt sind nur 10 angeklagt (1 %) , umgerechnet, weil ja sicher nicht nur 1 Fall angeklagt wurde - dann wäre es schlimm genug, wenn sie 10 Mal das Recht gebeugt hat, in Absprache mit Anwälten. Daran kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Zumal sich die Staatsanwaltschaften bei einer großen Zahl von Vorwürfen gern auf die beschränken, die am klarsten sind - und den Rest einstellen, ohne dass damit gesagt ist, dass hier "nichts war". Das nennt man Prozessökonomie.

  • Ach was. Honi soit qui mal y pense.

    Ich drücke die Daumen.

  • In anderen Zeitungen ist zu lesen, dass auch Korruptionsvorwürfe im Raum stehen. Die Frau ließ sich von den Anwälten Hotels bezahlen.



    Das räumen die Anwälte sogar ein, sie entschuldigen es nur damit, dass sie es später zurückgezahlt hätte. Als wäre es üblich, dass Anwälte einer Beamtin mal kurz mehrere hundert Euro auslegen.

    Warum lässt Frau Riese das weg?

    Könnte es sein, dass der Artikel etwas sehr einseitig ist?

  • Naja, das ist eine seltsame Argumentation - es ist egal ob 10%, 1% oder nur 1 Fall ist. Wenn vorsätzlich illegal gehandelt wurde, dann wurde eben illegal gehandelt und das Strafrecht greift. Das Gerichtsverfahren wird das klären - ein Verfahren als solches kann also nicht den Rechtstaat schwächen, es kann ihn höchstens stärken.

    Oder würde die Taz auch einem Bankangestellten, der nur jede hunderste Transaktion in die eigene Tasche umleitet, für quasi unschuldig erklären, weil er ja nur in einem Prozent der Fälle illegal gehandelt hat?

    Das kommt doch alles ziemlich bemüht rüber im Artikel - und dass der beschuldigte Anwalt das als Angriff auf alle Anwälte der Welt und deren Freiheit deklariert ist ja nun auch nicht wirklich überraschend.

    Wenn die Staatsanwaltschaft nicht glaubt, dass sie das Verfahren gewinnen kann, dann wird sie kaum das Risiko eingehen sich öffentlich lächerlich zu machen. Dass es zum Verfahren kommt deutet zuumindest darauf hin, dass harte Fakten existieren mit der sie glaubt eine Verurteilung erreichen zu können.

    Am Ende zählen die belegbaren Fakten, und das Gerichtsverfahren dient dazu eben diese heraus- und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wenn niemand illegal gehandelt hat, dann wird es auch keine Verurteilungen geben - wenn am Ende Zweifel an einer Schuld bestehen, wird auf jeden Fall für die Angeklagten entschieden.