Klimacamp in Sachsen: Auch Ökos brauchen ihre Handys
Antifa, Rassismus, Sexismus. Die Themen auf dem Camp in Pödelwitz gingen weit über den Klimaschutz hinaus. Es wurde viel diskutiert und getanzt.
Im sächsischen Pödelwitz fanden vom 3. bis 12. August über 120 Workshops und Kurse statt. Im Camp und in der Sommerschule wurden klassische Klimathemen Themen wie „Ihr habt's versaut. Wie können wir das zusammen wieder geradebiegen?“, aber auch Rassismus, Postkolonialismus, Sexismus und Neue Ökonomie diskutiert. Die Antifa wurde erstmals eingeladen, um gemeinsam ein Schwerpunktthema zu gestalten. Das hat, abgesehen vom Rechtsruck in Sachsen, eine gewisse Logik, weil die blaue Partei den Kohleausstieg ablehnt.
Unweit des Camps liegt der Tagebau Vereinigtes Schleenhain der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag). Die Aktivisten brauchen keine Kohle, sie erzeugten ihren Strom selbst. Sie haben ein Windrad gebaut, bei dem sogar die Kupferspulen selbst gewickelt wurden. Und Strom ist wichtig, denn „auch Ökos brauchen ihre Handys“, wie Julia beobachtet hat. Leider seien die fünf Ladestationen ständig besetzt gewesen.
Nina Beck vom rund 60-köpfigen Orga-Team ist Pressesprecherin des Camps. Ihre Lieblingsveranstaltungen waren die „Tanz und Schwitz für Pödelwitz“-Demo und das Anti-Rassismus-Podium. Sie erzählt, dass es „jeden Abend Livemusik gab und viel getanzt wurde. Nur nach dem AntiRa-Podium nicht. Da diskutierten wir weiter.“
„Toxic“ gegen Kohle
Die Tanz-Demo mit rund 500 TeilnehmerInnen endete vor dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf. Dort wurde eine Choreografie von Britney Spears Hit „Toxic“ aufgeführt. Bewacht wurde die Tanzeinlage der KlimaaktivistInnen von Polizisten, die teils in Einsatzfahrzeugen mit laufendem Motor saßen.
Marco Böhme, der für die Linke im sächsischen Landtag sitzt, war als Aktivist und parlamentarischer Beobachter der Polizei im Camp und auf der Demo. Er erzählt, dass „viele Anwohner der Dörfer, durch die die Demo zog, herauskamen und sich mit den tanzenden AktivistInnen unterhielten. Die meisten Reaktionen waren positiv, bei einigen von ihnen haben wir hoffentlich einen Denkprozess angestoßen“. Bis auf die Räumung eines von „Vereinigt gegen Schleenhain“ – einer Gruppe, die sich selbst nicht dem Camp zugehörig bezeichnet – besetzten Tagebaubaggers am Montag habe es keine Polizeieinsätze gegeben, sagt Böhme.
Ein großes Thema auf dem Camp war „Awareness“. Der Begriff bezeichnet den achtsamen und respektvollen Umgang miteinander. Er beinhaltet auch den bewussten Umgang mit Diskriminierungs- und Herrschaftsverhältnissen. Das „Awareness“-Team hatte ein Zelt, das jeden Tag von acht Uhr morgens bis zwei Uhr nachts mit zwei bis vier Menschen besetzt war. Dieser Ruhe- und Rückzugsraum mit Kissen, Massage und Schokolade wurde „von sehr vielen Menschen genutzt. Hier wird auch emotionell Erste Hilfe geleistet“, sagt eine Aktivistin aus dem Team. „Hier können Menschen mit einer neutralen Person über alles Mögliche reden, damit es ihnen danach besser geht.“
Sie nennt ein Beispiel, das dokumentiert, dass auf dem Camp Konventionen herrschten, die deutlich von der gesellschaftlichen Norm abweichen: Eine Frau fühlte sich durch zwei Männer, die mit nacktem Oberkörper herumliefen, gestört. Daraufhin wurden sie vom „Awareness“-Team angesprochen und über „männliche Privilegien aufgeklärt. Die beiden hatten dafür kein Problembewusstsein“. Nach dem Gespräch „zog sich einer ein Shirt an, der anderen suchte sich aus der Bikini-Box ein Bikinioberteil aus und zog es an“.
„Shit Crew“
Am Montag stieß die Infrastruktur des Camps, bei dem über 1.000 Menschen, waren an ihre Grenzen. An der Essensausgabe musste man eineinhalb Stunden warten. Das Orga-Team reagierte schnell, änderte die Mitmachstruktur und hängte Listen aus, um Menschen zu finden, die sich nicht nur passiv, sondern nun auch aktiv am Camp beteiligten. Julia entschied sich fürs Gemüseschnibbeln, was sie ab da jeden Tag von 10 bis 12 Uhr mit 40 weiteren Menschen machte. Gesucht wurden auch Leute, die sich um die Sauberkeit der sanitären Anlagen kümmerten, das nannte sich dann „Shit Crew“.
Nina hat auch „von Menschen aus der Region“ viel gelernt. Unter anderem von Jens Hauser von der Bürgerinitiative (BI) ProPödelwitz über konkrete rechtliche und kommunalpolitische Belange beim Kampf gegen den Tagebau. Der erste Grüne in der Kommunalvertretung ist einer von nur noch 27 von ehemals 120 BewohnerInnen von Pödelwitz. Hauser kämpft seit 2009 gegen die Umsiedlung durch die Mibrag, die das Dorf abbaggern will – trotz des beschlossenen Kohleausstiegs. Auf Hausners Einladung war das Camp bereits 2018 in Pödelwitz. Seitdem engagiert sich ein breites Bündnis für #Pödelwitzbleibt. Nina berichtet, dass sich auch andere BewohnerInnen aus den Dörfern der Region mit der BI solidarisiert haben und aufs Klimacamp gekommen seien.
„Ich fand eigentlich alles toll“, sagt eine junge Aktivistin mit Herzchenbrille. Andere sehen das etwas differenzierter. Julia hat die „unglaublich starke und positive Energie und der sehr respektvolle Umgang der Menschen miteinander beeindruckt“. Und die Umsetzung des Hygienekonzepts des Camps: die Teller bei der Essensausgabe wurden nicht wiederbefüllt, überall Spender mit Desinfektionsmittel und saubere Toiletten. Damit „sollte vermieden werden, dass sich das ganze Camp ansteckt, wie das auf einem Klimacamp im Rheinland passiert ist“, erzählt Julia. Insgesamt fand sie das Camp mit seinem großen Angebot „total schön und total krass!“ Ein Feedback, dass sinngemäß von vielen TeilnehmerInnen kam.
Neben der inhaltlichen Arbeit sei der Spaß wichtig, sagt Nina. In diesem Sinne wurde nach dem Abschlussplenum noch bis in die frühen Morgenstunden getanzt und gefeiert.
Aaliyah Bah-Traoré ist politische Referentin und Empowerment-Trainerin. Sie spricht über „Koloniale Kontinuitäten im Klimaaktivismus“. Normalerweise ist der Geräuschpegel bei diesen Veranstaltungen ziemlich hoch, erzählt Julia. „Als sie gesprochen hat, waren alle still.“ Seit Jahren sprächen Menschen aus dem globalen Süden über den Klimawandel, gehört würden sie nicht. Dann seien Greta und die Fridays for Future gekommen und alle würden sich plötzlich für Klimawandel interessieren. Sie nennt das „White days for future“.
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