piwik no script img

Frauen in OstdeutschlandDie bessere Hälfte

Viele reden von „den Ossis“ und denken an Männer. Frauen sind unsichtbar, dabei könnten sie den Rechtsruck stoppen.

1991 verloren diese drei Frauen, wie viele andere, ihren Job. Viele zog es daraufhin in den Westen Foto: dpa/Ralf Hirschberger

I n den Debatten über die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und über die Stärke der AfD erfährt die Figur des Ossis eine regelrechte Renaissance. Unmittelbar werden Bilder von Männern vor dem inneren Auge heraufbeschworen, kurzhaarig, miesepetrig, korpulent – Männer, die sich leicht einfangen ließen von rechten Versprechungen. Der Ossi habe schließlich einen Hang zum Autoritären. Erst der Kaiser, danach der Führer und schließlich die Diktatur des Proletariats.

Wer etwas differenzierter schaut, erkennt im Ossi immerhin einen Wendeverlierer, dem nicht nur die Arbeit genommen wurde, sondern auch Würde. Und trotzdem bleibt der Blick auf die – durch und durch – männliche Figur des Ostdeutschen gerichtet.

Dabei traf die Wende die Frauen ungleich stärker. Mehr noch als Arbeit und Würde verloren sie eine Gleichberechtigung, wie sie den meisten Frauen bis heute verwehrt bleibt. Umso eindrücklicher, dass insbesondere ostdeutsche Frauen ihr Schicksal drehten, während ihre männlichen Mitbürger häufiger auf die AfD bauen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die Auseinandersetzung zwischen autoritär und liberal, zwischen rechts und links auch eine ist, die zwischen den Geschlechtern stattfindet.

Klar, auch in der DDR waren Frauen nicht vollständig gleichberechtigt, haben den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigt. Aber man muss – neben aller notwendigen Kritik an einem autoritären Staat – konstatieren, dass die Frauen in der DDR an vielen Stellen rechtlich und sozial bessergestellt waren als die Frauen in Westdeutschland. Sie gingen selbstverständlich einer Arbeit nach, führten Betriebe und den Haushalt – selbst der Sex im Osten soll besser gewesen sein.

Alex Wischnewski

ist aktiv bei dem feministischen Netzwerk Care Revolution. Sie lebt in Berlin und kommt ursprünglich aus Baden-Württemberg.

In der DDR wurde der Grundsatz der erwerbstätigen Frau durch sozialpolitische Entscheidungen möglich. Am bekanntesten ist der Ausbau von Kindergärten und -krippen, aber auch die geschlechtsspezifischen Arbeitsstandards waren besser. Das blieb nicht ohne Folgen: 1989 waren 91 Prozent der Frauen berufstätig. In Westdeutschland waren es zur gleichen Zeit nur knapp die Hälfte.

Kerstin Wolter

hat jahrelang die Berliner Demonstrationen zum 8. März mitorganisiert. Zusammen mit Alex Wischnewski hat sie im vergangenen Jahr die Vorbereitungen für einen Frauen*streik in Deutschland angestoßen. Wolter lebt in Berlin und stammt aus Mecklenburg-Vorpommern.

Bis die Wende kam. Deren ökonomische Folgen sind auch 30 Jahre später noch spürbar. Schätzungen zufolge haben nach der Wende 80 Prozent der Ostdeutschen zeitweise oder dauerhaft ihren Job verloren. Die Frauen traf es trotz der formalen Gleichberechtigung am härtesten. 1994 waren doppelt so viele Frauen wie Männer erwerbslos. Vor allem die Abwicklungen im produzierenden Gewerbe, organisiert durch die Treuhand, gingen in erster Linie zulasten der Frauen. Man könnte meinen, dass der Westen dem Patriarchat im Osten ein Comeback bescherte. Man kann sich aber auch fragen, ob es jemals aufgehört hatte zu existieren. Es verwundert deshalb nicht, dass Frauen den Osten nach der Wende scharenweise verließen. Heute gibt es nicht wenige Gegenden, in denen ein Viertel mehr Männer leben als Frauen.

„Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen

Eine Trendwende ist trotz des zunehmenden Zuzugs von Frauen in ostdeutsche Großstädte nicht zu erkennen. Doch die Gründe für die anhaltende, wenn auch gemäßigtere Abwanderung von Frauen haben sich gewandelt. War es in den 90er Jahren die Not auf der Suche nach Arbeit, so verlassen Frauen den Osten heute aufgrund mangelnder Infrastruktur und eines tief sitzenden Konservatismus, gerade auch in den männlich dominierten Chefetagen.

