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Protest gegen BraunkohleBritney und das Klimacamp

Beim Klimacamp im Leipziger Land wird für den von der Braunkohle bedrohten Ort Pödelwitz geschwitzt. Und „Merle“ sitzt in U-Haft.

Hier wurde Merle festgenommen: Kohle-Gegner besetzen einen Bagger des Tagebaus Schleenhain Foto: dpa

Neukieritzsch taz | Toxic. Die AktivistInnen des „Klimacamps Leipziger Land“ führen am Samstag eine Choreografie von Britney Spears Hit vor dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf auf. Danach wird weiter zu Popmusik getanzt, unterbrochen von kurzen Redebeiträgen. Die Tanzdemo war mit rund 500 AktivistInnen am Bahnhof Neukieritzsch gestartet. Motto: „Tanz und Schwitz für Pödelwitz“. Die Menschen sind bunt, die Stimmung ist ausgelassen.

Während vor dem Kraftwerk getanzt wird, hat „Merle“ in der U-Haft wenig zu lachen. Am vergangenen Montag um sechs Uhr hatte „Merle“ zusammen mit neun weiteren Aktivistinnen einen Tagebaubagger im benachbarten Schleenhain besetzt. Zwei Stunden später traf die Polizei ein und drohte mit Räumung. Daraufhin stiegen zwei der Protestler freiwillig vom Bagger herunter.

Nach drei Durchsagen zur Auflösung der nicht genehmigten Versammlung wurden um 12 Uhr die restlichen Menschen von #vereinigtgegenschleenhain unter „Androhung von Gewalt und teils mit Schmerzgriffen“ von einen Sondereinsatzkommando vom Bagger geholt und dann in die Gefangenensammelstelle (GeSa) in Leipzig gebracht – so sagt es Besetzerin Sophie. Dort seien sie dann fest gehalten worden, weil keiner der Beteiligten seine Identität angegeben hatte.

Nachdem ein Amtsarzt durch Ansicht der Personen festgestellt hatte, dass zumindest acht der zehn minderjährig seien, wurden sie gegen 23:30 Uhr zur Jugendnothilfe überstellt und umgehend freigelassen. Bei der Ankündigung der Einzeluntersuchung durch den Einsatzleiter der Polizei wurde „allerdings der Eindruck erweckt, dass es sich um eine körperliche Untersuchung handeln würde“, sagt Liam, einer der Aktivisten, der taz.

Ein Mensch habe daraufhin die Identität preisgegeben und wurde entlassen, berichtet Liam weiter. Nach dem Haftprüfungstermin der beiden verbleibenden Personen am Dienstagmittag wurde eine weiterer Aktivist nach Angabe seiner Personalien freigelassen.

„Merle“ hingegen sitzt noch immer in U-Haft. Der Tatbestand: Hausfriedensbruch. Im Rahmen der Ende-Gelände-Proteste sind hingegen in den letzen Jahren mehrfach Urteile gesprochen worden, die Tagebaue als nicht ausreichend umfriedet definieren, um diesen Tatbestand zu erfüllen.

Die zuständige Staatsanwältin aber sehe das anders, berichtet Liam. Sie hat „vor zwei Monaten mit einem Kollegen eine Radtour rund um den Tagebau unternommen und dabei festgestellt, dass die Umfriedung in Schleehain absolut ausreichend ist“. Die nach eigenen Angaben autonome Kleingruppe von Sophie und Liam, die mit Klarnamen anders heißen, findet das vollkommen absurd. Sie fordert die sofortige Freilassung „Merles“ (#freemerle).

TeilnehmerInnen des Camps protestierten teilweise die ganze Nacht vor der GeSa für „Merle“. Das Urteil der beiden über verschiedene Formen des Protests ist folgendes: Das Camp fänden sie gut, Fridays for Future gegenüber seien sie solidarisch, aber es muss „im Kampf für das Klima unterschiedliche Ebenen und Wege geben“, betont Sophie und plädiert für weitere Aktionen, die die Bevölkerung wachrütteln sollen.

Kein Showdown in Pödelwitz

Wach sind auch die vielen hundert PolizistInnen bei „Tanz und Schwitz für Pödelwitz“. „Sie warten hier auf ein Showdown, so wie letztes Jahr, als die Eingänge zum Kraftwerk besetzt wurden. Aber den wird's hier heute nicht geben“, sagt Thilo Kraneis von der Bürgerinitiative (BI) „ProPödelwitz“. Und er ist sich sicher: „Die Familienväter und Mütter in den blauen Uniformen sind lieber hier als bei irgendeinem DFB-Pokalspiel.“

Jens Hauser von der BI kämpft seit 2009 gegen die Umsiedlung der vom Tagebau Schleenhain bedrohten Einwohner von Pödelwitz. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) will das Dorf abbaggern – trotz des beschlossenen Kohleausstiegs. Heute leben nur noch 27 von ehemals 120 Menschen dort.

Mit der Klimabewegung hatte Hausers Tun damals eher wenig zu tun. Dan begann ein Prozess des Umdenkens: „Ich habe erst in den letzten Jahren die globale Reichweite des Problems und des Protestes begriffen.“ Deshalb setzte er sich dafür ein, dass das Klimacamp bereits 2018 in Pödelwitz stattfand. Seitdem engagiert sich ein breites Bündnis für „#Pödelwitzbleibt“. Währenddessen werden weitere Choreografien aufgeführt. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht sagt Hauser: „Tanzen vor dem Kraftwerk, weil die Fossilen vorbei sind. Das ist ein Bild – Wahnsinn.“

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4 Kommentare

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  • Als ob nicht alle Beteiligten wussten, dass das Betreten des Tagebaus und das Besetzen eines Baggers verboten ist.

    Mensch, warum dieser Kindergarten?

    • @TazTiz:

      Weil hier Menschen ohne Grund und Rechtfertigung enteignet und aus ihrer Heimat vertrieben werden, nur weil ein Großkonzern das so will ... tolle Demokratie!

      • @Franz Georg:

        Die Inhaftierten wurden gar nicht enteignet.



        Wenn Sie so wollen, werden die sogar von den Grundbesitzern für deren Interessen missbraucht ...

        • @TazTiz:

          Die Inhaftierte unterstützt ja die Enteigneten und Vertriebenen ... sich für die Interessen eines Anderen stark machen, etwas das neoliberale wohl nie verstehen werden.