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Kolumne So nichtDas wird man ja noch fragen dürfen

Wenn es um Israel geht, wird sprachlich aufgerüstet: McCarthyismus, Denkverbote, etc. Wo bleibt die Hysterie, wenn in Deutschland ein Nazi mordet?

Wo bleibt die Hysterie? Foto: dpa

S eit die Menschheit sprechen kann, gibt es Probleme. Vor allem in der Bezeichnung von Dingen und Denkmustern. Knapp 50.000 Jahre später sind die Probleme in diesem Bereich nicht kleiner geworden: Wir pflanzen kleine Sterne in Wörtermitten, wir verwenden englische Abkürzungen für etwas, was im Deutschen nach Kindergarten klingt und bevor wir einen Nazi Nazi nennen, reicht kein Hakenkreuztatoo auf seinen Waden, er muss schon einen CDU-Politiker ermordet haben.

Rechte sind häufig der Meinung, nicht rechts zu sein. Sie bezeichnen sich allerhöchstens als „eher rechts“. Auf der diskriminierungssensiblen Bezeichnungsliste müsste man sie also korrekterweise unter „Eherrechte“ inventarisieren. Eherrechte zeichnet aus, dass sie der Meinung sind, ihre Meinung nicht mehr sagen zu dürfen.

In der Regel meinen sie aber nicht Meinungen wie die, dass der Lohn zu niedrig, die Miete zu hoch, der Geschlechtsverkehr schlecht und der Autoverkehr gefährlich ist. Sie meinen in der Regel die Meinung, dass Ausländer raus und Geflüchtete gar nicht erst rein sollten.

Das Gespenst des McCarthy

Derzeit spricht auch ein Teil der Eherlinken – also vor allem jene, die nicht Links genannt werden wollen, weil das nach verbrannten Autoreifen riecht – eher so wie die Eherrechten. Sie sprechen von „Maulkorb“ (Jüdische Allgemeine) und „McCarthyismus“ (taz) und meinen, dass die Meinungen, die die Israel-Boykott-Bewegung BDS vertritt, unterdrückt würden, von der „israelischen Regierung und ihren publizistischen Helfern in Deutschland“ (FAZ). Die Eherlinken sind der Meinung, es herrsche „Denkverbot“ (Deutschlandfunk), „Kontaktschuld“ (Berliner Zeitung) und so was ähnliches wie „Zensur“ (44 Wissenschaftler), gefühlt jedenfalls.

Auf allen Seiten wird um sprachliche Abrüstung geworben und hier artikulieren sich Eherlinke plötzlich wie ein explodierendes Atomwaffenarsenal. „Maulkorb“, „McCarthyismus“, fehlt noch Mummenschanz, Machenschaften und Mischpoke und die Leute könnten denken, es ist Krieg. Dabei sind Morgenduft, Malheur und Marotte doch viel schöner.

Es ist bemerkt worden, wie verhalten die Reaktionen seitens der CDU, aber auch allüberall und wie vorsichtig die Ausdrucksweise war, als klar wurde, was nicht sein darf: Nazis morden in Deutschland. Unter den Eherlinken war dazu immer zu hören: „Wieso? Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich doch geäußert?“

Todeslisten, von Nazis geführt

Es gibt in Deutschland keinen McCarthyismus, oder hat jemand die Schwarzen Listen gesehen, die staatliche Behörden führen, um BDS-Versteher auszuschalten? Und tagt der parlamentarischen Untersuchungsausschuss für undeutsche Umtriebe im Untergrund oder warum ist davon nichts zu sehen.

Nein, das alles, was den McCarthyismus ausmachen würde, gibt es nicht. Listen gibt es aber schon: Todeslisten, von Nazis geführt, um Einwanderung und undeutsche Umtriebe zu stoppen. Walter Lübcke war einer auf dieser Liste. Und immer noch hat man das Gefühl, dass dieses Land nicht so richtig darüber sprechen will. Wo bleiben die Emotionen?

„Wir verurteilen die Tat aufs Schärfste und nehmen die Sorgen der Mitbürger und Mitbürgerinnen ernst, die sich fragen, wie sicher sie in Deutschland vor mordenden Nazis sind.“ Dieses Statement der Bundeskanzlerin hat es bis heute nicht gegeben.

In einem Land, dass sich sofort in Hysterie versetzt, wenn es trouble im Jüdischen Museum gibt, bleibt es nach einem Nazimord vergleichsweise cool. Wo bleibt die Hysterie? Das wird man ja wohl nochmal fragen dürfen.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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14 Kommentare

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  • da hat wohl einer dieses taz.de/Archiv-Such...Dc1ABuW6s9iweFSCnk von Micha Brumlik nicht gepaßt

  • Hysterie ist die dramatische Übertreibung die auf den Wahrnehmungsfiltern (die bestimmen in welcher Filterblase man sich heimisch fühlt) im Kortex basiert und im limbischen System (dem extrem schnellen, zweitältesten Anteil des Gehirn) zu Gefühlen wird.

    Mir selbst ist die rationale, analytische Gedankenwelt die völlig ohne Hysterie auskommt wesentlich genehmer. Es ist, wie ich finde, die Heimat der Diplomatie und der Sachlichkeit. Und genau daran mangelt es in diesem Staat, dieser Gesellschaft.

    Von Hysterie zu Panik und entsprechenden Aktionen ist dann nur noch ein ganz kleiner Schritt.

    Dabei spielt es keine Rolle mehr welche Ideologie dahinter steht. Die Folgen, Amokläufe, Exzesse, von Einzelnen oder Gruppen welcher Farbe auch immer sind die Kernursache für alle Konflikte zwischen Menschen auf diesem Planeten.