Die AfD ist eine Männerpartei, ihre Programmatik ist in weiten Teilen antifeministisch und frauenfeindlich

Wenn aber viele Frauen gehen, wer soll diese Strukturen aufbrechen und die Interessen der Frauen noch vertreten? Genau dieses Dilemma drückt sich im Aufschwung der AfD im Osten Deutschlands aus. Die AfD ist eine Männerpartei. Ihr Frauenanteil liegt bei 15 Prozent, und ihre Programmatik ist in weiten Teilen antifeministisch und frauenfeindlich. Unbestritten gibt es auch Frauen, die sich von der AfD und ihrem Programm angesprochen fühlen. Es ist ein alarmierendes Zeichen, dass eine vor Kurzem erschienene Studie einen „Retraditionalisierungsschub“ unter jungen Ostfrauen feststellte. Doch trotz der Ambivalenzen ist das Ergebnis aktuell noch mehr als deutlich: Egal ob bei Bundestagswahlen oder den Landtagswahlen im Osten – der Abstand zwischen weiblichen und männlichen AfD-Wählern ist enorm.

Diese starke Tendenz mag auch daran liegen, dass sich viele Frauen nach dem Ende der DDR rascher aufgerafft und zu ihrem früheren Selbstbewusstsein zurückgefunden haben, statt leeren Reden zu folgen. Ostdeutsche Frauen sind an den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz sogar erfolgreicher als Westfrauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind jedoch drei Frauen. Das sind ganze 75 Prozent.

Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften beträgt lediglich 10 Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche Frauen klar vor ihren westdeutschen Schwestern. Ostdeutsche Politikerinnen wie Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an der Spitze ihrer Parteien und Bundestagsfraktionen. Sie sind gleichzeitig die Hassfiguren der neuen Rechten.

Doch trotz dieser Erfolgsgeschichten bleiben die ostdeutschen Spitzenfrauen meist unter sich. Bis heute verlassen sie eher die ostdeutsche Heimat, als sich mit den zurückbleibenden Männern anzulegen. Denjenigen, die bleiben und es dennoch tun, fehlt es bisher an ausreichend Rückhalt aus der Bevölkerung. Ein Aufruf zur feministischen Remigration des Ostens kann zwar nicht die Lösung sein. Den Osten der AfD und Pegida zu überlassen, aber auch nicht.

Bereits zu Beginn der 1990er Jahre scheiterte der Versuch einer neuen gesamtdeutschen Frauenbewegung an unterschiedlichen Vorstellungen und verlorenen Kämpfen. Angesichts eines drohenden Faschismus: Wäre es da nicht an der Zeit für einen neuen Aufbruch in diese Richtung? So ein Aufbruch würde am Ende übrigens allen nützen, nicht nur den Frauen im Osten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Stimmt das?



    "Doch trotz der Ambivalenzen ist das Ergebnis aktuell noch mehr als deutlich: Egal ob bei Bundestagswahlen oder den Landtagswahlen im Osten – der Abstand zwischen weiblichen und männlichen AfD-Wählern ist enorm."



    Bitte Zahlen der aktuellen Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zum Beleg angeben, sonst wären das fake news.

  • "dem nicht nur die Arbeit genommen wurde, sondern auch Würde."

    Soso....genommen wurde da was. Wer hat denn das nun? Der böse seelenlose Wessi in seiner kapitalistischen Gier?



    Möchte man ja fast wetten.

  • "Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an der Spitze ihrer Parteien und Bundestagsfraktionen. Sie sind gleichzeitig die Hassfiguren der neuen Rechten."

    Aah, immer dieselbe Leier. Da werden Vermutungen ohne Überprüfung der Fakten zu Tatsachen erklärt. Die Rechten hassen Angela Merkel, klaro. Aber wer der bei klarem Verstand ist bringt denn irgendwelche Gefühle für KGE, Kipping oder Manuela Schwesig auf? Von intensiven Gefühlen wie Hass ganz zu schweigen. Und Sarah Wagenknecht wird bei den Rechten mehr respektiert als bei den LInken, schauen Sie sich doch mal an was Gauland oder Weidel über Wagenknecht sagen (mit Abstand beste Rednerin der LInken, grossen Respekt usw).