    Ich schließe mit einem Wort an die Autorin: Wollen Sie wirklich noch mehr Hystrie? Haben Sie das bis zum Ende durchdacht? Gefühle können Gutes bewirken, doch Gutes allein zu wollen, das reicht nicht. Wenn die Gefühle übernehmen ist Zerstörung die Folge. Denn auch die jeweilige Gegenseite wird vermehrt gefühlsgesteuert agieren. Alle Seiten schaukeln sich immer exzessiver in die Gefühle... bis zum Ausbruch von Gewalt.

    • @Landlady:

      "Mir selbst ist die rationale, analytische Gedankenwelt die völlig ohne Hysterie auskommt wesentlich genehmer." (Landlady)



      Ihren Ausführungen kann ich mich nur unterstützend anschließen, liebe Landlady. Herzlichen Dank dafür!



      Es fällt auch mir manchmal schwer auf bestimmte Trigger nicht spontan und emotional zu reagieren. Hinterher hat man dann gelegentlich Grund dazu das eine oder andere zu bereuen - hinterher ist man vielleicht auch ein Stückchen klüger.



      Diese Regel mag zwar in diesem Fall vielleicht nicht zutreffen und ich mag auch Frau Merkel und ihre Politik überhaupt nicht, aber von einer 65jährigen Frau noch hysterische Reaktionen einzufordern ist ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluß. Im Gegenteil!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Ergänzen möchte ich noch:

    Es sind nur Linke und Linksradikale auf die Straße gegangen um ihrer Trauer und ihrer Wut über die Ermordung eines CDU-Politikers Ausdruck zu verleihen.

    Was für Zeiten.

  • Zum einen teile ich die Besorgnis, dass ein Nazi-Mörder (erneut) kaum für Besorgnis sorgt. Zum anderen sehe ich dennoch durchaus einen Unterschied zwischen den Taten bescheuerter Bürger und einer Debatte, die u. A. einen nicht sonderlich differenzierten Bundestagsbeschluss mit der Aussage "Juden sind Antisemiten" beinhaltet. Auch ist die Beschneidung der Freiheit eines Museums eine politische Entwicklung, die eine andere, nämlich staatliche Ebene hat, als die Taten extremistischer Bürger. Auf der einen Ebene ist der politische und gesellschaftliche Diskurs gefragt (im Kommentar "Hysterie") auf der anderen der konsequente Einsatz rechtsstaatlicher Mittel (deren Ausbleiben bisweilen auch diskursiv behandelt wird).

  • Ich sehe in Bezug auf die Appartheid in Israel keine Hysterie, sondern schlichtweg Gleichgültigkeit oder Sympathie, respektive Verständnis dafür. Man darf vereinzelte Kommentatoren in den Kommentarspalten der Taz und kleine Teile der linken Szene nicht zu einem Massenphänomen hochstilisieren. Das Wort Hysterie ist hier auch völlig deplaziert und soll wohl die vereinzelt geäußerte Meinung ins Lächerliche ziehen.

  • "In einem Land, dass sich sofort in Hysterie versetzt, wenn es trouble im Jüdischen Museum gibt, bleibt es nach einem Nazimord vergleichsweise cool."

    Auf welchem Stern lebt Doris Akrap? Wo war die Hysterie über die Feuerung des Chefs des Jüdischen Museums. Wie viel Prozent der Leute in Deutschland haben überhaupt davon gehört?

    Das ist nichts als demagogisches Geschwafel. Die überwältigende Mehrheit der Politiker*innen und Medien zeichnet BDS immer noch als antisemitisches Schreckgespenst.

    Frau Akrap ist das offenbar immer noch nicht genug, und die paar abweichenden Stimmen in den größeren Medien, die man bei sorgfältiger Suche zusammenkratzen kann und die unabhängig von ihrer Befürwortung oder Nichtbefürwortung sagen, BDS sei NICHT antisemitisch, sind ihr offensichtlich immer noch zu viel.

    Für Paranoiker*innen ist eben schon ein bisschen Widerspruch kaum auszuhalten, woraufhin sie ihn dann fälschlicherweise für allgegenwärtig halten.

    Akraps Ärger und Zorn über die ausbleibende angemessene Reaktion auf die Mordanschläge auf liberale Politiker*innen und deren Zusammenhang mit dem NSU-Komplex kann ich indes nur hundertprozentig zustimmen.

    Umso mehr betrübt mich die unsinnige Vermengung dieses Tatbestands mit einer angeblich breiten Empörung über die Unterdrückung von BDS, einer breiten Empörung/Hysterie, die nur in der Einbildung der Autorin existiert.

  • Ja, genau so ist das! Wenn in Deutschland heute ein Neonazi einen Politiker erschießt, dann wird - ganz anders als damals bei der RAF - nicht zuerst über neue Hochsicherheitsgefängnisse und Berufsverbote für Sympatisanten diskutiert, sondern erst einmal die Beweislage angezweifelt.

    • @Rainer B.:

      Sympathisant natürlich immer mit th wegen Pathos und so.

      by the way: „Ein Sympathisant unterscheidet sich vom Mitläufer dadurch, dass er aus eigener Überzeugung handelt und nicht unbedingt aufgrund des Verhaltens anderer.“ (Wikipedia)

  • Sorry & mit Verlaub. Gellewelle.

    Was ist das denn für eine verdrehte Pappkameradenansammlung^?^



    Ok Ok - Aber vom Feinsten. Das ja.

    kurz - Bloß keine Hysterie. Newahr.



    Na - Si’cher dat. Dat wüßt ich ever. Da mähtste nix.



    Voll Normal - Ey.